Der Stimmungswandel lässt sich nicht mehr übersehen.

War Wolodymyr Selenskyj zu Beginn des Krieges eine gefeierte Ikone, muss er jetzt um Solidarität bangen. «Der Schatten der ‹Ukraine-Müdigkeit› hängt über den Wahlkampagnen von der Slowakei bis zu den Vereinigten Staaten», schreibt der Nachrichtensender der BBC.

Die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen militärischer Hilfe und der Zufriedenheit der Wähler herzustellen, mache «die Sache wirklich kompliziert», meint Serhiy Gerasymchuk vom Think Tank Ukrainian Prism.

Die Ukraine-Müdigkeit zeigte sich auch am jüngsten Treffen der G20: Die Schuld für den Krieg wurde in der Abschlusserklärung nicht mehr eindeutig Russland zugewiesen.

Sogar in Washington bröckelt die Solidarität mit der Ukraine. Bei Selenskyjs jüngstem Besuch in den USA war die Ukraine-Müdigkeit unverkennbar.

Hatte US-Präsident Joe Biden seinen Gast im Dezember 2022 noch als «Helden» und «Inspiration für die Welt» bezeichnet, nutzte er nun den neutraleren Begriff «Partner». Selenskyj sicherte sich vom Weissen Haus zwar ein weiteres Militärpaket im Wert von 325 Millionen Dollar, aber es war nicht der mehrere Milliarden Dollar schwere Deal, den er sich erhofft hatte.

Die USA sind keine Ausnahme: Staaten, die in den vergangenen Monaten die Ukraine grosszügig mit Geld, Waffen versorgt und Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet aufgenommen haben, melden jetzt ihre Zweifel am Sinn der Unterstützung an.

Sogar Polen, seit Kriegsausbruch einer der treuesten Verbündeten der Ukraine und einer der bedeutenden Waffenlieferanten der Ukraine, will künftig keine Rüstungsgüter mehr an seinen Nachbarn liefern. Es stehen Parlamentswahlen an. Polen brauche die Waffen selber, um sich verteidigen zu können, begründete Premierminister Mateusz Morawiecki das Aus für Waffenexporte.

Dass Kiew nicht mehr auf eine automatische und überwältigende Solidaritätswelle wie in den Monaten nach Kriegsausbruch zählen kann, rügte Anfang September die ukrainische First Lady in einem Interview mit ABC News. Sie habe Angst, dass die Welt gegenüber dem Konflikt zwischen der Ukraine und Russland «selbstgefällig» geworden sei.