Dass der Lebensmitteldiscounter Aldi erst relativ spät, im Jahr 2005, in die Schweiz expandierte, hatte in erster Linie mit Denner-Gründer Karl Schweri zu tun. Denn dieser war ein guter Freund von Karl Albrecht, der sich 1961 geschäftlich von seinem Bruder Theo getrennt hatte. Karl führte fortan in Deutschland Aldi Süd, während Theo Aldi Nord übernahm. Durch ein Gentlemen’s Agreement mit dem Schweizer Detailhandelsunternehmer sah Aldi Süd lange Zeit davon ab, im südlichen Nachbarland Fuss zu fassen. Als dann aber Lidl bekanntgab, in der Schweiz die Geschäftstätigkeit aufnehmen zu wollen, gab es auch für Aldi kein Halten mehr. Die ersten Filialen konnten sogar vier Jahre vor dem grössten Konkurrenten aus dem eigenen Land eröffnet werden.

Die Platzhirsche Migros und Coop wollten keinen Konkurrenten am Tisch haben.Der Markteintritt von Aldi löste in der einheimischen Branche erwartungsgemäss keine Begeisterung aus. Die Platzhirsche Migros und Coop, die sich den Markt praktisch untereinander aufteilten, wollten keinen Konkurrenten am Tisch haben, der schon in etlichen anderen Ländern äusserst erfolgreich unterwegs war: in Österreich (seit 1968), in den USA (1976), in Grossbritannien (1990), in Irland (1999) und in Australien (2001). Heute ist Aldi Süd in insgesamt elf Ländern auf vier Kontinenten präsent, betreibt über 6500 Filialen und beschäftigt rund 155 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. «Der Anfang war für uns nicht einfach», blickt Jérôme Meyer, der charismatische CEO von Aldi Suisse, im Gespräch zurück. «Auf die Konkurrenz aus Deutschland hatte in einem gesättigten Markt niemand gewartet.» So gross wie bei McDonald’s war die Abneigung gegen Aldi aber nicht: 1982 hatte es einen Brandanschlag auf die Filiale der amerikanischen Fastfood-Kette am Zürcher Stauffacher gegeben.

 

Schritt für Schritt

Doch immerhin mieteten die Mitbewerber Ladenflächen nur deshalb, um Aldi zu verhindern, gibt Jérôme Meyer zu Protokoll. «Und Lieferanten wurden unter Druck gesetzt. Wer in Betracht zog, uns zu beliefern, lief Gefahr, von den Grossen nicht mehr berücksichtigt zu werden.» Notgedrungen eröffnete Aldi die ersten Filialen in ländlichen Gegenden und konnte die urbanen Räume und Städte erst später Schritt für Schritt erobern. Gestartet wurde mit vier Geschäften in Altenrhein SG, Amriswil TG, Gebenstorf AG und Weinfelden TG; schon 2009, als Lidl die ersten Läden in der Schweiz eröffnete, umfasste das Filialnetz von Aldi hundert Standorte.

 

Expansion ins Engadin

Mittlerweile betreibt Aldi Suisse 241 Filialen sowie drei Logistikverteilzentren in Schwarzenbach SG, Perlen LU sowie Domdidier FR und zählt gut 3900 Mitarbeiter. «Heute sind wir mit unserem Filialnetz sehr zufrieden», erklärt Jérôme Meyer, gebürtiger Bauernsohn aus dem Elsass und hierzulande längst eingebürgert, der schon als Student in München Kunde bei Aldi war und später als Angestellter wegen seiner Zweisprachigkeit in die Schweiz geschickt wurde. Dabei steht er im Hauptsitz in Schwarzenbach SG vor einer Schweizer Karte, auf der mit Nadeln die Filialen markiert sind, die in Betrieb sind, und diejenigen, die sich im Bau oder in der Planung befinden. Viele weisse Flecken sind in den besiedelten Gebieten nicht mehr auszumachen. Sogar im Engadin, in Samedan, konnte Aldi einen Laden eröffnen, was der Migros lange Zeit nicht gelungen war. Durch den anfänglichen Widerstand habe sich Aldi nicht entmutigen lassen. «Er hat uns vielmehr stärker gemacht, denn wir mussten besser werden und verlässlich sowie engagiert sein.»

Der Erfolg gibt Aldi recht: Der Marktanteil ist auf über 7 Prozent gestiegen, und die Aldi-Lastwagen mit Anhängern, auf denen freche Sprüche stehen, sind auf den Strassen nicht zu übersehen. Auf das Geheimnis dieses Siegeszuges angesprochen, sagt Jérôme Meyer, dass sich Aldi überall konsequent an den Bedürfnissen der Kundschaft ausrichte. «In England zum Beispiel gilt Aldi als der britischste Lebensmittelladen, analog sieht es in Irland aus.» Dorthin will er auch in der Schweiz kommen. Erreicht werde dieses Ziel aber nicht, indem Aldi einfach die Konkurrenz kopiere und dasselbe wie alle anderen mache.

 

Maximal 1800 Artikel

Als Aldi-Prinzip beschreibt Meyer die Strategie, die in allen Ländern, wo der Detailhändler operativ tätig ist, bei den Kunden ankomme und funktioniere. Daran habe sich nichts geändert, seit die Gebrüder Albrecht nach dem Zweiten Weltkrieg den Tante-Emma-Laden ihrer Mutter übernommen hätten. Dazu gehörten ein schlankes Sortiment, günstige Preise und tiefe Betriebskosten. «Was zu wenig nachgefragt wird, verschwindet aus den Regalen», führt er aus. Heute gebe es weltweit in den Aldi-Läden ein auf maximal 1800 Artikel limitiertes dauerhaftes Angebot.

Rund 90 Prozent der Produkte werden als Eigenmarken hergestellt, über 50 Prozent des Angebots stammen aus der Schweiz, und bei mehr als 10 Prozent handelt es sich um Bio-Erzeugnisse. Jeder Kunde findet überall das gleiche Sortiment, lediglich die Menge variiert je nach Ladenfläche, die zwischen 800 und 1100 Quadratmeter umfasst. Aber die Produkte des täglichen Bedarfs finden die Kundinnen und Kunden laut dem CEO von Aldi Suisse in jeder Filiale. Mit einer breiteren Produkteauswahl würde Aldi zwar mehr Gewinn erzielen und den Marktanteil vergrössern, aber auch Mehrkosten verursachen, die sich auf die Preise auswirken würden.

Das alles will Aldi aber gar nicht. Viel wichtiger sei es, in der Schweiz die tiefste Kostenstruktur der Branche zu haben und den Kunden attraktive Preise anbieten zu können. «Wir sind durchschnittlich 30 Prozent günstiger als die Konkurrenz – darauf können sich unsere Kunden verlassen», verspricht Jérôme Meyer. Und Mengenrabatte beim Einkauf würden eins zu eins den Kunden weitergegeben. Ein anderes kleines Element des Erfolgs sieht er darin, dass in jedem Aldi-Laden die gleichen Produkte am gleichen Ort zu finden sind. «Dieser Umstand erleichtert die Orientierung, langes Suchen gibt es für unsere Stammkunden nicht.»

Aber auch für die Logistik des Unternehmens hat diese Anordnung Vorteile: Aldi wolle die Produkte zu den tiefsten Kosten von A nach B bringen und rasch in den Läden einräumen können. «Bei uns wissen alle Mitarbeiter immer ganz genau, wohin welches Produkt kommt, was viel Zeit und damit wieder Kosten einspart.» Gleichwohl soll das Einkaufserlebnis der Kunden verbessert werden, weshalb alle Läden renoviert wurden. Heute befinde sich die Möblierung der Filialen von der Anmutung her auf einem viel höheren Niveau als beim Markteintritt.

Aldi Suisse betreibt 241 Filialen sowie drei Logistikverteilzentren und zählt gut 3900 Mitarbeiter.Das Wohlergehen der Angestellten ist seit je Teil der DNA von Aldi. Auf das Onboarding neuer Mitarbeiter wird laut Jérôme Meyer grösster Wert gelegt. Die Fluktuationsrate habe 2023 den tiefsten Wert in der Geschichte von Aldi Suisse erreicht. Den Lehrlingen wird für die ganze Zeit eine Ansprechperson zur Verfügung gestellt. Und in den drei Logistikbetrieben kommt täglich ein interner Ergo-Coach vorbei, der ein rund zehnminütiges Programm zusammenstellt, an dem vor Arbeitsbeginn teilnehmen kann, wer möchte. «Wir hatten festgestellt, dass die meisten Verletzungen in den ersten fünfzehn Minuten der Arbeitszeit passieren, und wollten etwas dagegen unternehmen.»

 

Höchster Mindestlohn der Branche

Zum Aldi-Prinzip gehört auch, dass die Angestellten anständig entlöhnt werden und die Lieferanten gute Preise erhalten. Beiden müsse es gutgehen, sonst seien sie nicht motiviert. «Wir sind stolz darauf, mit 4700 Franken den höchsten Mindestlohn im Schweizer Detailhandel zu haben, der dreizehn Mal im Jahr ausbezahlt wird. Ausserdem gilt bei uns Lohngleichheit auf allen Stufen zwischen weiblichen und männlichen Mitarbeitenden», erklärt Meyer. Aldi sei interessiert an möglichst langen und stabilen Angestelltenverhältnissen und Partnerschaften mit Lieferanten. Zum Beispiel mit Bauer Hans Graf aus dem Rheintal arbeitet Aldi seit 2005 zusammen. «Er war der erste Lieferant, der von Anfang an voll auf uns gesetzt hat und damals ein gewisses Risiko einging», blickt Meyer zurück. Gemeinsam sei man in den letzten bald zwanzig Jahren gewachsen und erfolgreich geworden.

«Unser Fleisch vom Rind, Kalb und Schwein stammt mittlerweile zu 100 Prozent aus der Schweiz.»Für den CEO von Aldi Suisse ist es deshalb wichtig, dass die landwirtschaftlichen Partner fair bezahlt werden, damit die Betriebe eine Zukunft haben. «Kurzfristige Deals sind nicht unser Ding», sagt er. In der Corona-Zeit habe Aldi dann von der Loyalität der Partner profitiert und sei sehr gut durch die Krise gekommen. Der Anteil an in der Schweiz hergestellten Produkten sei über die Jahre ständig gestiegen. «Unser Fleisch vom Rind, Kalb und Schwein im Standardsortiment stammt zum Beispiel mittlerweile zu 100 Prozent aus der Schweiz.» Nur beim Poulet müsse ein Teil importiert werden, weil es schlichtweg zu wenig einheimische Produzenten gebe. Bei den Importen könne Aldi Suisse von der Grösse des Unternehmens profitieren.

 

Frischeangebot weiter ausbauen

Bio-Produkte und die beste Qualität für alle erschwinglich zu machen, ist ein weiteres Ziel, das Jérôme Meyer verfolgt. «Regional und biologisch hergestellte Produkte, die Symbole für gesunde Ernährung, dürfen kein Luxus sein», umreisst er seine Mission. Aldi Suisse wolle in Zukunft das Frischeangebot ausbauen, namentlich beim Fleisch, Gemüse, Obst und Brot. «Aus unserer Sicht müssen sich Discount und Frische nicht ausschliessen.» So will er noch mehr Vertrauen der Schweizer Kunden gewinnen. Seit letztem Jahr verkauft Aldi in der Schweiz kein Obst und Gemüse mehr, das mit dem Flugzeug transportiert werden muss.

Stark ausgebaut hat das Unternehmen auch sein Onlineangebot in den Städten namens Aldi-now, bei dem die Bestellung jeweils in der nächsten Filiale abgepackt und von dort aus ausgeliefert wird. «So mussten wir keine separate Organisation aufbauen, und die Angestellten können sich um die Bestellungen kümmern, wenn im Laden gerade nicht so viel los ist.» Pragmatismus durch und durch.