Dieser Text erschien zuerst auf dem Online-Portal Achgut.com.

Es ist Anfang 1950. Das nationalsozialistische Regime ist Vergangenheit. Das Verderben, das es gebracht hat, ist aber noch allgegenwärtig. In frischer Erinnerung sicher auch noch die Parolen, die die Nationalsozialisten bis vor kurzem im Mund geführt hatten und vor ihnen die Sozialdemokraten. Eine dieser Parolen lautete: «Alles für Deutschland». Und was Sozialdemokraten und Nationalsozialisten konnten (siehe «Auch Sozialdemokraten riefen ‘Alles für Deutschland’»), können wir auch, dachten sich wohl die Christdemokraten von der CDU, und riefen die Parole jetzt ebenfalls. Wohlwollend kommentiert von der Presse.

In der Ausgabe vom 28. Februar 1950 titelte der Erft-Bote auf Seite 8 (Faksimile oben im Bild): «Alles für Deutschland – Deutschland für Christus. Eindrucksvoller Parteitag der CDU». Im Bericht vom CDU-Parteitag wird Baron von Loe zitiert: «Unser Arbeiten muß ausgerichtet sein in dem Gedanken: Alles für Deutschland und Deutschland für Christus!».

Von einer Rede des rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministers Oskar Stübinger (CDU) auf dem evangelischen Kirchentag berichtete der Südkurier am 11. März 1950 auf Seite 5 wie folgt: «Der Staatsminister schloss seine Rede mit dem Wort: ‘Alles für Deutschland und Deutschland für Christus’». Die CDU hatte sich in ausdrücklicher Abgrenzung zu den Nationalsozialisten und auf Basis christlicher Werte 1945 neu gegründet. Das christliche Wertefundament stand augenscheinlich einer Verwendung der Parole nicht entgegen.

Auch Anti-Hitler-Parole

Was auch nicht verwunderlich ist. Denn die Parole war – auch – eine zeitübergreifende kirchliche Devise und eine des Anti-Hitler-Kampfes. So berichtete die Zeitung Badische Neueste Nachrichten am 22. Juni 1947 auf Seite 2:

«Als Sprecher der kath. Jugend von Karlsruhe erneuerte Werner Groh das Gelöbnis der Treue zur Kirche, Papst und Bischof. ‘Alles für Deutschland und Deutschland für Christus’ sei wie in der Vergangenheit so auch heute die Devise der kath. Jugend.»

Und während der nationalsozialistischen Herrschaft, aber in dem damals selbständigen Saargebiet, verwendete man die Parole gegen Hitler und seine Nationalsozialisten. 1935 ging es in der Saar-Volksabstimmung um die Frage, ob das Saargebiet zu Deutschland oder Frankreich gehören oder gesondertes Völkerbundgebiet sein solle. Der Neckar-Bote beschäftigte sich in der Ausgabe vom 10. Januar 1935 auf der Titelseite mit den Parolen der die Eingliederung nach Deutschland ablehnenden Separatisten und schrieb: «Und nun zur zweiten Parole: Alles für Deutschland – Nie zu Hitler … Wie sagen doch die Separatisten – alles für Deutschland – gegen Hitler!». «Alles für Deutschland» war also 1935 – auch – eine Anti-Hitler-Parole und wurde offen kommuniziert, wo und solange man es noch konnte.

Auch eine Parole der SED (Die Linke)

Nicht nur in der CDU fand die Parole «Alles für Deutschland» nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft Gefallen, sondern auch bei der sich antifaschistisch dünkenden SED (heute: Die Linke). Sie gab sich die Parole sogar als Leitmotto ihres Zentralorgans «Neues Deutschland». Zu dessen Gründung schrieben DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und DDR-Präsident Wilhelm Pieck (beide SED) am 24.04.1946 als Geleitwort: «Gestern habt Ihr die erste Nummer unseres Zentralorgans ‘Neues Deutschland’ in Eure Hände bekommen … Alles für Deutschland, alles für das neue Deutschland ist die Leitfahne unseres neuen Zentralorgans.» Es ist wenig sinnvoll anzunehmen, daß die beiden Herren ausgerechnet eine solche Parole zum Leitspruch ihres Zentralorgans gemacht haben, die – wie zwar vielfach, aber quellenlos behauptet – allgemein als SA-Parole wahrgenommen worden sein soll.

Auch eine Friedensparole

In der Bundesrepublik wurde die Parole noch 1957 im Bundestagwahlkampf unbeanstandet verwendet. Die Kleinpartei Bund der Deutschen, eine «Tarnorganisation» der SED in der Bundesrepublik, plakatierte mit der Parole: «Nichts für Atomrüstung und Nato – Alles für Deutschland und den Frieden». Zuvor hatte die KPD mittels der Parole ihrem Protest gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf Flugblättern Ausdruck verleihen: «… Keinen Mann für die amerikanische Armee! Alles für den Frieden! Alles für Deutschland» (Bild des Flugblatts liegt vor).

Parole gesichert ambivalent

Damit lässt sich historisch gesichert feststellen:

  1. Sozialdemokraten und Deutschnationale, ebenso Kirchenvertreter, nutzten die Parole «Alles für Deutschland» im Kampf gegen die Nationalsozialisten.
  2. Die Nationalsozialisten, darunter auch SA-Leute, machten sich die Parole nach der Machtübernahme zu eigen. Die Parole gehörte sodann – auch – zum allgemeinen Sprachgebrauch der Nationalsozialisten.
  3. Die Parole wurde noch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als explizite Anti-Hitler-Parole verwendet, wenn auch naturgemäß nur in dem Teil Deutschlands, der damals nicht dazugehörte.
  4. Unmittelbar nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes bis hinein in die späten 1950er Jahre verwendeten auch CDU und SED/KPD die Parole. Nicht erst Jahrzehnte später wie die CSU-Staatsministerin Dorothee Bär (siehe hier), als die Parole weithin in Vergessenheit geraten war.

Ist jetzt auch die Musketier-Losung strafbar?

Die ganze Absurdität der Diskussion zeigt sich beim früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er ist quasi der Meister des «Nazi-Sprechs». Im Bundestagswahlkampf warb er mit dem Satz: «Immer im Dienst, einer für alle, alles für Deutschland» (siehe hier) und verband gleich zwei (angebliche) nationalsozialistische Parolen in einem Satz miteinander. Am Ende die angebliche SA-Parole, davor die Musketierlosung.

Letztere ist eine lupenreine Parole der NSDAP. Das Jeversche Wochenblatt berichtete am 15. Oktober 1937 auf Seite 3 über eine anstehende Straßensammlung für das Winterhilfswerk: «Wir opfern nicht nur für einen einzelnen, sondern wir opfern für alle und dienen damit dem Wahlspruch der NSDAP: Alle für einen und einer für alle.» Bleibt abzuwarten, ob demnächst SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (siehe Olaf Scholz in Schweden: «Alle für einen, einer für alle») wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen vor Gericht gestellt wird. [Nebenbemerkung: Die Straßensammlung stand übrigens unter dem Motto: «Schaffende sammeln – Schaffende geben». Merke: Gender-Sprech ist Nazi-Sprech.]

«Nazi-Sprech» der SPD

Die unterschiedliche Behandlung von Parolen, die die Nationalsozialisten verwendet haben, wirft Fragen auf – an Justiz und Medien gleichermaßen. «Alles für Deutschland» wird kriminalisiert, «Gemeinnutz vor Eigennutz» und «Einer für alle, alle für einen» bleiben unangetastet. Obwohl die beiden letztgenannten Parolen eindeutig der NSDAP zuzuordnen sind, während die Zuordnung von «Alles für Deutschland» zur SA fragwürdig ist. Nur zur Erinnerung: Die Parole «Gemeinnutz vor Eigennutz» steht exklusiv und hervorgehoben im Parteiprogramm der NSDAP und sie war allgegenwärtig, ja den Deutschen quasi «eingeprägt; ab 1933 stand sie auf den 1- und 5-Reichsmarkmünzen (siehe hier und hier). Sie ist dadurch ähnlich dem auch auf Münzen verewigten Hakenkreuz sehr viel ns-spezifischer als die Parole «Alles für Deutschland» und für ein Verbot deutlich geeigneter.

Eigentlich müßten sich also wohl nahezu alle SPD-Genossen wegen wiederholter Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen schon lange im Gefängnis befinden. Denn nur wenige nutzen so intensiv «Nazi-Vokabular» wie die SPD – ob in Form der NSDAP-Parole «Gemeinnutz vor Eigennutz» oder der NSDAP-Parole «Einer für alle, alle für einen». Übrigens wäre auch die heute bevorzugte Version «Gemeinwohl geht vor Eigennutz» als unzulässig einzuordnen, da das Gesetz auch zum Verwechseln ähnliche Parolen verbietet.

Dass hier nicht fortwährend die Handschellen klicken, liegt darin begründet, dass entgegen weit verbreiteter Ansicht «Nazi-Sprech» an sich nicht verboten ist. Eine von Nationalsozialisten verwendete Parole ist nämlich nur dann verboten, wenn sie kennzeichnend/charakteristisch für eine konkrete nationalsozialistische Organisation war.

Diese Voraussetzung ist von vornherein nicht erfüllt, wenn die Parole allseitig bei Anhängern und Gegnern Verwendung gefunden hat – wie dies bei der Parole «Alles für Deutschland» oder der NSDAP-Parole «Einer für alle, alle für einen» der Fall ist. Sie sind zwar auch gerne von National-Sozialisten verwendet worden, aber nicht spezifisch national-sozialistisch. Es sind Allerweltsparolen.

Die Musketierlosung der NSDAP wurde zum Beispiel häufig auch von Feuerwehren, Soldatenorganisationen und Schützenvereinen verwendet, und mutmaßlich auch von SS und SA [diesseits nicht überprüft]. Und zu «Alles für Deutschland» ist alles gesagt.

Insofern würde es an der Beurteilung auch nichts ändern, wenn man etwa wie bei den beiden anderen Parolen schriftliche Belege (z. B. eine Art Statut) dafür finden würde, dass sich die SA die Parole «Alles für Deutschland» als Losung gegeben haben sollte. Denn etwas, was Anhänger und Gegner gleichermaßen verwenden, ist nicht kennzeichnend für die eine oder andere Seite, und damit auch nicht für die SA. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Parolen liegt augenscheinlich darin begründet, dass die einen Parolen vorzugsweise von SPD und anderen, dem linken Spektrum zuzuordnenden Gruppen benutzt werden, die andere Parole eher von solchen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden. Erstere besitzen die Meinungshoheit und die Machtpositionen und wollen sich «ihre» Parolen naturgemäß nicht «kaputtmachen» lassen und vor allem nicht daran erinnern, dass die Nationalsozialisten genuin sozialistisch waren. Für einen Rechtsstaat ist diese selektive Behandlung jedoch skandalös.

Das Fazit bleibt bestehen: Geschichtsvergessenheit

  1. Die Parole «Alles für Deutschland» war Allgemeingut und – wie die Nationalhymne – Ausdruck eines allgemeinen, partei- und gesellschaftsübergreifenden (häufig auch übersteigerten) Patriotismus. Vor, während und eine Zeitlang auch noch nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft.
  2. «Nazi-Sprech» an sich ist nicht strafbar. Deswegen müssen die SPD-Genossen für die wiederholte Verwendung von NSDAP-Parolen wie «Gemeinnutz vor Eigennutz» und «Einer für alle, alle für einen» nicht ins Gefängnis.
  3. Die Parole «Alles für Deutschland» ist aufgrund ihrer ambivalenten Verwendung durch Anhänger und Gegner der National-Sozialisten nicht den Nationalsozialismus kennzeichnend, erst recht nicht die SA. Sie ist also kein Kennzeichen der SA.
  4. Die Parole unterscheidet sich sehr deutlich von tatsächlich verbotenen Kennzeichen. Das zeigt der Vergleich mit dem Hakenkreuz: Weder vor noch während oder nach der nationalsozialistischen Herrschaft haben die Gegner der Nationalsozialisten dieses Symbol für eigene Zwecke eingesetzt. Und die Parole «Arbeit macht frei» stand auch nicht an sozial- oder christdemokratischen Lagertoren.
  5. Das Fazit aus dem ersten meiner Artikel zu diesem Thema bleibt bestehen: Wer die Parole «(Nichts für uns,) alles für Deutschland» kriminalisiert, ist geschichtsvergessen und politisch unanständig, der will Sprach- und Denkverbote aufstellen und jegliches Bekenntnis zu Deutschland, selbst ein sozialdemokratisches – und das ist neu hinzugefügt: christdemokratisches – diffamieren. Und es bleibt auch das weitere Fazit: Die Parole ist ein aus liberaler Perspektive abzulehnender Ausdruck kollektivistischer Gesinnung, egal ob von Sozialdemokraten, Christdemokraten oder Nationalsozialisten verwendet; aber sie ist legitim.
  6. Wer Menschen als «Nazis» diffamiert, weil sie die Parole «Alles für Deutschland» heute verwenden (solange dies nicht mit Ergänzungen wie «alles für den Führer» geschieht), der verunglimpft auch die Gegner der Nationalsozialisten, die diese Parole für sich und gegen selbige verwendet haben. Und der sollte sich schämen.

 

Ansgar Neuhof, Jahrgang 1969, ist Rechtsanwalt und Steuerberater mit eigener Kanzlei in Berlin.