In ihrer Berufung gegen das vom Bezirksgericht Meilen verfügten Schreibverbot bezüglich der Affäre Nabholz warfen die Anwälte der Weltwoche vorab die Frage auf, ob die nun zuständigen Oberrichter überhaupt in der Lage seien, unbefangen zu urteilen. Denn Simone Nabholz amtiert zeitweise als Oberrichterin, ihr Ehemann gar in Vollzeit. Überdies hatte das Zürcher Obergericht bereits mehrmals via Medienstelle zugunsten von Nabholz Stellung bezogen. Auf ein konkretes Ausstandsbegehren gegen die Gesamtbehörde wurde verzichtet, da diesem aus rechtlichen Überlegungen von Vornherein wenig Erfolg beschieden gewesen wäre. Es blieb daher beim Appell an die Richter, sich der Gewissensfrage zu stellen: Wie kann die Unbefangenheit der Richter in einer derartigen Konstellation gewährleistet werden?

Die drei mit der Causa befassten Oberrichter (Lichti Aschwanden, FDP, Stammbach, CVP, Pahud, SP) nahmen sich gleichwohl die Mühe, das nicht gestellte Ausstandsbegehren mit einer vierseitigen Begründung abzuschmettern. Es gehe nicht an, ein Gremium unter Generalverdacht zu stellen; es läge an den Parteien, konkrete Hinweise auf die Befangenheit einzelner Mitglieder zu erbringen. Denn: «Von Kollegialität kann nicht gemeinhin auf ‘Freundschaft’ (…) geschlossen werden». Ob sich die Oberrichter der Gewissensfrage gestellt haben, wissen wir dagegen nicht. Sie blieb unbeantwortet.

Illegale Tonaufnahmen

Doch just um die Frage der richterlichen Unbefangenheit dreht sich im Kern alles in dieser Affäre. Streitpunkt ist eine heimliche Tonaufzeichnung im Arbeitsgericht Zürich. Der Rechtssuchende Milan Krizanek hatte während einer Verhandlungspause, in der die Richterin Simone Nabholz (GP) mit ihren Assistentinnen unter Ausschluss der Parteien über den Fall beriet, ein Aufnahmegerät im Gerichtssaal zurückgelassen. Um es neutral zu formulieren: Was die Richterin in den geheimen Urteilserwägungen fabulierte, ist schwerlich in Einklang zu bringen mit dem, was sie später den Parteien unterbreitete. Diese einigten sich hernach auf einen Vergleich.

Die Chronologie ist entscheidend in diesem Fall. Anfang Mai dieses Jahres veröffentlichte Krizanek eine detaillierte Zusammenfassung der heimlich aufgezeichneten Urteilsbesprechung via X (vormals Twitter) mit O-Ton. Am 8. Mai forderte ihn die Medienstelle des Obergerichtes auf, die Publikation zu löschen, mit dem Hinweis, dass es sich um eine «geheime Urteilsberatung» handle und die Publikation gegen Art. 293 StGB (Veröffentlichung geheimer amtlicher Verhandlungen) verstosse. Tags darauf berichtete die Weltwoche in der Online-Ausgabe (Daily) über den Fall.

Am 10. Mai forderte das Obergericht die Weltwoche auf, den Beitrag zu löschen – allerdings nicht mehr unter Verweis auf Art. 293 StGB, wie dies noch bei Krizanek der Fall war, sondern auf den schärfer gefassten Art. 179 StGB (Verletzung der Privatsphäre). Die Weltwoche entschied darauf, den Namen der Richterin sowie alle Zitate unkenntlich zu machen. Obwohl anonymisiert, verfügte das Bezirksgericht Meilen am 13. Mai auf Antrag von Simone Nabholz die vorsorgliche Löschung des Artikels und untersagte jede Publikation, die ein ungünstiges Licht auf die Richterin werfen könnte. Gegen diese superprovisorische Verfügung legte die Weltwoche Berufung ein, über die das Obergericht nun entschieden hat.

Urteilsberatung oder privates Geschwätz?

Schon im Originalartikel wies die Weltwoche darauf hin, dass Krizaneks Aufzeichnung illegal war. Die Frage lautet, ob das öffentliche Interesse an mutmasslichen Missständen bei der Justiz überwiegt, zumal der Sachverhalt via X (Twitter) bereits öffentlich war. Die Weltwoche stellte sich auf den Standpunkt, dass eine Beratung in einem Gerichtssaal keine private Angelegenheit sei, auch wenn sie als geheim deklariert wurde; und dass das öffentliche Interesse an der real existierenden Justiz in Anbetracht der gravierenden Vorwürfe in diesem Fall überwiege.

Das Obergericht löst das Dilemma nun mit einem lapidaren Zirkelschluss: Weil die Aufnahmen illegal erstellt wurden, dürfen sie nicht als Beweis verwendet werden – «weshalb die Medienäusserungen der Berufungskläger [der Weltwoche] nicht auf den Wahrheitsgehalt überprüft werden können». Im Klartext: Man muss so tun, als wären die verfänglichen Sätze nie über die Lippen von Richterin Nabholz gekrochen. Das Verbot des anonymisierten Artikels rechtfertigt das Obergericht zum einen mit der Mutmassung, dass er findige Web-User dazu verführen könnte, im Netz nach der unzensierten Originalversion zu suchen («Das Internet vergisst nie»). Andererseits sei auch allfälligen künftigen Publikationen ein Riegel zu schieben. Es sei notorisch, dass online publizierte Artikel später auch im Print publiziert würden (was allerdings just bei der Weltwoche sehr selten der Fall ist).

Unsorgfältig und unseriös?

Die drei unbefangenen Oberrichter machen schliesslich auch keinen Hehl aus ihrer Abscheu gegenüber «Massenmedien», die «sich im Nachhinein gerne auf das selbst zugeschriebene ‘Wächteramt’ als Rechtfertigungsgrund» berufen würden, in Wahrheit aber bloss auf «Reichweite, Auflage und Einschaltquoten» aus seien. «Bereits der reisserische Titel [der Weltwoche] zeigt, dass kaum sachlich informiert werden, sondern vielmehr die Sensationslust bedient werden soll» (leider dürfen wir den Text an dieser Stelle nicht zitieren, auf dass sich der Leser selbst ein Bild mache, da das Obergericht ebendies unter Strafandrohung verboten hat).

Dass die Weltwoche das mitgeschnittene Gespräch als «Urteilsberatung» bezeichnete, reicht den unbefangenen Oberrichtern als Beleg für «Unsorgfalt und damit Unseriosität in der journalistischen Recherche». Denn das besagte Verfahren endete nicht mit einem Urteil, sondern in einem Vergleich. In Wahrheit handelt es sich bei diesem Einwand um eine semantische Haarspalterei. Tatsache ist, dass sich in der heimlich mitgeschnittenen richterlichen Beratung alles um ein allfälliges Urteil und vor allem dessen Begründung drehte – und dass Krizanek nie einem Vergleich zugestimmt hätte, wie er versichert, wenn er schon damals vom Inhalt der richterlichen Beratung gewusst hätte.

Selbst die Medienstelle des Obergerichtes ging ursprünglich von einer «geheimen Urteilsberatung» aus – bevor sie ihre Meinung radikal änderte und die richterlichen Urteilserwägungen im Gerichtssaal zum privaten Geschwätz degradierte. In diesem Sinne geht der Vorwurf der «Unsorgfalt und damit der Unseriosität» postwendend an den Absender zurück.