Brasilien sei das ewige Land der Zukunft, lautet ein gängiges Bonmot, das sei vor fünfzig Jahren schon so gewesen, und das werde auch in fünfzig Jahren noch so sein. Delfim Netto, ein Enkel italienischer Auswanderer, war gleichsam die Inkarnation dieses fatalistischen Lebensgefühls im unterkühlt-beschwingten Bossa-nova-Sound. Während über einem halben Jahrhundert galt der Ökonom, Buchautor und Kolumnist als einer der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Drahtzieher in den verworrenen Innereien dieses gigantischen Landes, das rund die Hälfte der Bevölkerung und des Territoriums Südamerikas umfasst.

Als Delfim Netto 1967 zum Wirtschaftsminister berufen wurde, waren in Brasilien die Militärs an der Macht. Drei Jahre zuvor hatten die Generäle den Linkspopulisten João Goulart gestürzt und seine sozialistischen Experimente unsanft beendet. Netto war darum besorgt, die von den Generälen anfänglich angestrebten Liberalisierungen rückgängig zu machen. Während seiner siebenjährigen Amtszeit etablierte er ein heterodoxes und protektionistisches Wirtschaftsmodell, das Brasilien bis heute prägt.

Unter seiner Führung wurde der Bau von riesigen Staudämmen, Atomkraftwerken, Autobahnen, Flugzeug- und Autofabriken vorangetrieben, stellte Brasilien als erstes Land der Welt von Benzin auf Bio-Methanol um, verdoppelte sich die wirtschaftliche Leistung. Im gleichen Mass wucherten allerdings Bürokratie, Staatsverschuldung, Korruption und Inflation. Delfim Netto gehörte 1968 zu den Mitunterzeichnern des berüchtigten Gesetzes Ato Institucional número 5 (AI-5), mit dem jede Opposition unterdrückt wurde. Die brasilianische Militärdiktatur dauerte zwar länger als jene in Argentinien, Uruguay oder Chile, war jedoch nicht von derselben Brutalität geprägt.

1985 mussten die Generäle im Zuge einer anhaltenden Wirtschaftskrise einem zivilen Regime weichen. Netto schaffte die Metamorphose vom Autokraten zum Demokraten problemlos. Zwischen 1987 und 2007 vertrat er verschiedene Parteien im nationalen Parlament, mal linke, mal rechte. Danach fungierte er als Berater der marxistisch geprägten Regierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff. Nach deren Absetzung zimmerte er 2016 als graue Eminenz die Übergangsregierung von Michel Temer zusammen.

Delfim Netto wurde damals vom Strudel des Lava-Jato-Skandals miterfasst, der Lula und Rousseff (vorübergehend) in Ungnade gestürzt hatte. Doch es war nicht der erste Korruptionsskandal, den er unbeschädigt überstand. Am 12. August verstarb der Unfassbare in seiner Heimatstadt São Paolo. Als Todesgrund wird «allgemeines Organversagen» angegeben. Präsident Lula da Silva und Roberto Barroso, Präsident des allmächtigen Obersten Gerichtshofs (STF), gehörten zu den Ersten, die Delfim Netto mit einem warmherzigen Nachruf beehrten.

Meister des grossartigen Meckerns: Heinz Eckert.

Er starb, wie man so sagt, wenn einer Krebs hatte, nach langer, schwerer Krankheit. Ich weiss nicht, wie er damit umging, der leidenschaftlich Reisende, mit seiner letzten Reise. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er noch mitten im Leben, wir sprachen übers Abnehmen, dass es in Frankreich die viel besseren Crevetten gebe, und verabredeten uns unverbindlich, wie immer.

Der in Luzern geborene und in Basel tätige Journalist, Kolumnist, Glossist, Meckerer, Lebemann und äusserst geistreiche Misanthrop Heinz Eckert wurde knapp 79 Jahre alt. Vor 34 Jahren war er Mitglied der Chefredaktion der Basler Zeitung und mein Chef. Ein guter, weil er einen in Ruhe liess, so, wie er in Ruhe gelassen werden wollte. Er war damals ein arrivierter Schreiber, ein Meister der kleinen Formen. Schmerzhafte Nadelstiche und Giftpfeile verteilte er allem, was ihm nicht passte, das war nicht wenig.

Am Grossen versuchte er sich selten, vielleicht waren ihm die eigene Existenz, all die Wucherungen und die Dummheit der Menschen, Organisationen und der Welt schon Arbeit genug. So machte er das Kleine zum Grossen, schrieb über Länder, Sitten, Sittlichkeit, über Essen und Trinken, über Kunst und die Unmöglichkeit des Schweizer Fernsehens, je ein gutes zu werden. Er schrieb eine grossartige Ode an die Mayonnaise und darüber, was eine Existenz ohne sie wäre, und dass Alkohol gesund ist, meine Lieblingsglosse.

Wie die meisten sensiblen Menschen und sensitiven Autoren mochte er Rotwein. Er sass dann am Tisch, die Flasche in der Hand, und schenkte ohne Unterlass nach, die Flasche immer in der Hand, und er redete, und in seinen Monologen schwangen grosse Worte zu grossen Themen. Meistens wenigstens. Den ganzen Irrsinn der Welt und der Menschen konnte er dann in zwei, drei Sätzen formulieren. Das war das Grosse an ihm.