Hinter den Kulissen des Ukraine-Krieges werden immer mehr interne Konflikte auf höchster Ebene sichtbar. In Kiew schwelt seit langem der Zwist zwischen Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj und Witali Klitschko, dem Bürgermeister der Hauptstadt. Und in Moskau ist soeben der Streit zwischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem Chef der Wagner-Söldnergruppe, Jewgeni Prigoschin, eskaliert. Der russische Zweikampf scheint fürs Erste beigelegt, während sich der ukrainische Streit langsam, aber sicher hochschaukelt.

Bei allen offenen Fragen, so viel scheint sicher: Prigoschin handelte aus Verzweiflung. Es scheint, als ob er alles auf eine Karte setzte – um sein eigenes Leben zu retten. Denn Moskau, so der Anschein, hatte keine Verwendung mehr für ihn.

Sein impulsives, provokantes Verhalten, gepaart mit skandalösen Ausbrüchen, hatte bereits vor einiger Zeit das Misstrauen gegen ihn verstärkt. Mit seinem Aufstand eskalierte er den Konflikt spektakulär und zog dadurch als Sieger aus Rostow ab, das er mit seiner Privatarmee besetzt hatte. Die Situation erlangte eine absurde Note, als ein Panzer der Wagner-Truppen im Eingang des Zirkus steckenblieb.

Prigoschin wagte es, sich Putin zu widersetzen. Trotz des klaren Befehls des Präsidenten, die Waffen sofort niederzulegen, trieb es der frühere Caterer des Kreml weiter auf die Spitze. In seinem Fadenkreuz nach wie vor: Verteidigungsminister Schoigu. Ihm wirft Prigoschin seit Monaten vor, seine Männer im Stich zu lassen, indem er ihnen dringend benötigte Munition verweigerte. Er nannte Schoigu einen «Verräter», «Feigling» und «Lügner», der für den Tod zehntausender russischer Soldaten verantwortlich sei.

Berauscht von der Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, wusste Prigoschin, dass er den Skandal auf die Spitze treiben musste, sonst würde er Rostow nie lebend verlassen. Der Trapezakt strebte seinem Höhepunkt zu. Tollkühn gab er aus seinem Wagen Interviews, winkte den Schaulustigen auf den Strassen von Rostow zu wie der Papst den Gläubigen. Doch genauso schnell, wie er gekommen war, verliess er die Stadt und beendete seine grandiose Vorstellung.

Ursprünglich ging es Prigoschin nur um Putins Aufmerksamkeit, doch nun sind die Augen der ganzen Welt auf Wagners «fliehende Russen» gerichtet. In den russischen sozialen Medien kursierte das Emoji eines Clowns, die treffendste Bezeichnung für Prigoschin. Es versinnbildlicht diesen Zirkus im Süden Russlands.

Auch auf der anderen Seite, fast zeitgleich, geht es in der Ukraine um das politische Überleben. Die Arena gleicht hier einem Boxring, denn nicht nur einer der Kontrahenten, auch die Sprache passt zu diesem Bild. Selenskyj drohte Bürgermeister Klitschko mit einem «Knockout». Bereits kursieren Spekulationen in den ukrainischen Medien über einen möglichen Nachfolger für den Ex-Profiboxer. Die Situation ist angespannt in Kiew.

Der Machtkampf ist keine neue Entwicklung, sondern entspringt einer langjährigen Rivalität zwischen Selenskyj und Klitschko, der seit 2019 schwelt. Der Präsident wirft dem Bürgermeister vor, nicht genügend Schutzräume für die Bewohner von Kiew eingerichtet zu haben. Nach intensiven russischen Luftangriffen kritisierte der Präsident den ehemaligen Boxer dann sogar öffentlich.

Klitschko verwahrte sich in seinem Telegram-Kanal gegen die Diffamierungskampagne und betonte, dass politische Auseinandersetzungen während des laufenden Konflikts mit Russland unangebracht seien.

Tatsache ist, dass Klitschko öffentlich unter Druck steht. Eine von Selenskyj angeordnete Prüfung ergab tatsächlich erhebliche Mängel bei den Bunkern. Klitschko soll zudem generell nicht ausreichend geeignete Schutzräume bereitgestellt haben.