Die Entscheidung eines Schweizer Gerichts zur in einem Sabotageakt gesprengten Nord-Stream-Pipeline könnte den deutschen Wahlkampf durcheinanderwirbeln: Das Zuger Kantonsgericht hatte im Januar beschlossen, die Nord Stream 2 AG noch nicht zu liquidieren, sondern die Entscheidung «ausnahmsweise bis 9. Mai 2025» auszusetzen.

Gründe seien die komplexe geopolitische Lage «sowie Wahlen in Deutschland im Februar 2025, die vermutlich eine massgebliche Auswirkung auf die Situation der Nord Stream 2 AG haben könnten». In dem Beschluss wird neben einem Verkauf der Pipeline auch eine «Sanierung der Gesellschaft» als mögliches Szenario für die Zukunft von Nord Stream 2 erwogen. Eine Sanierung ist jedoch nur vorstellbar, wenn die Pipeline repariert und wieder in Betrieb genommen wird.

Die Nord Stream 2 AG gehört dem russischen Gazprom-Konzern. Sie sollte russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland liefern. Die 1200 Kilometer lange Pipeline mit zwei Strängen wurde fertig gebaut, aber nie in Betrieb genommen.

Das umstrittene Gasgeschäft wurde nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 auf Eis gelegt. Einer der beiden Röhrenstränge wurde bei einem Anschlag Anfang September 2022 zerstört, ebenso wie die beiden Stränge der bereits in Betrieb genommenen Nord-Stream-1-Pipeline. Wer das getan hat, ist bislang unbekannt.

Die Spekulationen reichen von der Ukraine über Russland bis zu den USA als Auftraggeber. Die Betreibergesellschaft blieb auf hohen Schulden sitzen. Das Gericht in Zug gewährt seit Anfang Januar 2023 eine mehrmals verlängerte Nachlassstundung, um einen Konkurs abzuwenden. Er würde dazu führen, dass der alleinige Aktionär Gazprom und Investoren wie zum Beispiel der verstaatlichte deutsche Versorger Uniper die Kontrolle über das Projekt verlieren.

Verhindert wird dies derzeit eben durch eine Verlängerung des Verfahrens über die gesetzliche Frist hinaus, was Insolvenzrechtler als «äusserst ungewöhnlich» bezeichnen. Uniper hat laut vorliegenden Gerichtsakten dieser Verlängerung nicht widersprochen. Zuständig für die Aufsicht über Uniper ist das deutsche Bundesfinanzministerium unter der Leitung von SPD-Minister und Lindner-Nachfolger Jörg Kukies.

Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, fragt nach dem Grund von Unipers Schweigen: «Plant die Bundesregierung insgeheim die Inbetriebnahme der Nord-Stream-2-Pipeline?» Er fordert eine Klarstellung der Bundesregierung dazu, wie es mit Nord Stream weitergehen soll.

Die kommt auf Nachfrage bei Robert Habecks Wirtschaftsministerium prompt und lautet so: «Die Bundesregierung führt hierzu keine Gespräche, auch nicht mit Russland. Deutschland ist unabhängig von russischem Gas. Nach dem russischen Angriffskrieg hat Deutschland enorme Anstrengungen unternommen, um seine Gasinfrastruktur resilienter aufzustellen und zu diversifizieren. Insofern stellt sich derzeit die Frage einer Nutzung der Röhren für uns nicht.»

Ein Sprecher von SPD-Finanzminister und Uniper-Aufseher Kukies ist dagegen nicht ganz so eindeutig: «Wir werden weiterhin daran arbeiten, unsere Rechte zu wahren», sagt er dem Handelsblatt. Darin spiegelt sich die Interessenlage im Finanzministerium wider: Der verstaatlichte Uniper-Konzern war mit knapp einer Milliarde Euro an der Finanzierung der rund zehn Milliarden Euro teuren Pipeline beteiligt. Wenn es gelingen sollte, eine neue Verwendung für Nord Stream 2 zu finden, müssten Uniper und damit die deutschen Steuerzahler diese Summe nicht abschreiben.

Der Druck für eine Lösung, die nicht in einem Konkurs endet, ergibt sich auch aus Plänen des Trump-nahen US-Investors Stephen Lynch. Laut Medienberichten hat er beim US-Finanzministerium die Erlaubnis beantragt, für die Pipeline bieten zu dürfen, sollte diese im Rahmen eines Konkursverfahrens versteigert werden.

Die USA sanktionieren schon länger Geschäfte mit dem Pipeline-Unternehmen, weshalb der Investor eine Ausnahmegenehmigung beantragen musste. Lynch argumentiert in seinem Antrag, dass die US-Regierung einen besseren Hebel in Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine hätte, wenn die Pipeline in amerikanischer Hand wäre. Geht die Nord Stream AG nicht in Konkurs, käme Lynch allerdings nicht zum Zuge.

Fachleute zerbrechen sich schon länger den Kopf, was mit der Ruine in der Ostsee passieren könnte. Im Gespräch ist der Anschluss der reparierten Pipeline an ein Röhrensystem, das künftig Wasserstoff aus Finnland nach Deutschland transportieren könnte. Möglich sind aber auch erneute Gaslieferungen aus Russland, wenn der Krieg in der Ukraine vorüber ist.

Jacopo Pepe, Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, die die Bundesregierung berät, ist dort zuständig für den Bereich Energie mit Schwerpunkt Osteuropa und Russland. Er sagt es auf Anfrage so: «Natürlich würde eine Wiederinbetriebnahme von Nord Stream als Gaspipeline die Flexibilität in der deutschen Energieversorgung erhöhen. Doch das ist von einer politischen Lösung abhängig, und die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland darf nicht als Angebot in Friedensverhandlungen einfliessen. Deutschland muss sich ausserdem selbst klar werden, welche Rolle Gas in seinem künftigen Energiemix noch spielen soll.» Und in aller Deutlichkeit fügt er hinzu: «Niemand kann ein Interesse an einer Ruine auf dem Meeresgrund haben.»