Tchaikovsky’s Wife (Russland, Frankreich, Schweiz 2023): Von Kirill Serebrennikow. Mit Aljona Michailowa, Odin Biron, Yuliya Aug

Das Kino ist kein Männerklub mehr, in dem nur Herren beim Durchsetzen ihrer Ziele hässliche Seiten zeigen. Frauen drängen hinein. Jüngst die machtgeile Star-Dirigentin im Film «Tár». Ein Solitär in sinistrer Männerdomäne ist sie nicht und war es auch nie. Die Bilder konnten kaum richtig laufen, da keilte sich schon eine Krähen-Lady mit einem Pfaffen («Hell’s Hinges», 1916), und aktuell mutiert die zuckersüsse Sissi zur Kratzbürste, die das monarchische Gehampel zum Teufel wünscht («Corsage», 2022; «Sisi & Ich», 2023).

Der Russe Kirill Serebrennikow, für seine Opern-, Theater- und Filmproduktionen («Leto», 2018) gefeiert, widmet sich einem besonders bizarren Exemplar aus der Zarenzeit: Antonina Iwanowna Miljukowa. Sie war eine beinharte Stalkerin, die sich mit kalter Rücksichtslosigkeit an den gefeierten Komponisten Pjotr Tschaikowsky ranschmiss, bis der aufgab und sie im April 1877 heiratete. Der scheue und schwierige Genius hatte aber auch einen nüchternen Hintergedanken: Eine Ehe würde ihn vor den hartnäckigen Gerüchten über seine Homosexualität schützen. Nur entpuppte sich die Ehe als Liebesterror.

Antonina, Tochter einer Grossfamilie mit einem Drachen von Mutter, die ihre Töchter fauchend anzubrüllen pflegt, beginnt ihr monströses Powerplay mit Liebesbriefen (die sie aus einem Buch abschreibt), bis das Objekt ihrer haltlosen Begierde sie aufsucht, um sie zu bitten, mit dem Unsinn aufzuhören. Darauf droht sie mit Selbstmord und anderen Erpressungen. Erschrocken gibt er nach und verlangt eine Ehe auf kameradschaftlicher Basis. Das ist ihr recht, sie liebe ihn auch unter diesen Bedingungen.

Endstation Irrenanstalt

Bereits nach einer Woche hat er nur noch Ekel für sie übrig. Seiner Brieffreundin und offenbar auch finanziellen Unterstützerin Nadeschda von Meck (im Film kommt sie nicht vor) gesteht er: «Es kamen Augenblicke, in denen ich wie ein Wahnsinniger einen derartigen Hass gegen meine unglückliche Frau empfand, dass ich sie am liebsten erwürgt hätte.» Er fühlt sich aufgesogen, verschlungen und flieht, sucht Ruhe und die Gesellschaft mit jungen Männern.

Im Film wird Antonina zur Vampirin, die vor nichts zurückschreckt, um sich an ihm auf ewig festzusaugen. Er setzt Anwälte auf sie an, nötigt sie, einer Scheidung zuzustimmen – vergeblich. Komplett amusisch, an seinem Beruf desinteressiert, klammert sie sich zunehmend weniger an ihn als an die Ehe und ihre eingebildete Liebe, und das nimmt psychopathische Züge an. Sie unterwirft sich sexuell anderen Männern und bringt drei Kinder von drei verschiedenen Männern zur Welt, die sie ins Waisenhaus gibt. Als Tschaikowsky überraschend im Alter von 53 Jahren in St. Petersburg stirbt, tritt sie würdevoll als Witwe auf. Nach offizieller Lesart verstarb Pjotr an Cholera; Insider behaupten, er habe auf Druck von Rechtsschul-Kreisen (denen er angehört hatte) wegen seiner Homosexualität Arsen genommen. Antonina starb 1917 in einer Irrenanstalt.

Kirill Serebrennikow, der während einer Produktion 2017 unter fadenscheinigen Begründungen angeklagt wurde, Gelder veruntreut zu haben, bekam zwei Jahre Hausarrest. Während dieser Zeit schrieb er das Buch zu «Tchaikovsky’s Wife» und verfilmte es während der Corona-Zeit in zwei Monaten in einem Moskauer Atelier ohne Tageslicht. Fast durchweg in dunklen, nebelverhangenen Tönen, ist ein Ambiente der Einsamkeit, Melancholie und der Albtraumhaftigkeit entstanden.

Das Extrem ist hier die Norm, angefangen bei Antoninas Familie, einer Schlangengrube, mit der Mutter, die ihre Töchter mit hysterischen Verwünschungen stranguliert. Aus dieser Grube flieht Antonina in ihre obsessive Tschaikowsky-Vernarrtheit, um sich dem lähmenden Sog der Nichtsnutzigkeit zu entziehen. Eine Ehe mit einem Gefeierten wird auch Licht auf sie werfen. Stattdessen wird sie selbst Opfer eines Männerrudels arroganter wie geiler Kerle, die sie aus Tschaikowskys Nähe vertreiben oder sie flachlegen wollen. Es sind delirierende, opernhafte Szenen, die Antonina in ihrem rabiaten Besitzstandswahn versinken lassen.

Aljona Michailowa als sture Stalkerin ist das Ereignis des Films. Erst erscheint sie als perlenweiss vom inneren Licht erfüllte, naive Träumerin, die sich aus den krakeelenden Niederungen der Familie befreit, bis sich die Wirklichkeit wie ein Netz fest um sie legt und tief in Haut und Seele schneidet. Sie wird zur missgünstigen, sturen Megäre, die auf ihrem Recht beharrt, Tschaikowsky im Namen Gottes erobert zu haben.

Odin Biron als Tschaikowsky hat die weniger ergiebige Rolle; ein Verhuschter, der mit seinen jungen Adepten lieber im Dunkeln bleibt. Kirill Serebrennikow, ein offen bekennender Schwuler, schrammt dabei an der Homophobie vorbei, bei den Männern, die Antonina ziemlich fies umgurren – ein eher widerwärtiger Haufen. In Russland ist der Film verboten, schon wegen Tschaikowsky, dessen Homosexualität lieber ignoriert wird.