Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Als Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger im Sommer auf der inzwischen berühmten Demonstration im bayerischen Erding forderte, die schweigende Mehrheit müsse sich «die Demokratie zurückholen», brach ein Sturm der Entrüstung los: Politologen überboten sich in messerscharfen Analysen, dass dies ein «rechtspopulistisches», «neurechtes» Narrativ sei. Bayerns Grünen-Chefin Katarina Schulze forderte den Rücktritt Aiwangers als Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident, und selbst der sonst so besonnene Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), kam seinen wahlkämpfenden Parteifreunden im Nachbarland mit der Einschätzung zu Hilfe, dass solche Wortwahl «gefährlich» sei.
Botschaft: Wer solches sagt, unterstellt die Kaperung der Demokratie durch andere, was ja schon deshalb nicht sein kann, weil Linke und Grüne mit ihrer Dominanz im öffentlichen Raum sehr zufrieden sind.
Als dieser Tage die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, die Wahlverluste ihrer Partei bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern unter anderem damit begründete, dass Wahlkampf «explizit auch gegen die Grünen» gemacht wurde, und erklärte: «Unsere Demokratie ist stark, aber wir müssen sie uns jetzt auch zurückerobern», passierte exakt – nichts.
„Unsere Demokratie ist stark, aber wir müssen sie uns jetzt auch zurückerobern“
Emily Büning, Bundesgeschäftsführerin, Grüne pic.twitter.com/S6ggbX7spa
— Argo Nerd (@argonerd) October 10, 2023
Ein paar hämische Kommentare auf Twitter, aber kein Shitstorm, keine öffentliche Entrüstung, dass die Grünen sich offenbar für die einzig wahre «Demokratie» oder zumindest deren Sachwalter halten, keine Rücktrittsforderungen, nicht mal vernehmbare Kommentare. Und das, obwohl die Grünen in dieser Tonlage Wiederholungstäter sind. Ex-Parteichef Habeck hatte einst im Thüringen-Wahlkampf erklärt, die Grünen müssten dafür sorgen, dass Thüringen «demokratisch bleibt», was natürlich hanebüchener Unsinn war.
Der Vorgang ist unter verschiedenen Blickwinkeln allerdings durchaus bemerkenswert. Zum einen entspricht es in der Tat dem links-grünen Selbstverständnis, dass ihre Themen, ihr Programm und ihre Weltsicht gewissermassen «die Demokratie» seien, während abweichende Ansätze im Grunde Fehler oder zumindest illegitim sind.
Zum anderen wirft es ein Schlaglicht auf die nicht repräsentative Medienlandschaft, die die deutsche Öffentlichkeit beschallt. Ein Missstand, der viel beklagt und offenbar unlösbar ist, der im links-grünen Lager für «normal» gehalten und jenseits davon als zunehmend unerträgliche Schieflage unter anderem auch in der Schärfe der Kritik an der amtierenden Bundesregierung wahrgenommen wird.
Und schliesslich zeigt der Vorgang, wie es auf dieser medialen Grundlage gelingt, eine Art «Operation Goldwaage» äusserst geschickt asymmetrisch gegen das bürgerliche Lager zu wenden, indem deftige Wortwahl, Zuspitzungen und derbe Attacken regelmässig und mit grosser Vehemenz von Links der konservativ-liberalen Konkurrenz aggressiv vorgeworfen werden und erfolgreich zum disziplinierenden schlechten Gewissen im spät-merkelesken Lager rechts der Mitte führen. Mögliche Retourkutschen scheitern an der medialen Brandmauer, die etwa gleiche grüne Entgleisungen einfach nicht zur Kenntnis nimmt oder entschuldigt.
Im Gegenteil: Wenn es darum geht, der bürgerlichen Opposition Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, NS-Nähe oder vermeintliches Kuscheln mit der AfD zu unterstellen, nimmt es die deutsche Medienlandschaft freudig auf und leistet Feuerschutz. Ganz gleich, wie albern und abwegig die Vorwürfe auch sein mögen. So sei etwa die öffentliche Kritik an den Grünen mitverantwortlich für Steinwürfe etc. auf die Grünen, weil die Union so böse Worte wie «Zwangsveganismus» verwende …
Kurz: Es ist ein altes Spiel, das alle kennen und dem sich die Bürgerlichen inzwischen weitgehend devot unterwerfen.
Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.
Richtig: "Kurz: Es ist ein altes Spiel, das alle kennen und dem sich die Bürgerlichen inzwischen weitgehend devot unterwerfen." Und wäre dem nicht so, wären linksgrün nicht so weit gekommen. Sie haben alles im Griff, behaupten aber das Gegenteil.
Helmut Schmidt, Altbundeskanzler, sagte, "am Ende des 21. Jahrhunderts werden mehr Moslems auf der Welt leben, als sogenannte Weisse". Er meinte, wir sollten uns darauf einstellen, ob fatalistisch oder nicht. Für die Grünen wäre er vermutlich schon ein Nazi, weil er zwischen Weissen und Moslems unterschieden hat. Nur die Erwähnung von Unterschieden kann ja schon gefährlich sein. Auch Henry Kissinger gehörte noch zur weissen Welt. Bürgermeister von Hannover ist ein Moslem. Schmidt lag richtig.
Der Hubert Aiwanger muss aus einer Gegend kommen, wo es früher konservativ zuging. Mir ist das geläufig. In meiner späten Schulzeit gab es auf dem Land eine rote Revolution, der Kommunismus brach in der Kleinstadt aus. Die CDU hatte nur noch 31 Sitze, die FDP 7, die SPD 3, mehr Parteien gab es nicht im Rat. So rot war es früher nie. Versammelt wurde sich im Hubertushof und im Kolpinghaus. Da ist Bayern Norddeutschland nicht fern. Auf die Idee rot oder grün zu wählen kam die grosse Mehrheit nie,