Samara Joy: Linger Awhile. Verve. 00602448266491

Dieses Album ist das Denkmal für eine alte Kunst. Dass die Sängerin Samara Joy mit «Linger Awhile» unlängst nicht nur den Grammy für das «Best Jazz Vocal Album», sondern gleich auch noch die Auszeichnung als «Best New Artist» gewonnen hat, mag der eine oder die andere als paradoxes Indiz dafür nehmen, dass Jazz insgesamt zur Kunst mit einer abgeschlossenen Geschichte, gar zu einer sentimentalischen Angelegenheit geworden ist: noch einmal beschworen durch eine 1999 geborene schwarze Sängerin. Samara Joy McLendon, wie die Dame mit ganzem Namen heisst, ist ein Ausnahmetalent. Sie verkörpert nicht weniger als das, was ich in einem sieben Jahre vor ihrer Geburt geschriebenen Text einmal «Die kurze und glückliche Geschichte des Jazzgesangs» genannt habe; was meinte, dass, trotz mannigfacher bewundernswerter zeitgenössischer Vokalkunst auch im improvisierten Fach, Jazzgesang eine historische Kunst ist, wenn immer wir darunter etwas anderes verstehen als (in ihrer Genetik durchaus verwandte) Vokalformen wie Blues, Gospel, Soul, R & B oder auch Rap.

Historisch oder zeitlos? Samara Joy singt Standards aus dem sogenannten Great American Songbook. Sie interpretiert also lyrics, Texte; in einem Fall erfindet sie sie selbst, zu einem Stück des Bebop-Trompeters Fats Navarro («Nostalgia», inklusive Solo). Ihre Vorbilder sind die Heroinen der Disziplin: Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Sarah Vaughan – aber eben im Plural. Das macht ihren Horizont aus: Sie kopiert nicht ein einzelnes Vorbild, sie zieht auf eigene Weise eine Art Quintessenz aus ihnen allen. Im Rücken hat sie eine befeuerte Rhythmusgruppe mit Ben Paterson am Piano, David Wong am Bass und dem Drummer Kenny Washington, dazu den exzellenten Gitarristen Pasquale Grasso. Für eine schöne Lesart von Thelonious Monks «’Round Midnight» kommen drei Bläser dazu.

Joy gelingt beispielhaft die Balance zwischen den Polen allen Jazzgesangs: Intimität und Power, Verinnerlichung und Virtuosität. Zwischen Holiday und Fitzgerald trifft sie, sozusagen, die Temperatur von Sarah Vaughan. Etwas sehr pauschal gesagt. Denn im bewegendsten Stück, einem finalen Zwiegespräch mit Grasso über George Gershwins «Someone to Watch over Me», orientiert sie sich unverkennbar an einem Intimissimo des Klassikers, einer Version von Fitzgerald im Duo mit dem Pianisten Ellis Larkins.