Wann kommen endlich die synthetischen Treibstoffe, die man handhaben und transportieren kann wie Benzin, Diesel oder Kerosin, die aber nicht fossilen Ursprungs, sondern klimaneutral sind? Sehnlich spekuliert man in Auto-, Transport- und Luftfahrtindustrie über solche Supermittel. Kommen sie? Wir fragen einen Fachmann, der daran arbeitet: Aldo Steinfeld ist ordentlicher Professor für erneuerbare Energieträger am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik der ETH Zürich. Er ist ein prominenter Forscher auf dem Gebiet Solartechnik und solare Treibstoffe, verbunden mit umfangreicher Publikationstätigkeit, 27 Patenten und der Betreuung von sechzig Doktorarbeiten. Seine Forschungsgruppe Professorship of Renewable Energy Carriers (PREC) an der ETH Zürich hat in der Solarenergieumwandlung Technologieinnovationen entwickelt und zwei erfolgreiche Spin-offs hervorgebracht: Climeworks und Synhelion. Climeworks ist auf die Technologie zur CO2-Abscheidung aus der Luft ausgerichtet, Synhelion vermarktet die Technologie zur Herstellung von Solartreibstoffen, wie hier auf den vorhergehenden Seiten dargestellt.

 

Weltwoche: Professor Steinfeld, Sie haben sich in Ihrer wissenschaftlichen Karriere schwergewichtig mit der Erzeugung von Solartreibstoffen beschäftigt. Wie kamen Sie dazu? Gab es ein entscheidendes Erlebnis, das Sie auf diesen Weg brachte?

Aldo Steinfeld: Danke für diese Frage. Da ich mich am Ende des Frühjahrssemesters dieses Jahres dem Ruhestand nähere, ist es ein guter Zeitpunkt, um über vergangene Erfahrungen nachzudenken. Es war eine erstaunliche Reise. Seit Beginn meiner Karriere war die Produktion von solaren Treibstoffen der wichtigste Teil meiner Forschung. Die Motivation war klar: Mit nur 0,1 Prozent der Landfläche der Erde könnte man mehr als genug Sonnenenergie sammeln, um den Energiebedarf der Weltbevölkerung zu decken. Darüber hinaus ist der Solarenergievorrat unbegrenzt und seine Nutzung ökologisch unbedenklich. Gründe genug, um eine umfassende Nutzung der Sonnenenergie zu erwarten, wenn da nicht einige sehr gravierende Nachteile wären, nämlich: Die Sonnenstrahlung, die die Erde erreicht, ist sehr dünn, intermittierend und ungleich verteilt. Ich fragte mich: Wie können wir einen Sonnenstrahl so bekommen, dass er gelagert, transportiert und zum Antrieb unserer Autos, Schiffe und Flugzeuge verwendet werden kann?

 

Weltwoche: Nach dem Motto: «Tu die Sonne in den Tank»?

Steinfeld: Ja, diese Frage hat mich dazu motiviert, nach Rezepten zu suchen, mit denen man Sonnenlicht in speicherbare chemische Energie in Form von Treibstoffen umwandeln kann. Flugzeuge, die mit Treibstoffen fliegen, die nach einem solchen Rezept hergestellt werden, würden in Wirklichkeit mit Solarenergie fliegen, selbst wenn es regnerische Nacht ist.

 

Weltwoche: Für viele gilt Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft. Traf das auch auf Sie zu?

Steinfeld: Zunächst lag mein Fokus auf der solaren Erzeugung von Wasserstoff aus Wasser zum Zweck der Dekarbonisierung des Verkehrs und anderer Industriesektoren. Angesichts der Herausforderungen bei der Speicherung, Verteilung und Verwendung von H2 als Kraftstoff für den Verkehr habe ich meine Forschung jedoch wieder auf die solare Herstellung von sogenannten Drop-in-Treibstoffen aus Wasser und CO2 fokussiert.

 

Weltwoche: Also quasi auf das, was man in Kanister schütten kann?

Steinfeld: Absolut, in den Kanister oder direkt in den Tank. Drop-in-Treibstoffe sind synthetische, flüssige Kohlenwasserstoffe wie Kerosin, Benzin oder Diesel, die die bestehende umfangreiche Verkehrsinfrastruktur für die Lagerung, den Vertrieb und die Endverwendung von Treibstoffen nutzen können, und erfordern somit keine neuen Technologien über die Produktionskette hinaus. Drop-in-Treibstoffe können also fossile Treibstoffe leicht ersetzen, und insbesondere Solarkerosin kann die Luftfahrt nachhaltiger machen.

 

Weltwoche: Wie kamen Sie an die ETH in der Schweiz?

Steinfeld: Nach meinem Doktoratsstudium an der University of Minnesota in den USA und einem Postdoc-Forschungsaufenthalt am Weizmann Institute of Science in Israel trat ich 1991 in das zum ETH-Bereich gehörende Paul-Scherrer-Institut, das PSI, ein, wo ich später als Leiter des Labors für Solartechnik tätig war. Es war eine einzigartige Gelegenheit, beim Aufbau einer Forschungsgruppe auf dem aufstrebenden und vielversprechenden Gebiet der Solarchemie mitzuwirken. 1999 wurde ich zum Professor an der ETH Zürich ernannt und transferierte meine Forschung schrittweise vom PSI an die ETH. Mein Forschungsprogramm in den letzten 25 Jahren an der ETH zielte auf die Weiterentwicklung der chemischen Ingenieurwissenschaften ab, die auf Solarenergietechnologien angewendet werden.

 

Weltwoche: Spielte bei der Auswahl ihrer Forschungsthemen «schweizerisch» eine Rolle, oder ist die Hochschule eine völlig globale Institution?

Steinfeld: Beides. Meine Forschung orientierte sich an den wichtigsten Herausforderungen im Bereich Energie und Umwelt auf globaler Ebene und in der Schweiz.

 

Weltwoche: Viele Leute stellen sich vor, dass man künftig im Transportsektor erneuerbare flüssige Kraftstoffe verwenden kann wie heute Benzin, Diesel oder Kerosin, einfach mit dem Vorteil, dass diese neuen Stoffe das Klima nicht schädigen. Eine Traumkombination. Was halten Sie von diesen Hoffnungen?

Steinfeld: Mein Kommentar dazu ist, dass diese Traumkombination, dieser Traum, Wirklichkeit wird. 2019 haben wir zum ersten Mal weltweit die Herstellung nachhaltiger Drop-in-Treibstoffe aus zwei Zutaten demonstriert: aus Sonnenlicht und Luft. Diese Pionierdemonstration wurde unter realen Feldbedingungen in unserer solaren Mini-Raffinerieanlage auf dem Dach des ETH-Maschinenlabors in Zürich durchgeführt. 2024 hat das ETH-Spin-off Synhelion die erste industrielle Solar-Raffinerie in Betrieb genommen. Und 2027 wird Synhelion eine zehnmal grössere Solar-Raffinerie in Spanien betreiben und die kommerzielle Produktionskapazität hochfahren.

 

Weltwoche: Ein zentraler Schritt bei der Herstellung von Drop-in-Fuels besteht darin, Wasserstoff aus dem Wasser herauszulösen, quasi dem H2O die H-Atome zu entreissen, dann werden mit dem Wasserstoff weitere Schritte unternommen. Können Sie kurz beschreiben, wie die Prozesse in Ihren Forschungsprojekten ablaufen und welches die resultierenden Produkte sind?

Steinfeld: Die Solar-Raffinerie zur Herstellung von Drop-in-Fuels integriert hintereinandergeschaltet drei thermochemische Umwandlungseinheiten, die in Abbildung 1 schematisch und mit etwas Fachsprache dargestellt sind: Station 1 ist die Direct-Air-Capture-(DAC)-Einheit, die CO2 und H2O aus der Umgebungsluft mitextrahiert. Eine alternative Option zur DAC ist die Verwendung von biogenem CO2 aus Biomasse. Station 2 stellt die solare Redox-Einheit (SR) dar, die CO2 und H2O mit konzentrierter Sonnenenergie in ein gewünschtes Gemisch aus CO und H2 (Synthesegas) umwandelt. Station 3 zeigt die Gas-to-Liquid-(GTL)-Einheit, die Synthesegas in flüssige Kohlenwasserstoffprodukte wie Kerosin, Benzin, Diesel oder Methanol umwandelt. Dabei handelt es sich um die Drop-in-Treibstoffe, die für den Einsatz in der bestehenden globalen Verkehrsinfrastruktur bereit sind.

 

Weltwoche: Und diese sind klimaneutral?

Steinfeld: Ja, es handelt sich um CO2-neutrale Treibstoffe, weil für ihre Herstellung Sonnenenergie genutzt und bei ihrer Verbrennung nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie zuvor für ihre Herstellung aus der Luft entnommen wurde. Die Ökobilanz der Produktionskette für Solar-Kerosin zeigt eine Vermeidung von 80 Prozent der Treibhausgasemissionen, bezogen auf fossiles Kerosin, und eine Annäherung an null Emissionen, wenn Baumaterialien wie etwa Stahl und Glas für das Heliostatenfeld mit erneuerbarer Energie hergestellt werden.

 

Weltwoche: Funktionieren Ihre Anlagen, vereinfacht gesagt, also so, dass Sonnenergie über Spiegel auf einen bestimmten Punkt gelenkt und konzentriert wird, an dem es sehr heiss wird, und dass in dieser Erhitzung die wichtigen chemischen Reaktionen ablaufen?

Steinfeld: Richtig. Die Solar-Raffinerie von Synhelion in Jülich, ein Feld aus sonnennachgeführten Parabolspiegeln, Heliostaten genannt, bündelt das einfallende Sonnenlicht in einen Solar-Receiver, der auf einem Turm montiert ist [siehe Bild oben links]. In diesem Solar-Receiver wird die konzentrierte Sonnenstrahlung effizient absorbiert und in Wärme von über 1200 Grad Celsius umgewandelt, die wiederum an den chemischen Reaktor zur thermochemischen Herstellung von Treibstoffen abgegeben wird. Dieser Weg zu solaren Treibstoffen nutzt das gesamte Sonnenspektrum und bietet somit potenziell hohe Produktionsraten und Wirkungsgrade.

«Bereit für den Einsatz in der bestehenden globalen Verkehrsinfrastruktur.»

 

Weltwoche: Wie nah sind die Anlagen, die Ihre Wissenschaftler modellieren, an der Praxisreife? Ist das Start-up Synhelion ein typisches Beispiel?

Steinfeld: Ja, die Systeme nähern sich der technischen Reife. Tatsächlich wird die Technologie von Synhelion, einem Pionier auf dem Gebiet der solaren Treibstoffe, für die kommerzielle Anwendung skaliert. 2024 hat Synhelion die erste Solar-Raffinerie im industriellen Massstab, genannt «Dawn», in Betrieb genommen, um die Robustheit der Technologie zu demonstrieren. 2027 wird Synhelion, wie gesagt, eine zehnmal grössere Solar-Raffinerie namens «Rise» in Spanien mit einem jährlichen Durchsatz von tausend Tonnen Solartreibstoff betreiben. Die kommerziellen Produktionskapazitäten werden hochgefahren mit dem Ziel, bis 2033 eine Million Tonnen pro Jahr zu produzieren und bis 2040 etwa die Hälfte des europäischen Bedarfs an Sustainable Aviation Fuel, genannt SAF, zu decken.

 

Weltwoche: Welche Drop-in-Produkte wären gut geeignet in Luftfahrt, Schifffahrt, Nutzfahrzeugen, Autos, stationären Speichern?

Steinfeld: Drop-in-Treibstoffe wie synthetisches Benzin und Diesel sind voll verträglich für die Verbrennungsmotoren von Pkw, Lkw und der Seeschifffahrt, während synthetisches Kerosin voll verträglich für die Düsentriebwerke von Flugzeugen ist. Wichtig zu beachten ist, dass diese Drop-in-Treibstoffe, wenn sie mit Solarenergie und CO2 aus der Luft oder aus einer biogenen Quelle hergestellt werden, nachhaltige Treibstoffe sind.

 

Weltwoche: Welche dieser Verbindungen sind in der praktischen Anwendung am einfachsten?

Steinfeld: Wie bereits erwähnt, können alle diese Drop-in-Treibstoffe die bestehende Verkehrsinfrastruktur für die Lagerung, den Vertrieb und den Endverbrauch nutzen und erfordern daher keine neuen Technologien ausserhalb der Produktionskette. So können Drop-in-Treibstoffe fossile Treibstoffe ersetzen oder auch mit Ihnen gemischt werden. Aufgrund der Herausforderung, die Luftfahrt zu dekarbonisieren, ist solares Kerosin als SAF am attraktivsten.

 

Weltwoche: Die Herstellung von Drop-in-Kraftstoffen mit Solarenergie ist teurer als die von fossilen Kraftstoffen. Welche Faktoren sind für diesen Kostennachteil ausschlaggebend? Kann dieser Nachteil durch die Vorteile von Solarkraftstoffen ausgeglichen werden? In welchen Konstellationen wäre dies möglich?

Steinfeld: Techno-ökonomische Analysen der gesamten Prozesskette, die in Abbildung 1 beschrieben sind, schätzten langfristig die Kosten für solares Kerosin im Bereich von einem bis zwei Euro pro Liter. Diese Kostenwerte sind überwiegend abhängig von den Energieeffizienzen der solaren Redox-Einheit, den CO2-Kosten durch DAC oder Biomasseverarbeitung und den Herstellungskosten des Heliostatenfeldes, die in Abbildung 1 dargestellt sind.

 

Weltwoche: Aber vorläufig ist die Kostendifferenz viel höher?

Steinfeld: Vorläufig ja, aber sie wird herunterkommen, zunächst durch Skalierungseffekte und Prozessoptimierungen und dann durch Massenproduktion von Schlüsselkomponenten und Learning by Doing. Ich glaube, das am besten geeignete Instrument, um Solartreibstoffe auf den Markt zu bringen, wäre ein Quotensystem, das die Fluggesellschaften dazu verpflichtet, einen Mindestanteil an SAF an ihrem gesamten Kerosinvolumen einzuführen. Diese Quote wäre zunächst gering und würde jedes Jahr steigen, was zu neuen Solar-Raffinerien und damit zu sinkenden Kosten führen würde, so wie wir es bei der Fotovoltaik beobachtet haben. So hat die EU bereits einen Plan verabschiedet, der vorsieht, dieses Jahr eine Quote von 2 Prozent SAF einzuführen, die bis 2035 auf 20 Prozent und bis 2050 schrittweise auf 70 Prozent ansteigen soll.

 

Weltwoche: Sind Sie optimistisch, was die Zukunft betrifft?

Steinfeld: Gewiss. Die Technologien, die in unseren Labors an der ETH entwickelt wurden, können zu wettbewerbsfähigen Kosten und im globalen Massstab skaliert werden und so zur Dekarbonisierung des Luftfahrtsektors beitragen.