An dieser Stelle gab Frank Sinatra eines seiner besten Konzerte. Hier trat Muhammad Ali gegen Joe Frazier zum «Kampf des Jahrhunderts» an. Letzten Sonntag zündete Donald Trump im legendären Madison Square Garden ein Feuerwerk im Endspurt um das Weisse Haus, das über die zum Bersten gefüllte Halle hinaus Euphorie auslöste.

 

«Fight, fight, fight!»

Dass Trump in New York die Fanfaren blies, war ein eindrückliches Zeichen seines ungebrochenen Kampfwillens und unverwüstlichen Optimismus. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück, aus der ihn seine Feinde vertrieben hatten. Wo ihn ein Geschworenengericht in einem Schweigegeldprozess verurteilt hat.

Mit seiner Gala in der «berühmtesten Arena der Welt» erinnerte er Amerika und die Welt daran, dass er seit seiner dunkelsten Stunde, der Abwahl vor vier Jahren, nicht einen Moment daran gedacht hat, das Handtuch zu werfen. Nachdem Tausende seiner Anhänger das Kapitol gestürmt hatten, wurde er als Tyrann, als Usurpator gar an den Pranger gestellt. Es folgten juristische Verfahren. Seine Feinde taten alles, um «Gulliver» Trump zu Boden zu bringen und festzuzurren. Seit dem richterlichen Schuldspruch in New York nennen ihn seine Hasser genüsslich «verurteilten Straftäter», einen «Volksfeind» und «Gefahr für die Demokratie».

Dergestalt diffamiert und verteufelt, war es eine Frage der Zeit, bis jemand zur Waffe griff, um zu versuchen, den «Unmenschen» hinzustrecken. So geschah es zuerst in Butler, Pennsylvania, Mitte Juli, wo Trump um Haaresbreite überlebte. Und ein zweites Mal zwei Monate später auf seinem Golfplatz in Florida.

Nahtoderfahrungen können Menschen komplett aus der Bahn werfen. Der Autor Salman Rushdie spricht von Albträumen, die ihn seit dem Mordanschlag vor gut zwei Jahren quälen. Von Angstzuständen und Schreibblockaden: «Ich setze mich hin, um zu schreiben, und nichts passiert.»

Seit dem Attentat von Butler ist «Über-Trump» auf der Überholspur.

Trump reckte nach den Schüssen von Butler die Faust in die Luft, schrie: «Fight, fight, fight!», und warf sich mit zehnfachem Enthusiasmus zurück ins Rennen. Drei Monate nach dem Attentat kehrte er an den Tatort zurück. Die Comeback-Kundgebung nahm sich aus wie eine Auferstehung. «Über-Trump» ist seither auf der Überholspur.

Der hemdsärmelige Immobiliendealer aus Queens hat seine eigene Art der Krisenbewältigung. Mit Verweis auf die Migrationsstatistik, die zum Zeitpunkt des Attentats in Butler auf einer Leinwand eingeblendet war und zu der er den Kopf gedreht hatte – was ihm das Leben rettete –, sagte er: «Ich schlafe mit dieser Karte. Ich rolle sie zusammen, nehme sie jede Nacht mit ins Bett und küsse sie.»

 

«Jetzt erst recht»-Moment

Das Attentat von Butler war ein Wendepunkt in Trumps Karriere. Danach geschah Bemerkenswertes. Mit seinem Überlebenswillen und seiner Entschlossenheit verlieh er vielen Amerikanern Zuversicht, einen positiven Schub. Es war ein «Jetzt erst recht»-Moment.

Die bislang gespaltenen Republikaner stellten sich auf dem Parteitag als eingeschworenes Team hinter Trump. Menschen, die ihm bisher eher skeptisch gegenüberstanden, gingen auf ihn zu. Und es scharten sich bekannte Leitfiguren um ihn, die sich bisher zurückgehalten hatten.

Tulsi Gabbard, die Powerfrau und Kriegsveteranin aus Hawaii, die 2020 für die Demokraten selbst Präsidentin werden wollte, stellte sich offiziell hinter Trump. Robert F. Kennedy Jr., Spross der grössten US-Polit-Dynastie, setzte seine eigene Kandidatur für das Weisse Haus aus und schloss sich Trump an.

Auch Tucker Carlson, der bekannteste Journalist unserer Zeit, ist Trumps Team beigetreten. 2018 hatte er der Weltwoche als erstem Medium überhaupt offen seine Abneigung gegen Trump kundgetan: «Trump packt es nicht», sagte er damals. Jetzt stellt er sich mit voller Kraft hinter den Ex-Präsidenten.

Und mit J. D. Vance steht Trump ein Kandidat fürs Vize-Amt zur Seite, der den New Yorker Millionär einst einen «Idioten» und «verwerflich» nannte. Jetzt ist der ehemalige Hillbilly aus den Appalachen der wichtigste Fackelträger des Trumpismus.

Die Truppe von parteipolitischen Konvertiten und Bekehrten bildet ein All-Star-Team um Trump. Der kanadische Psychologe, Autor und Kulturkritiker Jordan Peterson nennt sie die modernen X-Men, mit Anspielung auf die Gruppe von Mutanten aus der Comicwelt, die sich vereinten, um die Menschen vor den verschiedenen Monstern der Welt zu beschützen.

«Die X-Men sind nun in der Realität angekommen, um die Republik zu retten», erklärte Peterson letzte Woche in einem Podcast. Als Anführer von Trumps X-Men sieht er Elon Musk. «Er ist wirklich, und zwar auf so komische Weise, ein X-Man.»

Musk, der genialste Unternehmer und Entwickler der Gegenwart, gilt seit der Übernahme von Twitter für manche als wichtigster Verteidiger der Redefreiheit. Während vielerorts Meinungen unterbunden werden, öffnete er mit X ein Forum, wo Menschen ihren Gedanken freien Lauf lassen dürfen.

Wie die fiktiven Marvel-Helden hat auch Trump heftige und tragische Rückschläge durchgestanden. Doch mit Elon Musk und den X-Men im Rücken wirkt er heute entspannter als je zuvor. Während seines New Yorker Gerichtsverfahrens liess Trump seinem Zorn freien Lauf. Nun reagiert er auf die Geisselzwicke seiner Feinde bisweilen mit einer erfrischenden Prise Ironie.

Mit Elon Musk und den X-Men im Rücken wirkt Trump heute entspannter als je zuvor.

Gegen ihn werde öfter ermittelt als gegen «den verstorbenen Al Capone», macht er sich über seine juristischen Probleme lustig. Mit einer Bemerkung über seinen verstorbenen Vater, der vom Himmel über ihn wache und der sich frage: «Was um alles in der Welt ist mit meinem Sohn passiert?», bringt er das Publikum zum Lachen.

Trumps neue Leichtigkeit manifestiert sich auch in dem Tänzchen, das er zum Gassenhauer «YMCA» jeweils zum Schluss seiner Kundgebungen zum Besten gibt. Seit kurzem setzt er noch einen drauf, indem er nach einem imaginären Golfschläger greift und zum Schlag ausholt. Damit zeigt er der Welt: Hier bin ich wieder, voller Schwung und mit der Aura eines Unbesiegbaren.

 

Auf zu neuen Ufern

Trump weiss: Um das Weisse Haus wiederzuerobern, braucht er neue Wähler. Die konventionellen Medien sind gegen ihn. Also hat er aus der Not eine Tugend gemacht und ist zu neuen Ufern aufgebrochen. Er hat die Podcasts entdeckt.

«Podcasts haben bei dieser Wahl eine noch nie dagewesene Macht», schreibt das Wall Street Journal. Man kann «ein Publikum erreichen, das mit den Einschaltquoten von Netzwerk- oder Kabelnachrichten konkurriert oder diese sogar übertrifft». Besonders im Segment der Jungwähler.

Trump hat im Wahlkampf siebzehn Podcast-Auftritte absolviert. Die Kür legte er letzten Samstag bei Joe Rogan hin, der unangefochtenen Nummer eins aller Podcaster Amerikas. Auch Rogan war nie ein Trump-Fan. Er wollte ihn jahrelang nicht in seiner Sendung. Doch jetzt rollte er für den Ex-Präsidenten den roten Teppich aus. Trump sei nicht so schlimm, wie viele behaupteten, erklärte Rogan. «Alle sagen, dass er ein Diktator sein wird. Nun, er war kein Diktator. Er war tatsächlich vier Jahre lang Präsident, und die Wirtschaft hat sich wirklich gut entwickelt.»

Ein Gradmesser für Trumps Aufschwung im Wahlkampf ist die Nervosität bei der Konkurrenz. Bei den Demokraten ist der vielbeschworene Vibe vom Parteitag in Chicago verflogen. Kamala Harris greift zunehmend zu extremen Äusserungen. Jüngst bezeichnete sie Trump als «Faschisten» und ventilierte Hitler-Vergleiche.

Doch noch ist nichts entschieden. «Das Rennen ist extrem knapp», sagt Trumps Umfragechef John McLaughlin zur Weltwoche. Er spreche zweimal pro Tag mit Trump. Und er sage ihm klar und deutlich: «Die Präsidentschaft wird in den letzten verbleibenden Tagen gewonnen oder verloren.»

 

Enthusiasmus, Leistung, Charme

Dass Trump angesichts der miserablen Bilanz von Biden und Harris nicht deutlich vorne liegt, hat nicht nur mit den Medien zu tun, die alles daransetzen, ihn in Grund und Boden zu stampfen. Trumps narzisstische Züge, sein Charakter, der auf viele vulgär und abstossend wirkt, steht ihm im Weg, mehr Herzen – und Stimmen – zu erobern.

Einen Teil dieses Defizits macht der 78-Jährige mit seinem Enthusiasmus, seinem positiven Leistungsausweis als US-Präsident und seinem spröden Charme wett.

Wenn es das vielbeschworene «Momentum» gibt, dann ist es spätestens seit Sonntagnacht auf Trumps Seite. Der Matador der Republikaner beendete die Gala im Madison Square Garden mit beherztem Mitsingen zu Frank Sinatras legendärem Hit «New York, New York». Vereint mit Ehefrau Melania versprühte er eine Aufbruchsstimmung, die direkt auf das Publikum übersprang.

Mit seinem Bestseller «The Art of the Deal» hat sich Trump einst zur Business-Ikone aufgeschwungen. Gut möglich, dass er mit seiner «Kunst des Comebacks» nächsten Dienstag Geschichte schreibt.