Die Unterscheidung erscheint zuerst einmal logisch: Solar- und Windenergie gelten als erneuerbar, denn ihr «Treibstoff», eben Sonne und Wind, gehen nie zur Neige. Dagegen wird Atomenergie als «nicht erneuerbar» bezeichnet, weil Uran als Kernbrennstoff eine Ressource ist, die endlich ist. Die Unterscheidung ist dennoch ein Etikettenschwindel. Sie beruht darauf, nur den Treibstoff oder eben den Antrieb zu berücksichtigen und alles andere, was es zur Energieerzeugung auch noch braucht, ausser Acht zu lassen.

Es ist vor allem viel Material notwendig, um Energieanlagen zu bauen. Und dabei schneiden die Solar- und die Windkraft schlecht ab. Weil die Energiedichte sehr gering ist, braucht es hier besonders viel Beton, Aluminium, Kupfer, Glas, Silizium oder Stahl, bis nennenswerte Strommengen produziert werden können. Solche Materialien sind aber ebenfalls endlich, ihr Abbau ist darum nicht «erneuerbar».

Martin Schlumpf hat dazu im Nebelspalter Zahlen zusammengetragen, aufgrund einer Studie des amerikanischen Breakthrough Institute. Demnach braucht es bei Solaranlagen gewichtsmässig – je nach Anlagetyp – 1,3 bis 2,9 Mal so viel Material wie bei einem Kernkraftwerk, um eine bestimmte Menge Strom zu erzeugen. Bei Windrädern ist es im Vergleich mit Atomstrom sogar die fünf- bis elffache Menge.

Dazu kommt, dass es bei Wind- und Solarstrom ausgesprochen viel an Materialien wie Zink, Mangan oder Chrom braucht, deren Verfügbarkeit besonders beschränkt ist. Atomkraftwerke dagegen bestehen zu 98 Prozent aus reichlich vorhandenem Eisen und Zement. Berücksichtigt man diese relative Knappheit, schneiden die Wind- und die Solarkraft sogar 4,5 bis 12,5 Mal schlechter ab als die Kernkraft.

 

Uran in Fülle

Noch schlechter steht es um die angebliche Erneuerbarkeit, wenn man miteinbezieht, dass Windräder und Solarmodule wetterbedingt fluktuierenden Strom erzeugen – und es darum entsprechend Speicher und Backup-Kraftwerke braucht, um die Versorgung zu sichern. Zudem sind bei Ökostrom weit höhere Investitionen in den Netzausbau notwendig als bei Atomstrom. Auch Speicher, Notkraftwerke und Netzverstärkungen sind aber mit einem erheblichen materiellen Aufwand verbunden. Für Batterien, die kurzfristige Stromlücken überbrücken können, braucht es etwa grosse Mengen an Lithium, das besonders knapp ist. 

Man kann natürlich argumentieren, dass alle Materialien, die für Sonnen- und Windstrom notwendig sind, recycelt werden können. Doch das ist weitgehend Theorie. 2020 gingen Bilder aus der Stadt Casper, Wyoming, um die Welt. Man sah die Überreste von 870 Rotorblättern, die dort – fein säuberlich aneinandergereiht – unter einer Schicht Erde verschwinden sollten. In vielen Ländern verläuft die Entsorgung von Windradzubehör ebenfalls auf diese Weise.

Bei den Solarmodulen ist es nicht besser: Die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien schätzte, dass weltweit neun von zehn ausrangierten Solarkollektoren in einer Deponie landen. Ihre Zerlegung, um Glas, Silber oder Silizium zurückzugewinnen, ist schlicht zu aufwendig.

Noch ein Wort zum Uran: Dieser Brennstoff für Atomkraftwerke ist theoretisch zwar endlich. Doch seine Energiedichte ist derart hoch, dass es sich bei Knappheit auch lohnen würde, Erze mit einem wesentlich tieferen Urangehalt abzubauen. Die Brennstoffkosten sind beim Atomstrom sowieso von untergeordneter Bedeutung. Sollte es zudem gelingen, Uran aus dem Meer zu gewinnen, wäre der Vorrat buchstäblich endlos. Denn aus den Böden dringt ständig neues Uran ins Meerwasser. Die Atomkraft wäre damit definitiv «erneuerbar». 

Gerd Ganteför: Plan B für das Klima – Mit den Kräften der Natur den Klimawandel bewältigen. Westend, 2024. 176 S., Fr. 26.40

Die globale Erwärmung wird laut vorherrschender Darstellung massgeblich durch menschenverursachte Treibhausgasemissionen hervorgerufen. Die Uno-Klimapolitik geht dagegen vor mit Massnahmen, die sich aus dem Pariser Abkommen ergeben, unter anderem mit der Reduktion der CO2-Emissionen auf netto null bis 2050 oder einem ähnlichen Zeitpunkt. Heute erscheint es vielen unvorstellbar, wie eine solche Intervention ausfallen könnte, die praktisch eine Vollbremsung bedeuten würde.

Der Konstanzer Physikprofessor Gerd Ganteför beschäftigt sich seit längerem in Videos mit den Herausforderungen einer solchen Vollbremsung, und dabei hat er einen gemässigteren Kurs herausgearbeitet. Unter dem Titel «Plan B» legte er dar, wie ein menschenfreundlicherer Weg der CO2-Reduktion aussehen kann. Nach seiner Einschätzung genügt es, wenn man die Hälfte der Emissionen aus der Luft nimmt. Die andere Hälfte wird von Landpflanzen und Ozeanen aufgenommen. Diese Senken helfen, dass die Klimapolitik weniger radikal ausfallen muss und den Entwicklungsländern mehr Spielraum zur eigenen Entfaltung bleibt als unter den Uno-Szenarien. Ganteför hat mit seiner Botschaft, die er nun auch als Buch publiziert, etliche Wissenschaftsvertreter gegen sich aufgebracht. Beat Gygi