1600 Bürger in Deutschland ordnet der Verfassungsschutz der Kategorie «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» zu. Das geht aus einer aktuellen Antwort des Bundesinnenministeriums hervor.

Die Bundestagsabgeordneten Jessica Tatti, die dem Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) angehört, hatte eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die linke Tageszeitung Junge Welt berichtet, dass bereits 2022 rund 1400 Bürger unter dieser Kategorie beim Verfassungsschutz gelistet wurden. Damit hat sich die Anzahl der sogenannten «Delegitimierer» im Jahr 2023 um nochmals 200 erhöht.

Diese Zahlen werfen einen langen Schatten auf die bundesdeutsche Demokratie. Denn was soll eine «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» sein?

In den Antworten des Innenministeriums heisst es laut Junge Welt, Personen, die in die Kategorie einzuordnen seien, machten «demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich». Die beanstandete «Delegitimierung» erfolge oft «nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche», vielmehr über eine «ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates».

Diese Zeilen klingen nicht nach Demokratie. Sie klingen nicht nach Meinungsfreiheit. Sie klingen viel mehr nach Politikern, die große Angst vor Fundamentalkritik an ihnen und ihrem Handeln haben. Überhaupt: Was heißt «Verächtlichmachung»? Was heißt «Agitation»? Müssen Kabarettisten in Deutschland, die bisweilen auch gegen Staat und Politiker agitieren, nun Angst haben, dass sie von der Bühne abgeführt werden? Oder zumindest vom Verfassungsschutz als Delegitimierer unter Beobachtung gestellt werden?

Die Junge Welt verweist darauf, dass die Kategorie «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» in der Corona-Zeit entstanden ist. Wir erinnern uns: Ein aus dem Ruder gelaufener politischer Massnahmenexzess sorgte für großen Unmut in Teilen der Bevölkerung. Demonstrationen waren die Folge. Dass Formulierungen wie «Delegitimierung», «Verächtlichmachung», «Agitation», die die Dehnbarkeit eines Kaugummis haben, ist auf den ersten Blick offensichtlich. Aber wie weit dehnbar sind sie erst in den Händen eines Staatsapparats, der ein Problem mit Grundsatzkritik hat? Und: Wird von ihm bereits eine Anmerkung dieser Art als «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» verstanden? Wenn sich ein Journalist in einer Demokratie auch nur im Ansatz eine derartige Frage stellen muss, dann ist diese Demokratie bereits in schwerer Seenot.

Aus dem Artikel der Jungen Welt wird ersichtlich, dass die Lage tatsächlich ernst ist. Journalisten sind im Visier. Die Journalistin Aya Velazquez hat vor kurzem öffentlich gemacht, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird – sie ist in der neu geschaffenen Kategorie aufgeführt, wie sie durch Nachfrage bei der Behörde erfahren hat. Nach eigenen Worten lässt die Behörde Velazquez trotz Anfrage ihres Anwalts noch immer darüber im Unklaren, warum sie überhaupt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Was durch die Anfrage der Abgeordneten Tatti hier ans Licht kommt, ist ein unerträglicher Zustand für eine Demokratie. Die Kategorie «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» muss, im guten Sinne der Demokratie, abgeschafft werden. Am besten bis vorgestern.

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Zuletzt von ihm erschienen: «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen. Das Corona-Unrecht und seine Täter», Rubikon.