Präsident Trump vertritt zwar kein detailliert ausgearbeitetes Programm – an derartige Programme seiner Mitarbeiter würde er sich auch nicht unbedingt halten –, aber er vertritt einige klare Grundgedanken. In der Sicherheitspolitik hat er die Auffassung, dass die Verbündeten der USA von den Allianzen mehr profitieren als die USA selbst. Wenn man sich ansieht, welche Anteile am Bruttoinlandsprodukt verschiedene Länder in die Landesverteidigung investieren, dann ist offensichtlich, dass kein Partnerland und schon gar nicht über längere Zeiträume mit den USA mithalten kann. Das kann man die Ausbeutung des Grossen durch die Kleinen nennen. Diesen Zustand will Trump beenden.
Ob dieser Tatbestand die isolationistische Schlussfolgerung rechtfertigt, dass die USA ohne Bündnisverpflichtungen besser als mit diesen Verpflichtungen dastünden, folgt daraus nicht. Das müsste anders begründet werden. Am plausibelsten wäre der Hinweis auf die privilegierte geopolitische Lage der USA: weit entfernt von wirtschaftlich oder militärisch auch nur annähernd gleichwertigen Mächten, von zwei Ozeanen geschützt, so dass eine Invasion mit Bodentruppen kaum vorstellbar ist.
In Anbetracht der amerikanischen Atomstreitkräfte wäre ein denkbarer Angriff mit Raketen und Atomwaffen für jeden Angreifer selbstmörderisch. Die Grösse und Ressourcenvielfalt der Volkswirtschaft macht zwar eine Autarkiepolitik noch nicht sinnvoll, aber immerhin weniger absurd als bei kleineren Volkswirtschaften. Ausserdem betrachten die USA schon lange die ganze westliche Hemisphäre als ihre Einflusszone. Obwohl immer mal wieder Länder dagegen aufmucken – am dauerhaftesten Kuba –, haben die USA bisher erfolgreich nennenswerte Militärstützpunkte raumfremder Mächte in ihrer Hemisphäre verhindert. Für keine andere Grossmacht ist der Isolationismus eine so plausible Lösung ihrer sicherheitspolitischen Probleme wie für die USA.
In der Handelspolitik verbindet Trump grundsätzlich falsche mit richtigen Gedanken. Obwohl Freihandel allen Beteiligten nutzt, jedenfalls dann, wenn sie sich ihren komparativen Kostenvorteilen entsprechend spezialisieren, hält Trump die amerikanische Freihandelspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg für einen Fehler und für die Ursache des amerikanischen Niedergangs. Dabei übersieht er, dass im letzten Jahrzehnt der Abstand zwischen der amerikanischen Wirtschaftskraft und der chinesischen oder japanischen oder deutschen gewachsen statt geschrumpft ist, was nicht so recht zur Niedergangsthese passt.
Zwar schadet Freihandel keiner daran beteiligten Volkswirtschaft, aber einzelne Unternehmen und sogar ganze Branchen können bei Freihandel ihre Wettbewerbsfähigkeit zugunsten ausländischer Wettbewerber verlieren, was für die Kapitaleigner und Arbeitnehmer spürbare Opfer bedeutet. Weil die Freihandelsvorteile diffus sind und sich vorwiegend auf die Konsumenten auswirken, die Verluste von Unternehmen, Branchen oder Industrieregionen aber konzentriert sind, sind Letztere politisch bedeutsamer als die Vorteile, die den meisten Begünstigten gar nicht auffallen. Das hat Trump verstanden. Das kann er auch mit Arbeitsplatzverlusten in den Industrieregionen des Mittleren Westens durch chinesische und andere Konkurrenten illustrieren.
Protektionismus und Wirtschaftskrieg schadet zwar allen beteiligten Volkswirtschaften, aber einzelne Unternehmen, Branchen, sogar Regionen können dabei Gewinner sein. Trump hat zu Recht erkannt, dass nicht alle Länder im gleichen Ausmass darunter leiden. Generell dürfte gelten: Je grösser und reicher eine Volkswirtschaft ist, desto eher hält sie Protektionismus und Wirtschaftskrieg aus. Die USA, aber auch China würden deutlich weniger darunter leiden als Deutschland oder Japan und noch kleinere Volkswirtschaften.
Protektionismus und Wirtschaftskrieg sind also nur dann schlecht, wenn es um den Wohlstand aller oder auch das eigene materielle Wohlergehen geht. Wenn es stattdessen um den Rangplatz in einer Hackordnung geht, dann können Protektionismus und Wirtschaftskrieg durchaus geeignete Mittel zur Zielerreichung sein. Gegenüber China wollen Trump und viele andere Amerikaner Protektionismus als Waffe einsetzen. Kollateralschaden für die heimischen Konsumenten und erst recht für andere Volkswirtschaften, die sich an diesem Wirtschaftskrieg zwischen den beiden grössten Wirtschaftsmächten der Welt nicht beteiligen möchten, wird dabei in Kauf genommen. Das gilt auch für die bisherigen Verbündeten der USA wie Australien, Grossbritannien oder Deutschland.
Das führt zu der Frage, ob Trump und das Maga-Lager (Make America Great Again) das Ausmass der Kollateralschäden umfassend genug einschätzen. Trumps bevorzugte Waffe im Einsatz gegen China sind Zölle. In Anbetracht der Exportorientierung der chinesischen Volkswirtschaft, der in vielen Branchen vorhandenen Überkapazitäten und der ohnehin schwächelnden chinesischen Wirtschaft – ablesbar etwa an der Krise der Immobilienwirtschaft oder der Jugendarbeitslosigkeit in den Städten – werden amerikanische Zölle sicher zur Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums beitragen. Es ist durchaus plausibel, dass die Zölle und andere amerikanische Massnahmen im Wirtschaftskrieg die chinesische Volkswirtschaft härter treffen als die amerikanische.
Der wichtigste heimische Kollateralschaden für die USA dürften Preissteigerungen für viele Produkte sein, entweder weil letztlich der amerikanische Konsument die Zölle auf chinesische Waren zahlt oder weil amerikanische Konkurrenten den aus den Zöllen für sie resultierenden Preiserhöhungsspielraum nutzen. Trumps Handelspolitik ist nicht der einzige inflationäre Impuls, der von seiner Politik ausgeht. Seine Abneigung gegen Haushaltsdisziplin bzw. Bereitschaft zur Verschuldung des Staates wirkt in die gleiche Richtung. Weil weder die Höhe der Zölle noch die Dynamik der Verschuldung des amerikanischen Staates oder die Reaktion der Federal Reserve jetzt schon feststeht, ist das Ausmass der inflationären Gefahren schwer abschätzbar.
Zölle, Embargos und Sanktionen gegen China sind offensichtlich wirksamer, wenn sie nicht einseitig nur von den USA eingesetzt, sondern auch von den Verbündeten unterstützt werden, so dass China seine Exporte nicht einfach umleiten kann, etwa in die EU. Die Gleichzeitigkeit der sicherheitspolitischen und handelspolitischen Wende in den USA muss allerdings die Bereitschaft der Verbündeten senken, mit den USA gegen China zusammenzuarbeiten. Warum sollen die Verbündeten, beispielsweise die EU-Länder, gerade zu der Zeit den USA zuliebe den gegenseitig profitablen Handel mit China stark beschränken, in der die USA selbst den Anschein erwecken, sich von der sicherheitspolitischen Partnerschaft lösen zu wollen und mit Zöllen und anderen Massnahmen auch den freien Handel zwischen der Festung Amerika und den eigenen Verbündeten behindern, einschliesslich des transatlantischen Handels?
Trump kann damit recht haben, dass die alte Lastenteilung mit der sicherheitspolitischen Ausbeutung der grossen USA durch die (relativ) kleinen Verbündeten, kombiniert mit Freihandel zumindest innerhalb der westlichen oder freien Welt, die USA zu stark belastet haben, aber das bedeutet nicht, dass jetzt eine umgekehrte Lastenteilung von den bisher immer noch Verbündeten akzeptiert werden kann und wird.
Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass Zölle und andere Massnahmen im Wirtschaftskrieg nicht nur handelspolitische, sondern auch direkte sicherheitspolitische Wirkungen haben. In den letzten dreissig Jahren hat es eine Vielzahl von statistischen Analysen zu der Frage gegeben, wie sich der zwischenstaatliche Handel und andere Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf die Konfliktgefahr auswirken. Häufig ist dabei herausgekommen, dass Handel und Zusammenarbeit das Konfliktrisiko senken. Eindrucksvolles Beispiel für den pazifizierenden Effekt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die Versöhnung zwischen den Kriegsgegnern des Zweiten Weltkrieges, den Westmächten einerseits und Deutschland und Japan andererseits.
Ob sich der friedensfördernde Effekt auch im Falle der USA und Chinas zeigen würde, ist offen. Aber zu denken geben sollte, dass vor Beginn des asiatischen Teils des Zweiten Weltkriegs die USA ein Ölembargo und Handelsbeschränkungen gegen Japan verhängt hatten, also vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor kein kommerzieller oder kapitalistischer Frieden herrschen konnte. Ein Wirtschaftskrieg gegen China kann durchaus das Kriegsrisiko erhöhen. Dann bliebe einzig und allein die Hoffnung auf Frieden durch Furcht vor dem Atomkrieg und der gegenseitigen Vernichtung. Man muss natürlich zugeben, dass die Daten und Analysen nicht dafür sprechen, dass der kommerzielle oder kapitalistische Frieden immer und überall mit Gewissheit wirkt, aber man sollte da auch beim Frieden durch Furcht vor dem Atomkrieg vorsichtig sein statt blind der Wirksamkeit nuklearer Abschreckung zu vertrauen.
Es gibt nur zwei Mächte, die als ernste Herausforderer der USA in Frage kommen: Russland wegen seiner Atomstreitkräfte und China wegen seiner Wirtschaftskraft. In Trumps Maga-Bewegung äussern sich die isolationistischen Tendenzen vorwiegend in Bezug auf Europa, weniger in Bezug auf Asien. Dafür gibt es gute Gründe. Auf lange Sicht ist nicht das wirtschaftlich schwache und von Bevölkerungsschwund geplagte Russland, sondern das wirtschaftsstarke China trotz seines ebenfalls vorhandenen Bevölkerungsschwundes der bedeutsamere Rivale der USA. Im Gegensatz zu Russland hält China auch ein lang andauerndes Wettrüsten aus.
Deshalb ist es für die USA naheliegend, Russland den Europäern zu überlassen und sich auf die Rivalität mit China zu konzentrieren. Zu Ende gedacht bedeutet das sogar den Versuch, Russland aus dem De-facto-Bündnis mit China zu lösen. Bei diesem Versuch könnten Teile der Ukraine oder sogar das ganze Land geopfert werden. Aus rein machtpolitischer Sicht könnten die USA das Ende des chinesisch-russischen Einvernehmens und erst recht ein Wiederaufleben der chinesisch-russischen Rivalität als Erfolg ansehen, egal was mit der Ukraine geschieht. In Anbetracht seiner militärischen Schwäche könnte Europa daran nichts ändern.
Während des Kalten Krieges funktionierte die atomare Abschreckung nicht nur zwischen den beiden Supermächten, sondern auch als erweiterte Abschreckung zwischen den Blöcken. Dabei wurde der Ostblock im Wesentlichen durch die Stationierung sowjetischer Truppen und Gewalt, der Westblock oder die freie Welt neben Verträgen nicht zuletzt auch durch Freihandel und Wohlstand zusammengehalten. Die industriellen Kraftzentren der Welt und damit die rüstungswirtschaftlich relevanten Teile der Blöcke blieben da, wo sie waren. Seitenwechsel oder Versuche dazu gab es während des Kalten Krieges nur an den Rändern, bei wirtschaftlich unbedeutenden Ländern. Als die Stabilität im Hinterhof der USA, in Kuba 1962, in Frage gestellt wurde, drohte schon die Eskalation.
In der sich jetzt abzeichnenden Situation grösserer Machtverschiebungen und abnehmenden Zusammenhalts der ehemals freien Welt dürfte die Aufrechterhaltung der Abschreckung eine anspruchsvollere Aufgabe werden, als sie während des Kalten Krieges jemals war. Zunehmendes Desinteresse der Amerikaner an Europa kann die Abschreckung nur untergraben. Auf die Ergänzung der Abschreckung durch einen kapitalistischen oder kommerziellen Frieden glauben die Maga-Leute trotzdem verzichten zu können.
China versendet ja nicht einfach so Waren in die USA. In der Regel sind es US Firmen die einkaufen, dann verkaufen oder verbauen. Ein Carbon Rahmen, Fahrrad, kostet ca. 30-80 Dollar, in den Staaten, oder auch Europa, dann ca. 300 - 600 Dollar. Nur als Beispiel. Die Zoll Debatte ist damit reine Stimmungsmache. Sie offenbart, dass nicht durch Produktion, sondern durch Zwischenhandel Profite erzielt werden. Produktion rechnet sich oft nicht. Zu hohe Kosten. Ein Dilemma des Westens.
"I’m Gonna MAGA You, Baby", schreibt Pepe Escobar. "Diese ganze brisante Kette von Ereignissen ist im Wesentlichen aus einem einzigen Grund in Gang gekommen: Das Imperium des Chaos hat den Stellvertreterkrieg in der Ukraine verloren. Was noch zu diskutieren bleibt, ist die Art der Kapitulation. Es ist also kein Wunder, dass Trump sich eine verführerische, aber dennoch gefährliche, überlebensgroße psychologische Operation ausdenken musste," https://www.unz.com/pescobar/im-gonna-maga-you-baby/
Der Inhalt des Artikels stammt m.E. aus einer ‚auslaufenden Zeit‘. Zölle sind nicht per se schlecht. Sie können einen wesentlichen Beitrag für die Finanzierung eines Staatshaushaltes liefern und die Steuerlast auf privatem Einkommen reduzieren. Heute profitieren v.a. US-Grosskonzerne vom Freihandel. Sie zerstören damit aber auch die ‚produktive‘ Basis im Heimmarkt. China und Russland sind sich ihrer ‚Zwangspartnerschaft‘ bewusst: zusammen sind sie stark - alleine schwach!