Gegen Ex-US-Präsident Donald Trump laufen in Amerika mehrere Zivil- und Strafverfahren. Er könne 641 Jahre Gefängnisstrafe kassieren, melden die Medien.

Ob es sich dabei um zwingende Ahndungen von Gesetzesverstössen oder eher um politische Schauprozesse zur Verhinderung seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten handelt, ist nicht in jedem Falle offensichtlich.

Viele Amerikaner erachten die Gerichte zusehends als verpolitisiert und die Gewaltentrennung als bedroht. Deshalb verwundert nicht, dass gemäss einer Juni-2023-Umfrage nur noch 17 Prozent der US-Strafjustiz voll vertrauen.

Aber worum geht es bei den Verfahren gegen Ex-Präsident Trump wirklich?

Schweigegeldzahlung an Pornodarstellerin (Bundesstaaten-Ebene): Die Staatsanwaltschaft in New York legt Trump die Fälschung von Geschäftsunterlagen in 34 Fällen zur Last. Er soll versucht haben, schädliche Informationen und rechtswidrige Aktivitäten vor und nach seiner Präsidentenwahl 2016 zu verbergen. Im Zentrum der Vorwürfe steht die Zahlung von Schweigegeld an eine Pornodarstellerin. Dabei sei es auch zu falschen Einträgen in den Geschäftsbüchern gekommen. Trump plädierte Anfang April 2023 auf «nicht schuldig». Der Prozess soll im März 2024, kurz vor dem Start der parteiinternen Vorwahlen, beginnen.

Sexuelle Übergriffe (Zivilverfahren): Im Mai 2023 wurde Trump in einem Zivilverfahren wegen eines sexuellen Übergriffs und Verleumdung zu einer Geldstrafe in Millionenhöhe verurteilt. Eine New Yorker Geschworenenjury sah es als erwiesen an, dass Trump die Schriftstellerin E. Jean Carroll Mitte der 1990er Jahre in einem New Yorker Nobelkaufhaus sexuell missbraucht und später verleumdet hatte. Den Vorwurf der Vergewaltigung wiesen die Geschworenen zurück. Trump kündigte an, gegen die Entscheidung vorzugehen.

Weit schwerer wiegen die Anklagen auf Bundesebene, insbesondere jene der versuchten Wahlresultat-Fälschung. Es drohen Haftstrafen zwischen fünf und zwanzig Jahren. Das Justizministerium hatte den Sonderermittler Jack Smith damit beauftragt, die Aufklärungen in beiden dieser politisch heiklen Fällen zu leiten.

Mitnahme geheimer Regierungsdokumente (Bundesebene): Die Staatsanwaltschaft wirft Trump die gesetzeswidrige Aufbewahrung hochgeheimer Informationen aus seiner Präsidentschaftszeit in seinem Privatanwesen Mar-a-Lago in Florida vor. Es ging um Dokumente mit Informationen zu nuklearen Fähigkeiten und militärischen Notfallplänen der USA. Trump werden mehr als 35 Straftaten inklusive Behinderung der Ermittlungen zur Last gelegt. Trump plädierte im Juni 2023 auf «nicht schuldig». Der Prozessbeginn ist noch offen.

Verschwörung zur Wahlmanipulation und Anstachelung zum Sturm aufs Kapitol (Bundesebene): Am 1. August erfolgte in Washington, DC, die Anklage wegen einer Verschwörung mit sechs Mitverschwörern, um die Wahlen in sieben Bundesstaaten – Arizona, Georgia, Michigan, Pennsylvania, Wisconsin, Nevada, New Mexico – zu fälschen. Die sechs Mitverschwörer wurden bisher wohl bewusst nicht gleichzeitig mit Trump angeklagt, weil das Verfahren sonst über die Wahlen vom 4. November 2024 hinaus verzögert würde. Sie werden in der Anklageschrift nicht namentlich erwähnt, aber gemäss Medienrecherchen soll es sich um Trumps Anwalt, den früheren Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani, John Eastman, einen einstigen Assistenten des obersten Richters Clarence Thomas und Gründer einer mit dem erzkonservativen Think-Tank Claremont Institute verbunden Anwaltskanzlei, Sidney Powell, einer früheren Bundesstaatsanwältin in Texas, Jeffrey Clark, seinerzeit Abteilungsleiter im Justizministerium, Kenneth Chesebro, einem Anwalt aus Wisconsin und vermutlich Trumps Wahlkampfberater, Boris Epshteyn, handeln.

Sie hätten Mandatsträger bis ins Justizministerium hinein und selbst Vizepräsident Mike Pence, der als Vorsitzender des Senats den Wahlsieger beglaubigen musste, unter Druck gesetzt. Sie sollten Wahlergebnisse mit Behauptungen wie, dass auch Ausländer, Wähler aus anderen Bundesstaaten und Tote mitgestimmt hätten, dass mehr schriftliche Wahlzettel als ausgegeben und gefälschte Wahlzettel eingegangen seien, für nichtig erklären. Auch der Versuch, Bundesregierungen zu überreden, falsche, für Trump stimmende Wahlmänner zu bestimmen, misslang.

Trump habe nach der verlorenen Präsidentenwahl 2020 wider besseren Wissens behauptet, ihm sei der Sieg durch Wahlbetrug gestohlen worden. Am 6. Januar 2021 kam es deswegen zum Sturm aufs Capitol, bei dem Trump-Anhänger versuchten, die formelle Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden zu verhindern. Mehr als tausend am Sturm Beteiligte wurden bereits verurteilt, aber Trump war nicht persönlich am Tatort anwesend. Trump hat sich in allen vier Anklagepunkten für «nicht schuldig» bekannt. Der nächste Termin ist eine Anhörung am 28. August, dann soll auch der Termin für den Prozess bekanntgegeben werden.

Wahlmanipulation in Georgia (Bundesstaaten-Ebene): Angeklagt wurde Trump betreffend Wahlmanipulation auch im Bundesstaat Georgia. Biden gewann dort nur ganz knapp mit rund 12.000 Stimmen Vorsprung. Trump bemühte sich, seine Niederlage nachträglich ändern zu lassen. Unter anderem forderte er den obersten Wahlaufseher in Georgia telefonisch auf, genügend Stimmen für ihn «zu finden», um das Ergebnis «nachzuberechnen».

Gelingt es den Gerichten nicht, allfällige Verurteilungen überzeugend zu begründen, werden viele Trump-Anhänger ihre negativen Vorurteile gegen die Gerichte bestätigt finden, und es wird zu neuen Verschwörungstheorien kommen.

Was die Präsidentschaftswahl betrifft, so kann Trump trotz Gerichtsverfahren kandidieren und seine Kampagne uneingeschränkt fortsetzen. Gesetzlich nicht geregelt ist hingegen, ob er das Präsidentenamt auch als Verurteilter vom Gefängnis aus führen könnte. Darüber müssten wiederum Gerichte entscheiden.

Finanzexperte Hans Kaufmann, ehemaliger Nationalrat der SVP, war Chefökonom der Bank Julius Bär und bis 2018 im Bankrat der Zürcher Kantonalbank.