Die zweiwöchige Uno-Klimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschans Hauptstadt, hat sich vor allem um einen Geldtopf gedreht. Nach zähen Verhandlungen haben sich die knapp 200 Regierungen darauf geeinigt, die Geldtransfers aus den Industriestaaten des Nordens an die Entwicklungsländer bis 2035 auf jährlich rund 300 Milliarden Dollar zu erhöhen. Die Empfängerländer hatten vor der Konferenz gar jährlich um die 1300 Milliarden Dollar Zuwendungen gefordert.

Der Geldtopf von Baku läuft auf eine Verdreifachung der Transfermittel hinaus, denn in jüngerer Zeit galten 100 Milliarden pro Jahr als Umverteilungsziel. Der Bundesrat hatte für die Schweiz früher einen jährlichen Betrag von 450 bis 600 Millionen Dollar als «fair» bezeichnet. Zudem versprach die Uno-Konferenz in Baku, durch Zusammenarbeit aller Akteure die Finanzmittel für Entwicklungsländer aus öffentlichen und privaten Quellen bis 2035 auf 1300 Milliarden Dollar pro Jahr aufzustocken. Irgendwie.

 

Agenturen, Agenturen, Agenturen

Das neue Finanzziel heisst «New Collective Quantified Goal on Climate Finance», und die Uno versucht es als Instrument darzustellen, das allen diene und nicht einfach auf eine Umverteilung von Nord nach Süd hinauslaufe: Es sei eine «Versicherungspolice für die Menschheit, die von den sich verschlimmernden Klimafolgen betroffen ist», die jedes Land treffen könnten. Und es werde den «Boom sauberer Energien weiter vorantreiben und allen Ländern helfen, an den enormen Vorteilen teilzuhaben: mehr Arbeitsplätze, stärkeres Wachstum, günstigere und sauberere Energie für alle».

Wie sind diese Ansprüche einzuschätzen, was sind die Errungenschaften dieser Welt-Klimakonferenz, die in Baku über die Bühne gegangen ist? Wir fragen Professor Philipp Aerni, Direktor des Centers for Corporate Responsibility and Sustainability an der Hochschule für Wirtschaft Fribourg. Nach einem Studienabschluss in Geografie, Umweltwissenschaften und Ökonomie und einem Doktorat an der ETH Zürich in Agrarökonomie arbeitete er unter anderem als Projektleiter bei der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Er hat somit Erfahrung mit dem Uno-Betrieb und meint: «Zu den auffälligsten Punkten der Konferenz in Baku zählt meiner Ansicht nach der starke Fokus auf die Finanzen, der anfängliche Anspruch, man müsse den Mitteleinsatz verzehnfachen, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen.»

Mit der Summe allein sei es aber nicht getan. Damit engverbunden sei der Konflikt, welche Länder wie viel bezahlen sollen. Die Europäer verträten die Ansicht, dass jetzt China und die Golfstaaten einen namhaften Teil übernehmen müssten, denn diese seien ja längst keine Entwicklungsländer mehr. Der globale Süden fordere ein Recht auf Entwicklung und auf Unterstützung beim Reparieren der Schäden, die durch das Verhalten der reichen Länder entstanden seien. Aerni: «Generell fände ich es sinnvoll, den am stärksten betroffenen Ländern, die arm sind, mehr Mittel für Anpassungen an den Klimawandel zur Verfügung zu stellen. Aber es wird sehr viel moralisiert.»

Im Umverteilungskampf würden alle Register gezogen. Besonders verzwickt ist nach Aernis Einschätzung die Frage, was mit diesem ganzen Geld im Topf gemacht werden soll. «Da gibt es eigentlich keine konkreten Antworten, weil oft höchst umstritten ist, wie die Mittel investiert werden.» Er habe sich etwas näher angeschaut, wie dieses Geld bis jetzt verteilt wurde, und auffällig sei: «Das ist häufig mit enormer Bürokratie verbunden.» Zur Umsetzung der Massnahmen würden meist aufwendige Verwaltungsstrukturen aufgebaut: «Zunächst wird in der Regel im Geberland eine eigene Agentur ins Leben gerufen, deren Aufgabe es ist, das Geld an eine internationale Organisation zu überweisen. Dort wird ebenfalls eine eigene Agentur für Ein- und Auszahlungen auf die Beine gestellt. Und jedes Empfängerland muss dann auch wieder eine eigene Agentur einrichten, um das Geld zu empfangen.»

 

Wo ist der Privatsektor?

Und auf allen Stufen seien meist spezielle Konditionalitäten zu berücksichtigen, je nachdem, welche Bedingungen die Geber mit den Geldflüssen verbänden. «Am Schluss kommt für die effektive Anwendung wenig an», fasst Aerni seinen Eindruck zusammen. Meistens stünden einzelne Projekte im Fokus, etwa ein Aufforstungsprojekt oder Investitionen in erneuerbare Energien, aber eine umfassende Analyse zur Wirkung der Zahlungen fehle. Prioritär sei für Funktionäre oft, das Geld ins eigene Ministerium zu leiten, jeder koche sein eigenes Süppchen, und die Koordination sei häufig mangelhaft. Die Kontrolle konzentriere sich in der Regel darauf, die erfolgten Zahlungsflüsse abzuhaken.

Das Hauptproblem bei diesen Uno-Initiativen bestehe darin, dass staatliche, parastaatliche und nichtstaatliche Akteure, zu denen insbesondere zahlreiche NGOs und Universitäten gehören, das ganze Geschehen bestimmten, sagt Aerni und fügt an: «Der Privatsektor dagegen spielt eine sehr marginale Rolle im Ganzen, obwohl wir alle wissen, dass Lösungen nicht in Regierungen oder an Universitäten entwickelt und umgesetzt werden, sondern in der Wirtschaft.»

 

Konkurrenz vermeiden

Klar, alle Parteien betonten in der Klimadebatte immer die Notwendigkeit, dass Lösungen skaliert, also in grossem Massstab, umgesetzt werden müssten, um Wirkung zu entfalten. Genau dafür brauche man die Wirtschaft. «Ohne Wirtschaft wird nichts skaliert. Aber genau dieser Sektor ist an Konferenzen wie der COP kaum präsent. Sicher, die internationale Handelskammer ist als Vertretung der Wirtschaft dabei, aber das ist eine Dachorganisation, die eigentlich kaum involviert ist in konkrete Projekte, in die Prozesse der Wertschöpfungsketten.»

Moment, die Weltkonferenz zu Klima und Umwelt gibt es ja seit Jahrzehnten. Lernt man aus der langen Reihe der Konferenzen denn nichts, gibt es nicht mit der Zeit solide Erkenntnisgewinne? Oder werden einfach nur Rituale durchgespielt? Aerni ist skeptisch: «Persönlich finde ich es frustrierend, wie sich das entwickelt hat.» Er selber kennt die Abläufe aus seiner Zeit bei der Uno. «Es ist eben so, dass jeder, der dort in einem Panel auftritt, eine Institution repräsentiert, die ihm genau vorgibt, was er sagen darf und was nicht. Alle verfolgen in ihrer Rhetorik eine Art Teflonpolitik; das heisst, möglichst wenig Begriffe zu benutzen oder Themen anzusprechen, die eine Angriffsfläche schaffen könnten.»

Man rede von Partizipation, alle müssten involviert werden, es brauche einen ganzheitlichen Ansatz, die Initiativen müssten koordiniert werden, man müsse sich darauf fokussieren, Synergien zu identifizieren und so weiter. «Es wird zu einer Metadiskussion, und all die Themen, die eigentlich den Leuten unter den Nägeln brennen, werden gar nicht wirklich behandelt. Die Diskussionen verharren auf einem abgehobenen Niveau. Es wird zwar immer von Lösungen geredet, aber auf die Lösungsebene gelangt man gar nicht, denn konkret genug werden die Debatten nie.»

So werde auch nicht näher geprüft, welche Ansätze tatsächlich funktionierten, welche zum Beispiel skalierbar seien, was sich bewährt habe. «Vergleiche und Bewertungen anzustellen, gilt in diesen Organisationen schon als potenziell diskriminierend, denn wenn festgestellt würde, dass die eine Initiative erfolgreicher ist als die andere, wäre das ein unerwünschter Kontrast. Solche Angriffsflächen würden nicht goutiert.» Die Tatsache, dass praktisch alle Akteure diese Risikovermeidungsstrategie verfolgen, mache die ganze Arbeitsweise der Institutionen unergiebig.

Als Beispiel nennt Aerni die «Baku Harmoniya Climate Initiative for Farmers», die mit Blick auf die Landwirtschaft an der COP29 diskutiert wurde, eingebracht von der Uno-Landwirtschaftsorganisation. Die Initiative soll wie eine Klammer unterschiedliche Initiativen, Koalitionen, Netzwerke und Partnerschaften zusammenführen, um Landwirte, Dörfer und ländliche Gemeinden zu stärken. Derzeit gibt es mehr als neunzig globale oder regionale Initiativen, Netzwerke und Partnerschaften und einen entsprechenden Bedarf an Abstimmung. Aerni dazu: «Betrachtet man, was das Ziel dieser Harmonieinitiative ist, geht es vor allem um eine Bestandesaufnahme, und einmal mehr steht Konvergenz im Vordergrund, einmal mehr der Appell, nicht gegeneinander zu arbeiten, sondern miteinander.» Alle betonten, dass es nicht darum gehe, sich zu konkurrenzieren. So bleibe es bei der Kooperationsrhetorik, der Wettbewerb werde ausgeblendet, alles gelte als gleich gut. «Und am Schluss hat man ein Kartell.»

 

«Farm to fork»-Strategie

In der Klimapolitik gibt es ja im Grunde genommen zwei Schienen, einerseits die der CO2-Reduktion, also Dekarbonisierung, anderseits die der Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel. Gibt es Tendenzen von der einen zur anderen Seite? Aus Aernis Sicht ist es immer noch so, dass die EU und europäische Länder auf dem Standpunkt beharren, die Dekarbonisierung, also Treibhausgasreduktion, müsse absolute Priorität haben. Dies im Gegensatz zu den Entwicklungsländern, die geltend machten, sie seien am stärksten betroffen und bräuchten Unterstützung für Anpassungsmassnahmen.

«Nach meiner Einschätzung hat die EU wenig konkrete Erfolge vorzuweisen. Sie hat ihre Vorbildfunktion eingebüsst, wenn man schaut, was der Green New Deal tatsächlich gebracht hat. Mit dem Green New Deal hat die EU die Probleme nicht gelöst, sondern sie lediglich in andere Länder verlagert.» Die Brüsseler Vorstellung, man könne quasi via Regulierung die Umweltprobleme lösen, habe so nicht funktioniert.

Aerni nennt das Beispiel Landwirtschaft: «Die ‹farm to fork›-Strategie zielt ja darauf ab, die Extensivierung der europäischen Landwirtschaft zu fördern, sie soll ökologischer werden – auch wenn damit höhere Ernteverluste in Kauf genommen werden müssen. Eine geringere Produktivität wegen Extensivierungsmassnahmen hat zur Folge, dass mehr Agrarflächen ausserhalb der EU nötig werden, um Europas Bevölkerung zu ernähren. Somit wird das Problem einfach verlagert. Was die europäischen Länder brauchen, um diesen land use change zu verhindern, wären Investitionen in eine nachhaltige Intensivierung, zu der auch Präzisionslandwirtschaft zählt und die Nutzung der modernen Biotechnologie in der Landwirtschaft, kombiniert mit verbesserten agrarökologischen Praktiken.» Ein selbstkritisches Überdenken der eingeschlagenen Strategie sei jedoch nicht die Stärke der EU.

Auch andere Lösungen aus Europa seien nicht überzeugend. So der Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft oder das Festhalten am Verbot gentechnologischer Methoden wie Gen-Editing. Aerni: «Alle wissen, dass eine Kombination von neuen Technologien und agroökologischen Praktiken dringend nötig ist, aber die EU geht keinen Schritt voran.»

Wenn es um die Anpassung an den Klimawandel gehe und auch um die Forderung, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen, also Sorten auf weniger Pestizid- und Düngemitteleinsatz, auf mehr Resistenz gegenüber Schädlingen, Dürre und Nässe auszurichten, dann komme man um moderne Pflanzenzüchtung und damit um moderne gentechnologische Methoden nicht herum.

 

Schweizer Bequemlichkeit

«Aber das Wort ‹Biotechnologie› fällt nirgendwo. Dabei ist allen klar, dass beim Übergang von einer petrobasierten in Richtung einer biobasierten Industrie die Biotechnologie eine zentrale Rolle spielen muss. Wir haben 25 Jahre Erfahrung mit der Agrarbiotechnologie. Die befürchteten Risiken sind nicht eingetroffen, und der Nutzen für Umwelt und das Klima wird tabuisiert, obwohl vieles gut dokumentiert ist. Seit dem Inkrafttreten des Moratoriums im Jahr 2006 ist eine geistige Bequemlichkeit in der Schweizer Politik zu beobachten, die langfristig der Nachhaltigkeit schadet, denn wir können nicht einfach weitermachen wie bisher.»

Werden denn Ernährungssicherheit und Wachstum vernachlässigt in der Klimadebatte? Aerni sieht es so; eine wichtige Kritik sei, dass die EU und Europa den Fokus derart ausschliesslich auf die Klimafrage legten und das Verständnis dafür fehle, dass in Entwicklungsländern die Armut der Hauptfeind der Nachhaltigkeit sei und nicht der Wohlstand. Es wäre anmassend, den Entwicklungsländern vorzuschreiben, wie sie ihre Energie- und Nahrungsmittelkrise angehen sollen. «Wenn wir unsere Rezepte diesen Ländern via Entwicklungszusammenarbeit oder Handelsbarrieren aufs Auge drücken», sagt der Agrarökonom, «untergraben wir damit die Nachhaltigkeit auf breiter Front, insbesondere, wenn sich diese Rezepte selbst in Europa als ineffektiv erwiesen haben.»

 

Kommentar zur EU-Agrarstrategie («farm to fork»): https://doi.org/10.3389/frevc.2022.1082869