Welchen Weg geht die Schweiz in der Umwelt- und Klimapolitik? 2011 hat der Bundesrat hektisch den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen, dies führte zur Erarbeitung einer neuen Energiegesetzgebung und zur sogenannten Energiestrategie 2050, die neben dem Ausstieg vorsah, dass die Politik in Sachen Klima und Energie schrittweise und langfristig zu mehr Lenkung übergehen soll. Ein erster Teil der neuen Energiegesetzgebung wurde 2017 vom Volk angenommen, der zweite Teil, das mehr auf Lenkung und Abgabenbelastung ausgerichtete CO2-Gesetz, 2021 abgelehnt.

Darauf schob die Politik eine revidierte Vorlage nach unter dem Titel «Klima- und Innovationsgesetz», die als Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative diente und 2023 vom Volk angenommen wurde. Darin enthalten ist unter anderem das Ziel, dass die Schweiz die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null senken müsse. Hinzu kommt, dass der Bundesrat das Ziel des Pariser Abkommens von 2015, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, seinerzeit ratifiziert hat.

Damit hat sich die Schweiz politisch formell dem Pariser wie auch dem Netto-null-Ziel verpflichtet. Wie vertragen sich solch langfristige Zielsetzungen mit einer Demokratie, in der immer wieder neue Erfahrungen und Erkenntnisse die Politik und den Volkswillen prägen und oft daran angepasste Entscheide bewirken? Wie hängen Umwelt- und Klimapolitik in der Schweiz mit Freiheit und Wohlstand zusammen, wie weit kann das Land in eigener Regie darüber entscheiden, welche Massnahmen effizienter sind als andere?

Den idealen Gesprächspartner für solche Fragen finden wir im Staatssekretariat für Wirtschaft, Seco. Botschafter Eric Scheidegger ist seit 2007 stellvertretender Direktor des Seco und seit 2012 Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik. Er ist sozusagen der Chefökonom des Bundes, der neben der Konjunkturbeobachtung die Entwicklung und Struktur der Wirtschaft auch breiter analysiert und darüber hinaus im Ruf steht, dass er wann immer möglich den marktwirtschaftlichen Kompass im Auge behält und dies in der Verwaltung zum Ausdruck bringt. Wir treffen ihn zum Gespräch in seinem Büro in Bern.

Weltwoche: Herr Scheidegger, die Schweiz hat sich als ein kleines Land durch Eigenständigkeit und Offenheit in der Weltwirtschaft eine herausragende Stellung und grossen Wohlstand erarbeitet. Ist eine eigenständige Linie auch in Umwelt- und Klimapolitik möglich und erfolgversprechend?

Eric Scheidegger: Ich bin überzeugt davon, und ein direkter Vergleich der Schweiz mit anderen OECD-Ländern mit Blick auf wichtige Nachhaltigkeitsziele zeigt dies deutlich. Die Schweiz ist gemessen an gängigen ökonomischen Nachhaltigkeitsindikatoren das wohlhabendste Land der Welt. Beim Bruttoinlandprodukt pro Kopf, dem BIP, oder bei der Innovationsfähigkeit ist das Land Weltspitze.

Weltwoche: Das betrifft jetzt die wirtschaftliche Lage, aber Nachhaltigkeit umfasst ja auch soziale und ökologische Ziele.

Scheidegger: Das stimmt. Auch bei diesen Dimensionen muss sich die Schweiz jedoch nicht verstecken. Aus sozialer Sicht haben wir weltweit eine besonders hohe Erwerbsbeteiligung, qualitativ interessante und anspruchsvolle Arbeitsplätze sowie ein gutausgebautes Sozialsystem. Zudem ist im weltweiten Vergleich die Einkommensverteilung seit Jahren relativ gleichmässig. Und schliesslich steht das Land auch bei der ökologischen Dimension sehr gut da.

Weltwoche: Wie misst man das?

Scheidegger: Zahlreiche Umweltindikatoren zeigen das. Trotz enormer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit kommt die Schweiz auf die höchste CO2-Effizienz innerhalb der OECD-Staaten, also der Treibhausgasausstoss pro BIP-Einheit ist hier am geringsten. Das hat das soeben publizierte Länderexamen der OECD nochmals bestätigt. Besonders hoch ist die Energieeffizienz vor allem auch in der Industrie, und die Umweltindikatoren im Zusammenhang mit Gewässerschutz oder Luftreinhaltung lassen sich sehen. Das alles ist das Resultat einer vergleichsweise effizienten Umwelt- und Klimapolitik, die hierzulande seit Jahrzehnten Tradition hat.

Weltwoche: Erfolgreich Wirtschaften bedeutet somit auch sorgfältigen Umgang mit der Umwelt?

Scheidegger: Das eine schliesst das andere nicht aus: Es ist bekannt, dass mit steigendem Wohlstand in den Gesellschaften auch höhere Ansprüche an nichtmonetäre Lebensinhalte entstehen wie zum Beispiel Gesundheit oder auch hohe Umweltqualität.

Weltwoche: Und das Angebot hält mit?

Scheidegger: Das ist ein weiterer Punkt. Wenn man gängige Messgrössen des Wohlbefindens anschaut, sind Indikatoren wie Ausbildungsstandards, Wohnqualität, Gesundheit und Umwelt eindeutig positiv mit dem BIP korreliert. Das heisst, wer wirtschaftlichen Wohlstand erarbeitet, schafft eine Grundlage für die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit und auch eine wesentliche Grundlage für die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit.

Weltwoche: Das steht in klarem Widerspruch zur verbreiteten These, Wirtschaftswachstum sei schädlich für die Ökologie, Kapitalismus zerstöre die Umwelt.

Scheidegger: Ich kann mit dieser These nichts anfangen. Zu Zeiten der Planwirtschaft in der Sowjetunion oder auch in China mit dem alternativen System der sozialistischen Marktwirtschaft sehe ich aus ökologischer Sicht keine wesentlichen Vorbilder oder Alternativen zum Kapitalismus. Der Zusammenhang «Kapitalismus zerstört Umwelt» ist einfach falsch. Aber klar, auch die westlichen Industrieländer müssen im Klima- und Umweltbereich grosse Anstrengungen unternehmen, um den kommenden Generationen keine ökologischen Altlasten zu hinterlassen. Wir sind auf gutem Weg. Die OECD bescheinigt der Schweiz im jüngsten Länderexamen eine erfolgreiche Abkoppelung zwischen Wirtschaftswachstum und Treibhausgasen in den letzten zwei Jahrzehnten.

Weltwoche: Ist das nun dank neuen Technologien möglich?

Scheidegger: Die Technologieentwicklung ist sicherlich ein Schlüsselfaktor. Aber auch eine effiziente Umweltpolitik ist entscheidend. Man denke nur schon an die Fortschritte des Gewässerschutzes in der Schweiz seit Ende der 1950er Jahre, der Meilenstein unserer Umweltpolitik war. Damals erlebten wir als Kinder Bäche voller Schaum. Baden in grösseren Seen war unmöglich, im Rhein zu schwimmen ebenfalls, alles war zu stark verschmutzt. Dank dem Schweizer Umweltschutz haben wir heute eine verhältnismässig hohe Qualität an Umweltgütern.

Weltwoche: Ohne dass Koordination mit globaler Politik nötig war?

Scheidegger: Nationale Alleingänge sind dann eine Option, wenn man über lokale oder nationale Umweltgüter spricht. Über das Wasser in der Schweiz, den Zustand der Luft in unseren Städten, die Schönheit der Landschaften, die Biodiversität. Das kann man eigenständig mit nationaler, kantonaler, regionaler Politik beeinflussen und steuern.

Weltwoche: Ändert sich das nun?

Scheidegger: Die Erhaltung grenzüberschreitender Umweltgüter ist schwierig, besonders bei der Klimapolitik. Da ist der Beitrag der Schweiz zur Stabilisierung des Klimas relativ klein. Einfach aufgrund der im Inland bereits erreichten hohen Emissions- und Energieeffizienz.

Weltwoche: Oft kommt der Vorwurf, dass die Schweiz durch ihre Importe und Exporte einen Teil der eigentlichen Klimabelastung einfach dem Ausland aufbürde.

Scheidegger: Es stimmt, dass wir beim Konsum von Einfuhrwaren ein Stück weit im Ausland emittierten CO2-Ausstoss konsumieren. Es gibt aber keine überzeugende Evidenz, dass Unternehmen in der Schweiz in Produktionsprozesse aus der Schweiz verlagern, um im Ausland von weniger strengen Umweltbedingungen zu profitieren.

Weltwoche: Es gibt viele Auslagerungen von Firmen, Investitionen in Schwellenländern. . .

Scheidegger: Ja, auch in Entwicklungsländern, aber oftmals verbunden mit dem Ziel, dort lokale, grosse Märkte zu erschliessen, etwa Absatzmärkte in China oder in Indien – aber nicht a priori um Carbon-Leakage zu begehen, also um den in der Schweiz strengeren Umweltvorschriften zu entgehen.

Weltwoche: In diesen Handelsbeziehungen wird also im Prinzip alles Wesentliche abgegolten, was dort an Kosten anfällt?

Scheidegger: So würde ich dies nicht sagen, denn wenn wir in China hergestellte Waren importieren, ist davon auszugehen, dass die bei der Produktion emittierten CO2-Volumen nicht oder nicht vollständig internalisiert, also im Preis berücksichtigt sind.

Weltwoche: Aber das liegt an den chinesischen Regelungen?

Scheidegger: Das liegt an der chinesischen Umwelt- und Klimapolitik. Deshalb ist es wichtig, dass sich gerade die stark wachsenden und sehr grossen Volkswirtschaften wie China auf Klimaziele verpflichten, weil ihre Treibhausgasemissionen sehr hoch sind. Es ist im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger auf der Welt, das Klima zu stabilisieren.

Weltwoche: Die Schweiz ist ja voll eingebunden in die internationalen Klimavorgaben und auch Interessenkonflikte mit dem Pariser Temperaturziel, dem Netto-null-Emissionsziel der Uno. Haben wir noch Wahlmöglichkeiten?

Scheidegger: Wir haben gewählt, und wir haben entschieden: Die Schweiz hat das Klimaabkommen von Paris ratifiziert. Und mit der Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes durch das Volk im Sommer 2023 wurden die Klimaziele der Schweiz, inklusive netto null 2050 und Bezug zum Klimaabkommen von Paris, demokratisch mit deutlichem Mehr legitimiert.

Weltwoche: Gibt es nicht trotz allem noch eine Verantwortung der Politik zu warnen, wenn Ziele wie netto null unrealistisch erscheinen, und Alternativen zu erarbeiten?

Scheidegger: Ich bin bei dieser Frage gespalten. Einerseits finde ich es richtig, dass sich die Staatengemeinschaft Klimaziele setzt, andererseits bin ich etwas skeptisch, wenn man zur Zielerreichung dann auch Zwischenziele definiert, die man unabhängig vom Erfüllungsgrad unserer wichtigsten Handelspartner in den nächsten zehn Jahren erreichen muss.

Weltwoche: Wie ist Ihre Abwägung?

Scheidegger: Es dürfte schwierig werden, wenn man gesetzte Zwischenziele zwingend und jahrgenau erreichen möchte, weil solche Wegmarken durch verschiedene Einflussfaktoren unterschiedlich gut erreichbar sind. Man denke an die Wirtschaftsentwicklung, das heute ungekannte Ausmass an technologischem Fortschritt, auch an die demokratische Bereitschaft, eine ambitionierte Klimapolitik auf dem Weg zum Fernziel mitzutragen.

Weltwoche: Das CO2-Gesetz ist ja schon 2021 am Nein des Volkes gescheitert.

Scheidegger: Ja, und deshalb hat man auf absehbare Zeit hin entschieden, in der Schweiz keine effizienten Lenkungsabgaben beim Treibstoffverbrauch einzuführen. Das ist aus Sicht der ökonomischen Effizienz bedauerlich, aber es ist ein demokratisch legitimierter Entscheid.

Weltwoche: In Demokratien gibt es immer wieder Neubewertungen des eingeschlagenen Wegs. Wird in der Schweiz die Demokratie gewinnen, wenn ihre Entscheide in Konflikt geraten zu den Planzielen 2050?

Scheidegger: Das ist schwierig einzuschätzen, weil wir da über eine Entwicklung der nächsten dreissig Jahre sprechen. Die Schweiz hat den Vorteil, dass wir mit der direkten Demokratie auf dem langen, anspruchsvollen Weg zu den Klimazielen immer wieder Gelegenheit haben werden, die demokratische Legitimität in Frage zu stellen. Dies erlaubt über die Generationen hinweg, wiederholt neue Standortbestimmungen und – wenn demokratisch gefordert – auch Anpassungen vorzunehmen.

Weltwoche: Wann sind Anpassungen unausweichlich?

Scheidegger: Die einfachsten Kilometer auf diesem langen Weg werden diejenigen sein bis Mitte der 2030er Jahre, wenn man mit relativ günstigen Massnahmen die Energie- und die Emissionseffizienz verbessern kann. Herausfordernder dürften wohl die letzten Kilometer sein, irgendwo zwischen 2040 und 2050, wenn es dann wirklich Richtung netto null gehen muss und sich aber zum Beispiel erweisen sollte, dass der technische Fortschritt nicht die erwartete Entwicklung bei der Dekarbonisierung der Gesellschaft gebracht hat.

Weltwoche: Welche Vor- und Nachteile würde eine Klimaerwärmung für die Schweiz etwa bedeuten?

Scheidegger: So schwierig es ist, Vor- und Nachteile gegeneinander aufzuwiegen, so zeigen sich auf der Plusseite natürlich längere Vegetationsperioden für die Landwirtschaft. Es ist auch nicht auszuschliessen, dass im Winter aufgrund der Klimaerwärmung weniger Energie verbraucht würde, wenn die Stromerzeugung aus Wasserkraft und Fotovoltaik während des Winterhalbjahres steigt, dies aufgrund von weniger Schneefall und wahrscheinlich mehr Regen und auch Sonneneinstrahlung. Und für die Alpennation Schweiz kann sich ein relativer Wettbewerbsvorteil für den Skisport ergeben, weil unsere Winterskiorte etwa im Vergleich mit Österreich mehrere hundert Meter höher liegen und deshalb relativ weniger stark von Schneemangel betroffen sein werden.

Weltwoche: Und Nachteile?

Scheidegger: Zu den Minuspunkten ist zu zählen, dass in den Sommermonaten Extremereignisse, Dürreperioden, Überschwemmungen drohen, dass Hitzewellen im Sommer auch die öffentliche Gesundheit in den Städten durch Hitzestaus, Hitzeinseln gefährden. Und es wird sicher auch in Land- und Forstwirtschaft Anpassungsmassnahmen benötigen, um mit diesen Klimaveränderungen umgehen zu können.

Weltwoche: Sollte sich die Schweiz jetzt schon darauf ausrichten, in vorausschauender Strukturpolitik?

Scheidegger: Menschen und Unternehmen werden sich anpassen müssen. Die Klimaerwärmung unter Kontrolle zu bringen, ist Aufgabe der global koordinierten Klimapolitik. Für die gleichzeitig zu treffenden Anpassungsmassnahmen dagegen sind die Länder selber verantwortlich mit ihrer nationalen Politik. Da ist die Schweiz schon seit rund fünfzehn Jahren aktiv am Ball.

Weltwoche: Wie?

Scheidegger: Adaptation ist ein Dauerthema etwa in der Tourismuspolitik, aber auch in der Infrastrukturpolitik. Denken Sie etwa an das Problem des nachlassenden Permafrosts, das Investitionen beispielsweise gegen Hangrutsche oder Überschwemmungen erfordert.

Weltwoche: Das Seco hat wissenschaftliche Studien erstellen lassen zum Stand und zu den Fortschritten der Schweiz punkto Nachhaltigkeit. Was ist, grob gesagt, der Befund?

Scheidegger: Erstens, dass die Ausgangslage der Schweiz bezüglich Nachhaltigkeit ausgezeichnet ist, auch und vor allem wegen der hohen Energie- und CO2-Emissionseffizienz in der Wirtschaft. Die Schweizer Unternehmen sind da weltweit führend.

Weltwoche: Weil sie eine speziell gute Selektion darstellen?

Scheidegger: Dies ist ein zweiter wichtiger Befund. Wir haben gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung weniger energieintensive Branchen wie Zement, Glas, Ziegel, Stahl oder Basis-Chemie im Land als andere. Eher überraschend war hingegen, dass auch die energieintensiven Unternehmen im internationalen Vergleich sehr effizient sind. Das erklärt, warum wir in der Energiekrise 2022/23 gesamtwirtschaftlich gut über die Runden gekommen sind, obwohl wir im Gegensatz zu Nachbarländern oder EU keine industriepolitischen Abfederungsmassnahmen gegen hohe Energiepreise ergriffen haben.

Weltwoche: Sind die Schweizer Firmen schon stärker abgehärtet, weil die Strompreise seit langem hoch sind?

Scheidegger: Wir haben nicht nur hohe Strompreise, sondern auch weltweit die höchsten Abgaben auf CO2 und zudem weltweit den höchsten Anteil an CO2-Ausstoss, der durch Abgaben bereits belastet wird. Firmen und Haushalte stehen also unter enormem Druck, energieeffizient zu sein.

Weltwoche: Man kann auch sagen, die Schweizer leiden unter hohen Belastungen.

Scheidegger: Aus der Perspektive der ökonomischen Effizienz muss man es aber so sagen: Wir sind gut unterwegs bei Klimamassnahmen, die auf den Konsum von Brennstoffen, also Heizenergie, abzielen, weil wir dort weltweit die höchste Lenkungsabgabe haben, nämlich 120 Franken pro Tonne CO2. Und wir haben hohe Mineralölsteuern auf Treibstoff. Wenn man die Emissionen beim Treibstoffkonsum zusätzlich reduzieren möchte, dann müsste man zu den heute schon hohen Benzinpreisen noch zusätzliche Lenkungsabgaben erheben.

Weltwoche: Das riefe Widerstand hervor.

Scheidegger: Ergäbe aber auch stärkere Anreize, langfristig auf sparsamere Autos umzusteigen, die Fahrzeuge besser auszulasten, den öffentlichen Verkehr zu nutzen und allenfalls auf Elektromobilität zu wechseln. Da gibt es noch viel Verbesserungspotenzial.

Weltwoche: Zählt der saubere Strom wenig?

Scheidegger: Der Schweizer Energiemix ermöglichte bisher eine praktisch CO2-freie Stromproduktion, auch dank Nuklearenergie. Will man aber dort ansetzen, wo noch die grössten Effizienzfortschritte drinliegen, muss man sich dem Verkehr zuwenden, der die grössten Treibhausgasemissionen verursacht und noch keine Emissionsabgaben kennt. Gut unterwegs sind wir dagegen bei der Einbindung unserer treibhausgasintensiven Industrie in das europäische Zertifikate-Handelssystem, das EHS. Rund fünfzig Unternehmen nehmen am EU-Emissionshandel teil. Damit verfügen sie über gleiche klimapolitische Regeln wie die Konkurrenten in der EU. Gleichzeitig haben sie starke Anreize zur Effizienzsteigerung.

Weltwoche: Alles in allem heisst das doch, dass die Schweiz bereits viel mehr fürs Klima tut als viele andere Länder?

Scheidegger: Das trifft zu, aber man kann dies auch aus einem anderen Blickwinkel sehen: Die Schweiz hat auf den ersten Kilometern auf dem Weg zu netto null zwar schon sehr viel erreicht. Nun aber die Energieeffizienz von diesem hohen Niveau aus nochmals massgeblich zu steigern, kann mit hohen ökonomischen Kosten verbunden sein.

Weltwoche: Das ist in der Politik nicht einfach zu verkaufen.

Scheidegger: Ja, deshalb ist es naheliegend, auch mit Zückerchen und mit Verboten zu arbeiten. Immerhin sind wir so frei, auf zahlreiche in der EU praktizierte Subventionierungen und einengende Interventionen zu verzichten.