Thomas Hüetlin: Man lebt sein Leben nur einmal. Kiepenheuer & Witsch. 352 S., Fr. 37.90

Eingeschlossen im Badezimmer. So ergeht es bisweilen Liebhabern, die nicht entdeckt werden sollen. Man kennt das ja aus Spielfilmen. Erich Maria Remarque, den grossen Schriftsteller, mag man sich nicht als einen vorstellen, der eben mal weggesperrt wird. Aber es geschah, und zwar durch den damals grössten deutschsprachigen Filmstar, Marlene Dietrich. Beide waren leidenschaftlich füreinander entflammt, seit sie sich im September 1937 am Lido von Venedig kennengelernt hatten, beide waren nach Paris geflüchtet, während die Nationalsozialisten im restlichen Europa wüteten. Das Hotel «Lancaster», gelegen in einer Seitenstrasse der Champs-Élysées, war der Ort, an dem sie sich sicher fühlten; das ideale Liebesnest. Als aber eines Tages zwei Abgesandte von Goebbels vor der Tür standen, durfte Remarque keinesfalls gefunden werden, galt er doch in Nazi-Deutschland als Vaterlandsverräter.

«Wage es nie wieder, mich einzusperren», drohte Remarque seiner Geliebten, nachdem die beiden Uniformierten verschwunden waren. Eine Diva wie Marlene kümmerte das nicht. Sie tat, wie ihr beliebte – wenn sie nicht wollte, dass Erich wegfuhr, versteckte sie seine Autoschlüssel. Er verfluchte sie als «Biest», sie nannte ihn «Provinztölpel». Es gab viel Streit, viel Eifersucht – Marlene lebte ihre sexuelle Lust auch mit anderen aus. Erich wusste, dass er nur einer von vielen war, aber gegen seine Gefühle kam er nicht an, er war ihr grenzenlos verfallen. Die «Komplexität des Affairenreigens» der Dietrich setzte ihm zu. Er konnte und wollte mit ihrer Exaltiertheit nicht mithalten – und fügte sich doch ein in das Luxustreiben zwischen Frankreich, der Schweiz und Beverly Hills. Letztlich folgte Remarque ihr ins Exil in die USA.

Die «Komplexität des Affairenreigens» der Dietrich setzte Remarque zu.

Eine Amour fou, die, wäre sie für das Kino verfilmt, nach imposanten symphonischen Klängen schreien würde – in der Buchversion von Thomas Hüetlin geht es hingegen weniger theatralisch zu. Statt das ohnehin Dramatische noch hochzupeitschen, schlägt er einen Tonfall an, der üblich ist für einen langjährigen Spiegel-Reporter. Nahe dran und doch nicht zu nahe, bloss nicht zu gefühlig. Mal wirkt das wie ein wohltuender Kontrast zu der schwer zu bändigenden Emotionalität, die abzubilden ist, mal bleibt es zu trocken, zu oberflächlich. Auch wenn stets die umfassende Recherche deutlich wird, auf der das Buch fusst, im Wesentlichen auf über tausend Tagebuchseiten Remarques, auf dem Briefwechsel mit der Dietrich und auf Aussagen von Zeitgenossen.

 

Heimweh, Versagensängste

Der Autor versteht sein Handwerk, dennoch ist die Sprache zu wenig einfühlsam, um immer den Charakter des Liebesdramas der beiden Künstlerikonen zu treffen, vor allem der Einstieg ist schleppend. Hingegen sehr gelungen ist die Verflechtung der mikrokosmischen Tragödie mit dem makrokosmischen Grauen, das immer deutlicher zutage tritt. Dramaturgisch virtuos stellt Hüetlin dar, wie das eine in das andere greift: Es liebt sich anders, existenzieller, wenn die Welt auf den Abgrund zurast.

Zugleich war es vielleicht weniger die Liebe, die Dietrich und Remarque verband, sondern das unbarmherzige Schicksal, in das sie beide hineingeworfen wurden. Wie Zehntausende wollten auch sie dem Naziterror entkommen. Sie mussten, wenngleich unter privilegierten Bedingungen, ihre Heimat hinter sich lassen. Vor ihnen lag eine wenig verheissungsvolle Zukunft; beide wurden von Heimweh, Versagensängsten und Schaffenskrisen geplagt.

Über das Ende seiner Beziehung mit Ingeborg Bachmann sagte einst der Schriftsteller Max Frisch: «Wir haben es nicht gut bestanden.» Auch Remarque dürfte arg lädiert gewesen sein nach den wenigen Jahren mit Marlene, die im Grunde der exakte Gegenentwurf zu ihm war. Manchmal möchte man ihn fast vor ihrer Biestigkeit beschützen. Zugleich war auch sie schutzlos, getrieben von der Suche nach einer Liebe, die wohl niemand ihr hätte geben können – Remarque musste scheitern.