Sein Tod wird nur wenige betrüben», meinte der Pfarrer, als man Edgar Allan Poe begrub. Für den Mann, der die Werke des trunksüchtigen Amerikaners ins Französische übersetzte, sollte achtzehn Jahre später dasselbe gelten: Charles Baudelaire starb 1867 als Urbild des poète maudit – des verfemten Dichters – an den Folgen einer Syphilis, nachdem er sich jahrzehntelang in Elendsquartieren vor Gläubigern versteckt hatte.
Der Grund für Baudelaires Ächtung war der Skandal, den sein 1857 erschienener Gedichtband «Les Fleurs du Mal» verursachte. «Abscheuliches steht darin neben Gemeinem, Widerliches neben Pestilenzialischem», urteilte der Kritiker des Figaro. «Dieses Buch gleicht einem Siechenhaus, das allen Wahnideen des Geistes und allen Fäulnissen des Herzens offensteht.»
Drei Wochen später wurden der Dichter und sein Verleger angeklagt, die religiöse Moral verletzt zu haben. Das Urteil der sechsten Kammer des Pariser Korrektionalgerichts, vor dem sich schon Gustave Flaubert für seine ehebrecherische Madame Bovary verantworten musste, lautete wie folgt: Sechs der hundert «Fleurs du Mal» seien wegen «Verletzung des Schamgefühls und Aufreizung der Sinne» zu streichen, und der Verfasser habe eine Busse von 300 Francs zu bezahlen.
Doch schwamm Baudelaire nicht erst seit seiner Verurteilung durch ein Gericht, auf dessen Bänken sonst Zuhälter sassen, «in der Ehrlosigkeit wie ein Fisch im Wasser» (so der Dichter in einem Brief). Der Stiefsohn eines französischen Generals war schon als Halbwüchsiger ein berüchtigter Libertin, den man an den verrufensten Orten von Paris antraf und dessen grösster Genuss darin bestand, seine Zeitgenossen zu schockieren.
Mal färbte er sich – als erster Punk – die Haare grün, mal rasierte er sich den Schädel, und wenn es auch bestimmt kein braver Bürger überhören konnte, gab Baudelaire mit unbewegter Miene Skandalöses von sich: «Die Gehirne von Kleinkindern», soll er gesagt haben, «schmecken wie frische Nüsse.» Und für sein verspätetes Erscheinen zu einer Einladung entschuldigte er sich angeblich mit den Worten: «Ich musste erst noch mit meiner Mutter schlafen.»
Im Jahr 1842 wurde Baudelaire volljährig und verlangte seinen Anteil am väterlichen Erbe in der Höhe von 100 000 Goldfrancs. Nachdem er innerhalb weniger Monate fast die Hälfte dieser beträchtlichen Summe für Antiquitäten verschleudert hatte, wurde er unter die Vormundschaft eines Notars gestellt, der ihm fortan nur noch 200 Francs im Monat überwies. Ein Betrag, von dem man damals durchaus leben konnte. Es sei denn, man war – wie Baudelaire – haschisch- und opiumsüchtig und führte das Leben eines Dandys, dessen exquisite Garderobe legendär war.
Dann, nach einem Diner mit Freunden, eine schicksalhafte Begegnung: Als Baudelaire ein drittklassiges Theaterstück besucht, entdeckt er eine Mulattin auf der Bühne, in einer Rolle von kaum zehn Zeilen Länge, dafür mit Augen «gross wie Suppenschüsseln» und Unmengen von krausem, schwarzem Haar, dessen Geruch von «Ambra, Kokosöl und Teer» der Dichter beinahe zwanzig Jahre lang besingen wird.
Mit dieser Dirne aus Santo Domingo – Jeanne Duval, der «schwarzen Venus» und Muse so vieler seiner Gedichte – zeigt sich Baudelaire fortan in allen Cafés, während das Gerücht umgeht, dass er vor Freunden aus einer Prachthandschrift Gedichte vortrage. Gedichte, die von einer an Magie grenzenden Sprachbeherrschung zeugten und deren Themen radikal unklassisch seien: Der Moloch Paris mit seinen Asphaltwüsten und anonymen Menschenmassen werde in ihnen besungen, die «künstlichen Paradiese» des Drogenrausches, die fleischliche Liebe zwischen Frauen. Ja, mehr noch, schlimmer noch: Baudelaire, so wird geflüstert, knie am Altar einer neuen Schönheit des Künstlichen, des Ungesund-Bizarren, des Hässlichen.
Tatsächlich sind zu diesem Zeitpunkt bereits ein Viertel der späteren «Fleurs du Mal» geschrieben, und in einer Verlagsankündigung von 1848 heisst es, Baudelaires demnächst erscheinender Gedichtband werde die «geistige Unrast und Gärung, die Schwermut und Düsternis der modernen Jugend» zum Inhalt haben.
Bis zur endgültigen Veröffentlichung seiner Gedichte vergehen noch einmal neun Jahre, doch die «Schwermut und Düsternis» wird Baudelaire zeitlebens nicht mehr los: Spätestens nach seiner Verurteilung muss er um jede Publikationsmöglichkeit froh sein und sich gar als geheimer Lohnschreiber für andere Literaten – Théophile Gautier etwa – verdingen.
Gewiss: Baudelaire wird von Paul Verlaine verehrt, der in mehreren Artikeln zu beweisen versucht, dass der Verfasser der «Fleurs du Mal» nicht der Unhold sei, für den ihn alle halten. Auch Stéphane Mallarmé – ein weiterer Grosser der kommenden Lyriker-Generation – setzt sich für den Verfemten ein, der inzwischen die Zwänge von Reim und Strophenbau hinter sich gelassen hat, um mit seinen «Poèmes en Prose» die Zerrissenheit der modernen Welterfahrung noch prägnanter auszudrücken.
Allein, Baudelaire will nur von einem Lob: Charles-Augustin Sainte-Beuve, dem französischen Reich-Ranicki jener Zeit, und der ignoriert ihn fast ganz.
1864 verlässt der Dichter schliesslich Frankreich, in der Hoffnung, in Belgien mit Vorträgen Erfolg zu haben. Doch die Zuhörer bleiben aus, und der verarmte und immer mehr von Wahnvorstellungen verfolgte Dichter stolpert mit geflickten Hosen durch ein Brüssel wie von James Ensor gemalt, mit Horden von Kindern an den Fersen, die sich über seinen unsicheren Gang lustig machen und mit Steinen auf seinen fadenscheinigen Zylinder zielen.
Dann, im März 1866, der Zusammenbruch: In einer Kirche wird Baudelaire von einem Schlaganfall zu Boden geworfen. Eine Lähmung der rechten Körperhälfte stellt sich heraus, und die Syphilis, mit der er sich schon als junger Mann ansteckte, wütet weiter.
Als der Begründer der modernen Lyrik und vielleicht grösste französische Dichter im Jahr darauf stirbt, kann er schon seit Monaten weder lesen noch sprechen, und auch noch der Tod hält eine tiefschwarze Pointe bereit: Charles Baudelaire liegt auf dem Friedhof Montparnasse im selben Grab wie General Aupick, sein bis aufs Blut gehasster Stiefvater.
Ein Leben und ein Ende wie aus einer Geschichte von Edgar Allan Poe.