Wie viele andere Kinder auch hatte Kevin Heng, der in Singapur aufwuchs, den Traum, wie Claude Nicollier Astronaut zu werden. Doch statt mit Raumschiffen den Weltraum zu erkunden, arbeitet er heute als Astrophysiker an der Universität Bern. «Als ich merkte, dass sich mein Kindheitswunsch nicht erfüllen würde, habe ich das Zweitbeste gemacht: in meiner Heimat Physik und Mathematik studiert», sagt der 43-Jährige. Kein Wunder, war später die US-Sitcom «The Big Bang Theory», in der es um junge Physiker in Kalifornien geht, seine Lieblingsserie. «Ein Freund von mir ist genau der gleiche Typ wie der Protagonist Sheldon Cooper», sagt Heng lachend. 2003 ging er an die University of Colorado Boulder, machte den Master und doktorierte. Ausserdem lernte er dort seine spätere Frau kennen, eine Austauschstudentin aus Bayern. Bevor er 2013 nach Bern kam, hatte Heng noch am Max-Planck-Institut in München, an der Universität in Princeton und an der ETH Zürich gewirkt.

Ausserhalb des Sonnensystems

Als Astrophysiker haben es Kevin Heng ganz besonders die Atmosphären von Exoplaneten angetan. Diese befinden sich noch viel weiter weg als jeder Planet, den ein Astronaut der Gegenwart theoretisch erreichen kann, nämlich ausserhalb des Sonnensystems. In Bern ist Heng nicht nur ausserordentlicher Professor, sondern auch Direktor des Center for Space and Habitability (CSH), Mitglied des wissenschaftlichen Kernteams der Cheops-Weltraummission der ESA und Projektleiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts PlanetS (NCCR). Zusammen mit dem Schweizer Astronomen Didier Queloz von der ETH Zürich, dem Nobelpreisträger für Physik 2019, hat er zudem die Konferenzreihe Exoplanets mitbegründet.

Seine absolute Spezialität ist es, auf den neu entdeckten Exoplaneten die Atmosphäre zu studieren. «Mein Team, zu dem auch Bio- und Geochemiker, Geophysiker sowie Mediziner gehören, und mich kann man als Planetenjäger bezeichnen», umreisst er das Tätigkeitsfeld. In dieser Disziplin zählt die Schweiz neben den USA und Kanada zur Weltspitze, während etwa Russland und China deutlich zurückliegen. Doch Kevin Heng und sein Team suchen nicht mit grossen Teleskopen nach Planeten. «Ich arbeite rein theoretisch mit Computersimulationen und interpretiere Daten.» Dabei geht es darum, wie es um die Atmosphäre auf einem Exoplaneten steht, ob es dort Anzeichen für Leben gibt und ob dort der Mensch existieren könnte. Im Fokus steht dabei die Frage: Gibt es eine zweite Erde? Über dieses sein Spezialgebiet hat Kevin Heng auch schon ein Buch geschrieben.

Altes mathematisches Problem

Mit einer von Kevin Heng auf Papier neu aufgestellten Formel lässt sich die Chemie in einer Exoplaneten-Atmosphäre innert Sekunden und damit um mehrere tausend Mal schneller und auch einfacher berechnen als mit den bisher verwendeten Computercodes. Damit ist ihm ein veritabler wissenschaftlicher Durchbruch gelungen. Denn er hat für ein altes mathematisches Problem neue, elegantere Formeln entwickelt, die es braucht, um die Lichtreflektionen von Planeten und Monden bestimmen zu können.

Ganz bescheiden sagt er dazu, dass «ich viel von den Vorarbeiten grosser Wissenschaftler wie Bruce Hapke, Subrahmanyan Chandrasekhar und Viktor Sobolev profitieren konnte». Dank Hengs Forschungsergebnissen liessen sich nun rückwirkend auch Daten vom Planeten Jupiter analysieren, welche die Raumsonde «Cassini» am Anfang des Jahrtausends gesammelt hatte. «Von dieser Analyse hatte man vorher abgesehen, weil sie sehr aufwendig und zeitraubend gewesen wäre», erklärt der Astrophysiker.

Hengs Zeit an der Universität Bern neigt sich allerdings bald dem Ende zu, er wird im Herbst die Schweiz Richtung Deutschland verlassen und an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München anheuern. «Ich wurde schon mehrmals angefragt und kann nun die erste Professur für ‹Theoretische Astrophysik extrasolarer Planeten› überhaupt in Deutschland übernehmen», sagt er. Die Schweiz verlässt er nur ungern, sind doch seine beiden drei- und sechsjährigen Söhne hier geboren und hat er die Lebensqualität, Organisation, Sauberkeit und Pünktlichkeit schätzen gelernt. Aber seine Reise geht nun weiter, immer mit dem Ziel, interessante und innovative Forschung zu betreiben. «Das ist es, was mich antreibt», erklärt er seinen Beweggrund für den Wechsel.

 

 

Rolf Dobelli, Bestsellerautor («Die Kunst des klaren Denkens»), bringt auf seiner Plattform World.minds die klügsten Köpfe aus der Wissenschaft zusammen. Über Kevin Heng sagt er: «Einer der smartesten Menschen, die ich kenne. Und super nett, geerdet, bescheiden. Ursprünglich aus Singapur. Lebt seit vielen Jahren in der Schweiz. Ab Sommer übernimmt er die Leitung eines grossen Instituts an der LMU München und etabliert damit eines von weltweit drei Top-Zentren für die Erforschung von Leben ausserhalb der Erde. Die anderen zwei Zentren sind Harvard (unter Avi Loeb) und die ETH Zürich (unter Nobelpreisträger Didier Queloz). Eine dieser drei Personen wird den Nobelpreis für die Entdeckung extraterrestrischen Lebens bekommen. The race is on. Ich drücke Kevin die Daumen.»