Da sind derart viele Negativschlagzeilen und politische Skandale, dass man nicht weiss, wo man anfangen soll. Fast scheint es, als habe Viola Amherd (Mitte) die Ambition, die Nachfolge von Affärenkönig Alain Berset (SP) anzutreten. Noch auf der letzten Meile ihres Präsidialjahres lieferte sie ihren Kritikern Munition fast im Stundentakt: Am 12. Dezember enthüllte die Weltwoche Amherds «Nato-Sündenfall».

Kaum besser die News an der Heimatfront: Der Armee drohe der «Blackout ihres veralteten Radarsystems», und das neue laufe auf Jahre hinaus noch nicht, schrieb die NZZ am 7. Dezember. Am 9. Dezember verbreitete die bundeseigene Rüstungsbeschafferin Armasuisse die Nachricht, die Schweizer Luftwaffe verfüge «aktuell über kein teilmobiles Radarsystem, das in der Lage wäre, den unteren Luftraum abzudecken». Eine noch grössere Lücke auch im mittleren Luftraum entstehe 2030 mit der Ausserdienststellung des taktischen Fliegerradars. Wieder zwei Tage später, am 11. Dezember, berichtete der Tages-Anzeiger, die Armee halte bei einem anderen wichtigen Beschaffungsgeschäft, der Luftverteidigung, die eigene Frist nicht ein, es habe nur «eine einzige Firma» offeriert. «Das war der Armee zuvor noch nie passiert.» .» Am 14. Dezember machte der Tagi mit einer Geschichte über die Millionen-Abfindungen für Ruag-Chefs auf. «Politiker von links bis rechts sind irritiert.»

Wenn wir das Rad zurückdrehen, geht es im munteren Rhythmus weiter. Dabei – und das wäre das Erklärungsbedürftige am Phänomen Amherd – kommt sie trotz allem ihrem Ziel einer Nato-Anbindung der Schweiz immer näher. Personen, die Einsicht in die Arbeitsweise der Bundespräsidentin haben, schildern sie als eher unbedarft, zur Oberflächlichkeit neigend und stur. Es sei auch nicht so, dass sie sich durch strategische Eleganz auszeichne, einer durchdachten übergeordneten Idee folge, politische Kampagnen meisterhaft orchestriere, vielmehr trample und stolpere sie herum, verschlage hier und dort Geschirr, müsse im Bundesrat oder im Parlament in eine zweite, dritte Runde – und habe am Ende doch irgendwie Erfolg mit ihrem Schicksalsprojekt der Neutralitätszertrümmerung.

 

1 – Wo bleibt der Führungsanspruch?

Nach dem National- hat zwar auch der Ständerat in der Wintersession beschlossen, das Armeebudget kurzfristig zu erhöhen. Aber damit ist die Einigkeit auch schon vorbei. Bei der Frage, wie es weitergehen soll und wann das angestrebte Ziel von einem Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung zu erreichen ist, herrscht Kakofonie. Die Grosse Kammer zielt auf 2030, die Kleine auf 2032. Und der Bundesrat, in dem Amherd sitzt, peilt gar erst 2035 an. Jedenfalls entsteht nicht der Eindruck, dass die Verteidigungsministerin in der Debatte um die Verteidigungsausgaben einen Führungsanspruch erhebt. Lieber will sie Brüssel und Kiew sichern als die die Schweiz.

 

2 – Präsidentenlohn für Busenfreundin

Die Schlagzeile der NZZ am 29. Oktober lautete: «Die Beraterin der Bundesrätin Viola Amherd verdient mehr als der US-Präsident». Die Rede war von Amherds Busenfreundin Brigitte Hauser-Süess, die für sie offenbar die Rolle einer derart unverzichtbaren Einflüsterin spielt, dass sie über das ordentliche Pensionsalter hinaus vergoldet werden muss. Die Affäre Hauser-Süess beherrschte tagelang die Zeitungsspalten. Amherds Spindoktoren machten es nur noch schlimmer, indem sie ein Dementi veröffentlichten, das alle Vorwürfe bestätigte.

 

3 – Der Armeechef ist angezählt

Zweifel wachsen derweil auch an der obersten Führung der Armee. Oberstleutnant Christoph Mörgeli bezeichnete Armeechef Thomas Süssli Mitte Oktober in der Weltwoche schlicht als den «falschen Mann». Vor lauter Rüstungsflops und Nato-Anbindung vergesse er seinen Auftrag. Warum Amherd den «umgänglichen, wenig profilierten, weitgehend unbekannten» gelernten Chemielaboranten und späteren Wirtschaftsinformatiker gewählt habe, bleibe vielen Beobachtern bis heute ein Rätsel. Trotzdem schickte Amherd den bedauernswerten Süssli ins Feuer, als im März ein Zahlensalat um einen «Finanzengpass» und «massive Geldprobleme» der Armee (Blick) die Headlines beherrschte.

 

4 – Waffen für die Achse Berlin–Kiew

Ebenfalls im Oktober zündete Amherds Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) diese neutralitätspolitische Bombe: Unter dem harmlosen Titel «Abtausch von Lieferterminen für Panzerabwehrlenkwaffen mit Deutschland» verkündete es einen Verzicht auf dringend benötigte Rüstungsgüter zum Schutz der eigenen Bevölkerung – zugunsten der Ukraine. Zuvor hatte die deutsche Bundesregierung Druck auf Amherd ausgeübt. Ein Druck, dem sie nur allzu gerne nachgab. So jedenfalls kann man die dienstfertige VBS-Mitteilung interpretieren, Anfragen dieser Art böten der Schweiz «die Gelegenheit, ihre wichtigen Partner punktuell zu unterstützen». Die Schweiz unterstreiche damit «ihre Absicht, die internationale sicherheitspolitische Zusammenarbeit zu stärken».

 

5 – Sicherheitkommission für Brüssel

Am 29. August legte eine von Amherd ausgewählte «Studienkommission Sicherheitspolitik» einen Bericht vor, den die NZZ kurz und bündig mit «mehr Nato» beschrieb. Darin betätigte sich die Verfasserin und Philosophin Katja Gentinetta als einfühlsames Sprachrohr Brüssels. Sowohl die Militärallianz wie die EU-Kommission hätten «klare Erwartungen» an die Schweiz: «Das Wiederausfuhrverbot wird nicht verstanden und eigentlich auch nicht mehr akzeptiert.» Amherd wusste, wen sie da ins Boot holte. Gentinetta erwog bereits 2010 als Alternative zum bilateralen Weg einen EU-Beitritt.

 

6 – Militärische Annäherung an die EU

Die Zeitungen aus dem Haus Tamedia schrieben es Ende Juli unverblümt: «Amherd will die Schweiz militärisch der EU annähern.» Und weiter: «Amherd will mit EU und Ukraine den Cyberkrieg trainieren.» Die Schweiz, so die Absicht, solle bei Pesco mittun, dem militärischen Arm der Union. Damit würde sie auch dem «Schengen der Streitkräfte» beitreten und müsste den Durchmarsch fremder Armeen erlauben. Und wieder bestellte Amherd ihre Schönfärber: Die militärische Verlobung mit Brüssel bringe «keine rechtlich verbindlichen Verpflichtungen oder De-facto-Abhängigkeiten mit sich, die es der Schweiz verunmöglichen würden, ihre neutralitätsrechtlichen Pflichten einzuhalten», süssholzraspelte das VBS. Fehlt nur noch, dass Amherd behauptet, auch die Abschaffung der Neutralität sei mit der Neutralität vereinbar.

 

7 – Selenskyj-Show auf dem Bürgenstock

Mitte Juni fand auf dem Bürgenstock die weltbekannte Nichtfriedenskonferenz statt. Im Bildgedächtnis haften blieb eine Schweizer Bundespräsidentin, die aus der Reihe der Staatsoberhäupter tanzt, den Kopf vorstreckt und lächelnd einen kleingewachsenen Mann neben ihr anschwärmt: Ukraine-Präsident Selenskyj. Eine Aufnahme mit Symbolcharakter. Die Fäden zog Kiew, das auch bestimmte, dass Moskau keinesfalls mit am Tisch sitze. Amherd, so hört man im Bundeshaus, sprang sofort auf den Zug auf – und brockte die Selenskyj-Show dem Aussendepartement ihres Kollegen Ignazio Cassis (FDP) ein, was in der Bundesrats-WG für Verstimmung sorgte.

 

8 – Schlamassel um Staatssekretariat

Über Monate zog sich die Affäre um die Besetzung des Spitzenpostens des von Amherd neugeschaffenen, von Beobachtern als völlig überflüssig und gefährlich taxierten Staatssekretariats für Sicherheitspolitik (Sepos) hin. Gleich zwei Kandidaten wurden im Bewerbungsverfahren verbrannt, auch aus politischen Gründen. Diplomat Jean-Daniel Ruch war zu wenig Nato-hörig – etwas, was man von der zur Nummer zwei aufgestiegenen Pälvi Pulli nicht sagen kann. Die Finnin in Diensten der Eidgenossenschaft gilt als internationalistische Überzeugungstäterin, die die Schweiz lieber heute als morgen in der Westallianz sähe.

 

9 – «Walliser-Connection»

Über das ganze Jahr und darüber hinaus machten Fälle von Beziehungsdelikten im Amherd-Departement Furore. Als Verwaltungsratspräsidenten der Ruag installierte sie einst Nicolas Perrin, einen branchenfremden Bähnler und Schwager von Hauser-Süess, der über einen krummen Ukraine-Deal stolperte. Nun hat sie ihn durch den ebenfalls branchenfremden, staatsnahen Asylunternehmer Jürg Rötheli ersetzt, die Weltwoche schrieb von «CVP-Filz in Amherds Waffenschmiede». Weiter schritt die Finanzdelegation beider Räte ein, als Amherd ihren Walliser copain Roger Michlig in der Spitze des Verteidigungsdepartements platzieren wollte. Und schon im April berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen von einer «Walliser-Connection» und dem «Vorwurf der Vetternwirtschaft». Damals ging es um den Sohn und die Schwiegertochter von Hauser-Süess.

Es gäbe noch mehr zu vermerken, doch der Platz reicht nicht aus für all die Pleiten und Pannen dieses Präsidialjahrs. Entscheidend ist auch nicht, ob Amherd eher eine leere Hülle ist, die von den starken Persönlichkeiten in ihrem Umfeld mit Ideologie gefüllt wird – sei das eine Hauser-Süess, eine Pulli, ein Mitte-Chef Pfister –, oder ob sie wirklich beseelt ist von dem, was sie treibt. Entscheidend ist der politische Kurs, den sie fährt. EU, Nato, USA – das sind ihre Leitsterne, das ist das Dreigestirn, das sie blendet.

Obwohl es ihr, wie Insider urteilen, an Urteilskraft mangelt, obwohl sie aufreizend oberflächlich über Schicksalsfragen des Landes hinwegsurft, obwohl die von ihr in Auftrag gegebenen Papiere und Berichte von Leerformeln und Plastiksätzen wimmeln, kommt sie damit durch. Das mag am Zeitgeist liegen, der ihr zufliegt, aber sicher auch an der machtpolitischen Konstellation in Bundesbern. Die SVP bleibt im Parlament isoliert, im Bundesrat legen oft nur ihre Vertreter Albert Rösti und Guy Parmelin ein nutzloses Veto ein. So hat Viola Amherd freie Bahn, in Rekordzeit über zu Bord zu werfen, was Generationen vor ihr aufgebaut haben – eine Garantie für Sicherheit und Frieden in der Schweiz.