Bern

Eine sozialpolitische Abstimmung jagt die nächste. Nach der 13. AHV-Rente, der Prämienentlastungsinitiative steht bereits der nächste Showdown vor der Tür. Am 22. September entscheidet der Souverän über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Die Fronten scheinen klar: Auf der einen Seite die bürgerlichen Parteien von GLP bis SVP, die die Anpassungen befürworten. Auf der anderen Seite die Gewerkschaften, die das Referendum ergriffen haben und in deren Schlepptau SP und Grüne gegen das Anliegen mobilmachen.

Interessant ist die Rolle der Landwirte. Sie haben Stimmfreigabe beschlossen.Was will die Neuerung? Weil die Menschen immer länger Rente beziehen, soll der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt werden. Ausserdem soll die Eintrittsschwelle für die obligatorische berufliche Vorsorge gesenkt werden. Mit dieser Massnahme will der Bund erreichen, dass Teilzeitarbeitende und Geringverdiener besser abgesichert sind. Ebenfalls wichtig: Ältere Angestellte möchte der Gesetzgeber attraktiver für den Arbeitsmarkt machen. Ab 55 Jahren würde der BVG-Beitrag nicht mehr steigen. Ein 65-jähriger Lohnempfänger wäre damit künftig aus Sicht der Arbeitgeber gleich «teuer» wie ein 45-jähriger Beschäftigter.

 

Tiefer Graben im Ja-Lager

Können die Bürgerlichen den Schwung mitnehmen und nach ihrem Sieg Anfang Juni bei der Krankenkassen-Initiative der SP nachdoppeln? Zweifel sind angebracht. Durchs Ja-Lager geht ein tiefer Graben. Hans-Ulrich Bigler war von 2008 bis 2023 Direktor des Gewerbeverbandes und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Vor zwei Jahren wechselte er zur SVP. Anders als sein ehemaliger Arbeitgeber lehnt er den Vorstoss vehement ab. «Der Vorlage liegt ein Systemfehler zugrunde.» Heute sei es so, dass die erste Säule auf der Solidarität und dem Umlageverfahren beruhe, die zweite Säule auf der Sozialpartnerschaft und dem Kapitaldeckungsverfahren und die dritte Säule auf der privaten Vorsorge. «Mit der geplanten BVG-Reform wird dieses bewährte und austarierte System verwässert, weil es wegen der Rentenzuschüsse in der zweiten Säule zur Umverteilung von den Aktiven zu den Pensionierten kommt.»

Bigler spricht dabei die Kompensationsmassnahmen für die Übergangsgeneration an, deren Einbussen wegen der Senkung des Umwandlungssatzes ausgeglichen werden sollen. Die Rentenzuschläge für diese fünfzehn Übergangsjahrgänge summieren sich laut einer Untersuchung des Bundesamtes für Sozialversicherung auf rund 11,3 Milliarden Franken.

Zudem kritisiert er, dass Angestellte in Tieflohnbranchen nicht profitieren würden. «Wegen der Senkung der Eintrittsschwelle sind zwar mehr Leute besser versichert. Weil ihre Abzüge steigen, haben sie aber tiefere Löhne, was nicht durch eine höhere Rente ausgeglichen wird», erklärt Bigler. Der ehemalige Verbandsfunktionär steht mit seiner Kritik nicht allein da. Mit Gastrosuisse lehnt ein wichtiger Wirtschaftsverband, der viele Angestellte mit kleinen Salären vertritt, die BVG-Reform ebenfalls ab. Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse und Hotelier: «Die Mehrkosten für unsere Verbandsmitglieder und ihre versicherten Mitarbeitenden sind mit rund 250 Millionen Franken viel zu hoch.» Man habe sich lange für einen tragbaren Kompromiss eingesetzt. «Doch das Parlament hat den Bogen leider deutlich überspannt.»

 

Zurück an den Absender

Interessant ist die Rolle der Landwirte. Sie haben Stimmfreigabe beschlossen. Hinter vorgehaltener Hand heisst es im Bundeshaus, dieser Entscheid sei ein Kompromiss. Am 22. September kommt die Biodiversitätsinitiative vors Volk, die der Bauernverband mit allen Mitteln verhindern will. Damit das gelingt, ist die Branche auf die bürgerlichen Parteien angewiesen. Entsprechend war es ein schlechter Zeitpunkt, die Verbündeten bei der BVG-Reform vor den Kopf zu stossen.

Bigler ist überzeugt, dass die Vorlage zurück an den Absender muss und überarbeitet werden sollte. «Dabei gilt es Folgendes zu bedenken: Von der Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes sind nur die Leute betroffen, die gemäss BVG-Obligatorium versichert sind.» Konkret seien dies etwa 18 Prozent aller Arbeitnehmer. «Alle anderen haben bereits heute einen tieferen Umwandlungssatz.» Dieser Median liegt laut Bundesamt für Sozialversicherungen heute bei 5,3 Prozent. «Die Konsequenzen eines Neins wären deshalb weniger gross, als viele annehmen», so Bigler.

Für die Anhänger der Änderungen sind die Wortmeldungen von Bigler und Platzer ein arger Dämpfer. Beobachter in Bern sind sich einig, dass die Abstimmung schwer zu gewinnen sein wird. Dass sie nun nicht nur von links, sondern auch von rechts angegriffen wird, dürfte ihre Chancen weiter verschlechtern.