Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe vom 4. Dezember 2024.

Amerikanische Firmen warnen: «Achtung, kaufen Sie jetzt vor dem Zoll-Schock noch rasch ein!» Mit Blick auf die vom nächsten US-Präsidenten Donald Trump angekündigten Zölle soll man jetzt bestellen, letzte Chance vor den grossen Preissteigerungen.

Trump hat Zölle von 60 Prozent auf alle chinesischen Waren und pauschale Zölle von 10 bis 20 Prozent auf Waren aus anderen Ländern in Aussicht gestellt. Vor Tagen kündigte er Zölle von 25 Prozent für Lieferungen aus Mexiko und Kanada sowie zusätzliche 10 Prozent auf Importen aus China an. Wie weit dies in die Tat umgesetzt wird, ist offen, aber Wirtschaft und Ökonomen sind in Aufruhr. Welche Wirkungen sind davon zu erwarten? An der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich haben Hans Gersbach, Paul Maunoir und Kieran Walsh die direkten Auswirkungen der Trump-Zölle auf Produktion und Output der Volkswirtschaften über die Nachfrage- und Preiskanäle abzuschätzen versucht.

 

Gibt es Gegenargumente?

Das Handelsmodell der KOF zeigt für das reale Bruttoinlandprodukt (BIP) der USA kurzfristig einen Rückgang um gut 2,5 Prozent und für China ein Minus von 0,5 Prozent und — lediglich —0,2 Prozent, wenn keine Vergeltungsmassnahmen ergriffen werden. Diese Asymmetrie zeigt, dass die US-Wirtschaft viel stärker von chinesischen Industrievorleistungen abhängig ist als umgekehrt. Langfristig ist der Rückgang des US-BIP um fast einen Prozentpunkt geringer als kurzfristig, da es mit der Zeit einfacher wird, Importe durch inländische und nichtchinesische Vorleistungen zu ersetzen. Die Trump-Zölle hätten für die Schweiz – etwas stärker als fürs übrige Europa – laut Modell kurzfristig einen BIP-Rückgang von gut 0,2 Prozent zur Folge, oder mindestens 200 Franken pro Kopf und Jahr.

Das legt den Schluss nahe: Zölle sind eine schlechte Sache für die Wirtschaft und die Menschen, Trump schädigt gerade das eigene Land massiv. Oder gibt es Gegenargumente? Den Hinweis etwa, dass Zölle ausländische Direktinvestitionen fördern, die ja oft als Alternative zu Importen gelten, oder dass Zollschranken die Innovationstätigkeit im Inland steigern, indem sie Industriechampions mehr Macht gäben oder junge Industrien geschützt aufwachsen liessen? Der Haken: Im Schutz sind junge Industrien kaum je erwachsen geworden.

Und wie steht es um die sogenannte strategische Handelspolitik, die vor allem in den 1980ern gross ins Gespräch kam, als das Kräftemessen zwischen den USA und Japan heisslief? Die Idee war, dass ein grosses Land fähig sei, durch Importzölle für ein bestimmtes Gut auf dem Weltmarkt dessen Nachfrage zu drücken und es billiger zu machen und/oder ein anderes Gut durch Exportzölle rarer und damit teurer zu machen. Beides zum eigenen Vorteil, in beiden Fällen erhöhen sich unter bestimmten Bedingungen – hohe Fixkosten, unvollständiger Wettbewerb – die Werte, die das grosse Land in der Hand hält.

Zoll-Muskelspiele zahlen sich so gesehen für den starken Player aus, weil er damit quasi Stellschrauben auf den Handelsmärkten zum eigenen Vorteil verstellen kann. Trifft das auf Trump zu?

 

Ein Hebel, den er direkt betätigen kann

Ein Stück weit scheint es so zu sein. David Dorn, Ökonomieprofessor am UBS Center for Economics in Society an der Universität Zürich, erkennt in Trumps Handelspolitik ansatzweise durchaus strategische Züge. Dorns Einschätzung: «Es scheint Trump bei seinem Vorgehen gegenüber den Nachbarländern Mexiko und Kanada nicht um Handelspolitik per se zu gehen, sondern vielmehr darum, mit Zöllen ein Druckmittel für andere Bereiche in die Hand zu bekommen, nämlich für die Migrationspolitik und die Drogenbekämpfung.» Zölle seien für Trump primär Instrumente, um direkt in andere politische Bereiche einzugreifen – und aus Sicht des Präsidenten sei es auch ein Hebel, den er direkt betätigen könne, ohne politische Umwege über einen Parlamentsbeschluss gehen zu müssen.

Die Erfolge in seiner ersten Amtszeit, als Trump in den Nafta-Nachverhandlungen Mexiko und Kanada rasch auf eine neue Linie von Handelsbeziehungen gebracht hatte, hätten ihn wohl darin bestärkt, diese neuesten Zoll-Initiativen zu ergreifen. Ähnliches gelte für die jahrelange US-Praxis, in internationalen Konflikten gegen unliebsame Länder Wirtschaftssanktionen zu verhängen.

Aber sind nicht Zölle an sich schädlich? Je nach Perspektive. Dorn hat in einer Untersuchung von 2024 zusammen mit Anne Beck, Gordon Hanson und David Autor gezeigt, dass es in den USA im Handelskrieg 2018/19 in jenen Regionen, die durch Importzölle geschützt wurden, keine bis geringe Beschäftigungsgewinne gab und in Regionen, die von chinesischen Vergeltungszöllen getroffen wurden, einen deutlichen Jobverlust. Zölle erscheinen also wirtschaftlich schädlich, weil sie nicht die angestrebten Beschäftigungsgewinne bringen und stattdessen die Inflation antreiben.

Aber Dorn ergänzt: Sie hätten auch die Auswirkungen auf die Wahlen 2020 untersucht, mit dem Resultat: In Gebieten mit Importzollschutz hätten die Republikaner Anhänger gewonnen, in Gebieten mit den chinesischen Vergeltungszöllen nur wenig verloren. Per saldo hätten Zölle sich also politisch für Trumps Lager trotz wirtschaftlich negativer Bilanz ausgezahlt.

Und schliesslich stellt sich die Frage, warum Trump sich auf das plumpe Instrument der Zölle beschränkt und nicht einen raffinierteren Protektionismus über Normen und Regulierung betreibt. Möglicher Schluss: Trump sucht als Dealmaker ein Instrument, das sich zum maximalen Poltern und Einsatz im Spiel, nicht zum maximalen Schaden eignet.