Auf einem Kiesplatz zwischen zwei Bauernhöfen im Thurgau starte ich einen ersten Versuch. Dafür muss das Programm «Rock» gewählt und ausserdem kurz der Getriebewahlhebel in Stufe «N» gelegt werden; dann ist die Taste mit dem Drehpfeilsymbol zu drücken. Jetzt soll ich, so die Aufforderung im Zentraldisplay, das Lenkrad-Paddel ziehen und gleichzeitig Gas geben. Die ersten Ansätze scheitern, schaukelnd und schwankend kommt der Wagen abrupt wieder zum Stehen. Irgendwann habe ich dann genug Vertrauen in die Technik, damit ein beherzter Druck aufs Fahrpedal den Mercedes G580 um die eigene Achse drehen lässt.

Indem die vier in den Leiterrahmen integrierten Elektromotoren die Räder links und rechts in verschiedene Richtungen drehen lassen, vollzieht der Geländewagen einen sogenannten G-Turn um die eigene Achse. Es ist eine Funktion mit, sagen wir mal, beschränktem Nutzen für den Alltag, aber grossartig für den eigenen Instagram-Kanal oder als Angebervideo für Freunde. Für die Nachahmung sei an dieser Stelle ein möglichst loser Untergrund empfohlen, und beachtet werden sollte, dass die 360-Grand-Wende im Wortsinn einiges an Staub aufwirbelt – Steine können allerdings auch darunter sein.

Mit der Elektrifizierung der G-Klasse, einer modernen Ikone von Mercedes-Benz, ist den verantwortlichen Strategen ein Wurf gelungen. Schon allein das Sound-Design hat einen Preis für das beste Drama verdient. Sobald man den Wagen aufschliesst, ertönt ein monotones an- und abschwellendes Wummern, der Klang einer neuen Zeit. Am Tag nach meiner grossen Wende im Thurgau fahre ich in den Waadtländer Jura und stelle fest, dass im Innern der G-Klasse ebenfalls ein Klangteppich für eine elektrisierende Atmosphäre sorgt. Dieses Auto lässt gewisse Überlegenheitsfantasien aufkommen, man kommt damit etwa an Orte, wohin kein anderes Fahrzeug folgen kann. Da ein Versuchsmanöver am Eingang eines Waldstücks, dort eine Umkehrschlaufe über Geröll und Wurzeln – nichts scheint wirklich eine Herausforderung zu sein für das Allradsystem mit der virtuellen Differentialsperre.

Auf dem Weg über die Autobahn A1 nach Hause blicke ich von meinem Hochsitz aus auf Lenker von allen anderen Fahrzeugen ausser LKW hinunter, während die stahlblaue G-Klasse mit sonorem elektrischem Brummen unbeeindruckt geradeaus fährt. Der Stromverbrauch ist mit angezeigten 32 kWh auf hundert Kilometer in diesem Fall ziemlich hoch, aber dem Gewicht von mehr als drei Tonnen entsprechend. Rund 400 Kilometer Reichweite sind realistisch. Zum Glück habe ich am Lac de Joux während des Mittagessens nachgeladen, jetzt kann ich im lässigsten E-Fahrzeug derzeit ganz überlegen die Fahrt nach Hause geniessen.

 

Mercedes-Benz G580 EQ Edition One

Antrieb: 4 Elektromotoren, Allradantrieb; Leistung: 587 PS / 432 kW; max. Drehmoment: 1164 Nm; Hochvoltspeicher (Lithium-Ionen): 116 kW (netto); Ladekapazität DC: 200 kW; Verbrauch: 30,3 kWh / 100 Kilometer; Reichweite (WLTP): 434–473 km; Beschleunigung 0–100 km/h: 4,7 sec; Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h; Preis: Fr. 162 900.–; Testwagen: 210 800.–