Die Populationen mancher Tierarten schwanken in mehrjährigen Zyklen. So schwärmen die Maikäfer alle vier Jahre aus; die Lemminge in Skandinavien erscheinen jedes siebte Jahr in grosser Zahl. Doch die Schneeschuhhasen und die Kanadaluchse in Nordamerika stellen all dies in den Schatten: Im Zehnjahresrhythmus wächst die Anzahl der Hasen innerhalb von zwei, drei Jahren um mehr als das Hundertfache, worauf sie dann ebenso schnell wieder schrumpft. Mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren folgt diesem Zyklus der Hasen die Populationskurve der Luchse. Erstaunlich: Der Zyklus läuft in ihrem gesamten riesigen Verbreitungsgebiet mit einem verblüffend synchronen Rhythmus gleichzeitig ab.

Geheimnisvoller Taktgeber

Das seltsame Geschehen dokumentierte schon früh die legendäre Handelsgesellschaft Hudson’s Bay Company, der bereits 1670 von der englischen Krone das Nutzungsrecht an den Schätzen des riesigen Flussgebietes im Einzugsbereich der Hudson-Bucht zugesprochen wurde. Die wichtigste Ressource der Bay war der Pelzhandel. Es war den indianischen Fallenstellern und den weissen Händlern schon früh aufgefallen, dass die Zahl der erbeuteten Hasen- und Luchsfelle im regelmässigen Rhythmus von etwa zehn Jahren schwankt.

Für die Daten in den Büchern der Hudson’s Bay Company begannen sich auch Biologen zu interessieren. Nachdem Mutmassungen wie modebedingte Schwankungen des europäischen Pelzmarkts die Regelmässigkeit nicht erklären konnten, blieb als plausibler Grund die klassische Jäger-Beute-Beziehung: Der Jäger Luchs vermehrt sich rasch, wenn er viel Beute findet, und er verhungert, wenn er durch Übernutzung die Nahrungsgrundlage ruiniert hat.

Doch dies konnte nicht erklären, warum die Zyklen über ein derart weites Gebiet synchron sind. Die Fachleute wurden sich schliesslich dahingehend einig, es müsse über allen ökologischen und menschlichen Faktoren ein geheimnisvoller und mächtiger Taktgeber walten, der das Werden und Vergehen mindestens der Schneeschuhhasen-Population zeitlich regle. Schliesslich verdichtete sich die Vermutung, der Hasenzyklus werde vom wechselnden Angebot an Nahrungspflanzen gesteuert. In der Tat schwanken in der Taiga Nordamerikas Niederschlagshäufigkeit und Temperatur der Sommermonate im mehrjährigen Verlauf parallel zum Hasenzyklus. Was aber steuert das Klima? Vielleicht der Kosmos? Denn mit einer mittleren Periodenlänge von 10,6 Jahren wächst und schwindet die Strahlungsaktivität der Sonne, wobei als Zeichen erhöhter Aktivität auf dem Sonnenantlitz Sonnenflecken erscheinen.

Sonnenfleckentheorie

Die fantastisch klingende Sonnenfleckentheorie erhielt 1993 durch das Messen der Jahrringe an gefällten Nadelbäumen im Yukon eine Bestätigung. Alle acht bis zwölf Jahre zeigte sich ein rhythmisches Auftreten von sehr eng stehenden Baumringen, was als Zeichen eines verringerten Wachstums infolge starken Verbisses durch die periodisch sehr zahlreich auftauchenden Hasen interpretiert wurde. Überzeugend wirkte die Feststellung, dass in Zeiten, wo die maximale Sonnenaktivität sehr ausgeprägt war, der Baumringzyklus (und mit ihm der Hasenzyklus) grossräumig und exakt dem Takt der Sonnenflecken folgte.

Das letzte Puzzleteilchen lieferte die Ernährung: Die Hasen hängen entscheidend vom Winterfutter, vor allem von Sträuchern und Bäumen, ab. Die wachsende Hasenmenge übernutzt die karge Vegetation jeweils derart stark, dass die Hasen weniger werden, worauf auch für den Luchs magere Jahre beginnen. Der dann alle zehn Jahre durch die erhöhte Sonnenaktivität vermittelte Klimabonus hilft der geschundenen Vegetation und damit den Hasen wieder auf die Beine.

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.