Der Schweizer Finanzplatz hat in den vergangenen Jahren wieder etwas an Gewicht gewonnen, nachdem die Abschaffung des Bankkundengeheimnisses und die Einführung des automatischen Informationsaustausches das internationale Geschäft erschüttert hatten. Welches sind heute die grössten Herausforderungen, wie geht es weiter nach dem Ausfall der Credit Suisse? Wir fragen Marcel Rohner, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung, nach den Entwicklungsaussichten und drängendsten Aufgaben im Swiss Banking. Der Ökonom Rohner ist seit dreissig Jahren im Finanzsektor tätig, heute unter anderem als Verwaltungsrats-Vizepräsident bei der Genfer Union Bancaire Privée (UBP) und als Vizepräsident des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse.

Weltwoche: Herr Rohner, wie hat die Schweizer Bankenbranche den Untergang der Grossbank Credit Suisse und deren Übernahme durch die UBS verkraftet?

Marcel Rohner: Das war natürlich ein dramatischer Schlag für die Branche und die betroffenen Mitarbeitenden. Aber gleichzeitig ist der Bankensektor gewachsen, die verwalteten Vermögen haben 2023 zugenommen, die Anzahl der Beschäftigten, die Bankdienstleistungen anbieten, ist um 3,5 Prozent gestiegen. Dass im Jahr des CS-Untergangs mehr Menschen auf dem Finanzplatz arbeiteten als vorher, ist eine gute Nachricht.

Weltwoche: Die Lücken wurden also gleich geschlossen?

Rohner: Bei zahlreichen Produkten und Dienstleistungen im Retailbanking herrscht ein intensiver Wettbewerb. Hier haben die Kunden keinen Nachteil. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei der Vergabe von Firmenkrediten, braucht es mehr Zeit, bis neue Anbieter die Lücke füllen können. Wir sehen aber, dass ausländische Banken sich in der Schweiz in Position bringen, um diese Chance zu nutzen.

Weltwoche: Ist Swiss Banking eine Wachstumsgeschichte oder eher ein Verteidigungskampf?

Rohner: Es ist wohl beides. Einerseits wächst der Finanzplatz im Inland mit der Schweizer Wirtschaft, mit all den spezifischen Dienstleistungen und Produkten. Anderseits kämpfen wir um unsere Stellung im Geschäft, das international aus der Schweiz heraus erbracht wird, hauptsächlich in der Vermögensverwaltung. Das tönt jetzt etwas technisch, aber da liegt eine ungeahnte Brisanz verborgen.

Weltwoche: In welcher Hinsicht?

Rohner: In unzähligen Gesprächen seit der Credit-Suisse-Krise habe ich festgestellt, dass sich viele in der Wirtschaft, aber auch in der Bevölkerung, nicht wirklich bewusst sind, in welch enger Symbiose der Finanzplatz und die Realwirtschaft miteinander verbunden sind.

Weltwoche: Schaut man oft zu einseitig auf den Werkplatz?

Rohner: Der Werkplatz ist natürlich stark. Die Schweizer Wirtschaft ist seit Jahrzehnten hochkompetitiv und international sehr erfolgreich, weil das Land offen und innovativ ist. Unser dauerhafter Leistungsbilanzüberschuss führte zu einer sich stetig aufwertenden Währung. Die Währung ist wie die Aktie eines Landes. Sie profitiert davon, dass wir nicht in Kriege verwickelt und damit sicher sind, aber auch Rechtssicherheit haben. Dies dank einer funktionierenden Demokratie mit stabilen, verlässlichen Institutionen.

Weltwoche: Was auch Standortvorteile sind für den Finanzsektor.

Rohner: Das macht die Schweiz attraktiv für Geldzuflüsse aus dem Ausland zu unseren Banken, die mit grosser Kompetenz diese Gelder verwalten. Viele Tausend Milliarden an Geldern, wovon ein Teil auch in Franken angelegt wird.

Weltwoche: Das heisst eigentlich: Der Finanzsektor profitiert von der Realwirtschaft und der Politik. Gilt das denn auch in umgekehrter Richtung?

Rohner: Ja. Schauen Sie, wie in der Schweiz die 1100 Milliarden Franken an Hypotheken und die 100 Milliarden an Firmenkrediten finanziert werden, wie die öffentliche Hand finanziert wird, die Anleihen der Kantone, der Spitäler und der anderen Einrichtungen.

Weltwoche: Durch das klassische Bankgeschäft.

Rohner: Ja, aber mit Realzinsen, die in den letzten vierzig Jahren konstant ein halbes bis eineinhalb Prozent tiefer waren als im Rest der Welt. Also sehr günstig. Natürlich unterstützt durch eine Nationalbank, die eine sehr kluge und effiziente Geldpolitik betrieben und die Inflation niedrig gehalten hat. Das ist das, was der Schweizer Finanzplatz dem Land bringt. Es sind nicht nur die Steuereinnahmen und die Löhne der 155 000 Leute, die hier arbeiten. Unser Finanzplatz ist eine Finanzierungsmaschine, die dem Land unglaubliche Vorteile bringt.

Weltwoche: Wie stark ist denn das Banking im internationalen Geschäft?

Rohner: Entscheidend ist natürlich unsere eigene Konkurrenzfähigkeit. Genauso wichtig sind aber auch die Rahmenbedingungen sowie die Frage, wo die Schweizer Institute überhaupt Marktzugang erhalten.

Weltwoche: Wo sehen Sie Engpässe?

Rohner: Unsere Konkurrenzfähigkeit ist hervorragend, die Qualität unserer Produkte im internationalen Vergleich top. Deshalb können unsere Banken oft auch dort, wo ein direkter Marktzugang fehlt, über Tochtergesellschaften international erfolgreich tätig sein. In diesem Sinne sind unsere Banken Wachstumsinstitutionen, aber es gibt Hürden – vor allem in Europa, wo wir schlechten Marktzugang haben und nun durch einen intensivierten Regulierungsdialog neue Wege suchen. In anderen Regionen gab es grosse Erfolge, etwa in Lateinamerika und im Mittleren Osten. Auch in Osteuropa, wobei der Ukraine-Krieg und die Sanktionen das grenzüberschreitende Geschäft teilweise verunmöglicht haben.

Weltwoche: Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Beratungsfirma Deloitte zeigt, dass der Schweizer Finanzplatz in der Vermögensverwaltung weltweit nur noch knapp an der Spitze liegt und dass die Konkurrenz, vor allem Grossbritannien und die USA, aufholt. Geht der Spitzenplatz nächstens verloren?

Rohner: Interessanterweise hat Grossbritannien laut der Studie am stärksten aufgeholt, also gerade jener Finanzplatz, dem man für den Fall des Brexit den Untergang vorausgesagt hatte. Für die Schweiz ist dies grundsätzlich ein positives Signal, denn mit Grossbritannien haben wir ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung unterzeichnet. Was die Studie aber auch zeigt, ist die Tatsache, dass der Schweizer Finanzplatz vor allem wegen hausgemachter Probleme derart unter Druck steht.

Weltwoche: Probleme in den Unternehmen oder Probleme in der Politik?

Rohner: Nach dem CS-Debakel hat die Politik eine Liste von 29 Massnahmen vorgeschlagen, einen Tsunami an Regulierungen. Wir stellen uns nicht gegen sinnvolle Korrekturen, aber sie müssen zielführend sein und zur Stärkung von Stabilität und Vertrauen beitragen. Eine wachstumsfördernde Regulierung ist effizient, intelligent implementiert, und sie adressiert die Themen. Ein positives Beispiel dafür ist die Selbstregulierung beim Thema Nachhaltigkeit. Ein negatives Beispiel, wenn die Schweiz die finalen Basel-III-Standards einführt, bevor der Rest der Welt dies tut. Das geht zu weit. Gleiches gilt für die hiesige Einführung der OECD-Steuerreformen, bevor andere Länder mitziehen. Und es gibt weitere Regulierungen, die ineffizient sind und zu ungleichen Spiessen führen, wie etwa beim Informationsaustausch. Die Schweiz setzt diesen um, während sich die USA nicht darum kümmern.

Weltwoche: Es fällt auf: Amerikanische Banken erholen sich von Krisen viel schneller als europäische. Sind Schweizer Banker schlechter als die amerikanischen Kollegen?

Rohner: Wenn eine Bank quasi einen Drittel der Welt als Heimmarkt hat, ist das schon eine grundsätzlich andere Voraussetzung, als wenn das Institut aus einem kleinen Land kommt. Grössenvorteile spielen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass die Behörden der USA, wo die letzte grosse Finanzkrise ihren Ursprung nahm, ihre eigenen Banken so reguliert und behandelt, dass sie weiterhin erfolgreich wirtschaften können.

Weltwoche: Tickt Europa einfach anders?

Rohner: Ja, in den USA wurde wohl genüsslich mitverfolgt, wie man sich in der EU, teilweise auch in der Schweiz, selbst Steine in den Weg legt und dafür sorgt, dass die eigenen Banken international gegenüber amerikanischen Konkurrenten an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Weltwoche: Der EU-Binnenmarkt soll doch eine Gegenmacht schaffen.

Rohner: Wir stellen fest, dass vom angekündigten einheitlichen europäischen Finanzmarkt auch nach zwanzig Jahren überhaupt nichts sichtbar ist. Es gibt immer noch eine verzettelte Regulierung und kaum Anreize, eine grosse europaweit tätige Bank zu bilden. Europas Markt wird nie so gross und homogen sein wie der amerikanische. Auch daher unser Appell an die hiesige Politik: Tragt unserem Finanzplatz Sorge, damit wir weiterhin erfolgreich aus der Schweiz hinaus Geschäfte tätigen können.

Weltwoche: Wo orten Sie Hindernisse?

Rohner: Es ist der Protektionismus im Dienstleistungsbereich, der für unseren international grenzüberschreitend tätigen Finanzplatz ein besonders schwerwiegendes Problem darstellt und uns vielerorts den Marktzugang verwehrt, vor allem in der EU.

Weltwoche: Ist die Schweizer Regulierung nicht europatauglich?

Rohner: Letztlich haben wir eine Regulierung, die absolut äquivalent ist zu den Regulierungen anderer Finanzplätze. Das haben die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich gezeigt, die wir relativ schnell mit einem Vertrag zur gegenseitigen Anerkennung abschliessen konnten.

Weltwoche: Dann tut Brüssel einfach mal sperrig?

Rohner: Jedenfalls wurde mit den Revisionen des Finanzmarktrechts in der Schweiz Anfang der 2010er Jahre eine Regulierung geschaffen, die weitestgehend konsistent ist mit der EU-Regulierung. Damit bestünden überhaupt keine Gründe mehr, warum man von der Schweiz aus nicht grenzüberschreitend tätig sein könnte. Wir setzen uns als Bankenbranche seit mehreren Jahren dafür ein, dass der Marktzugang in die EU für Bank- und Wertpapierdienstleistungen verbessert wird.

Weltwoche: Können Sie die Kosten der Regulierungsaufrüstung abschätzen?

Rohner: Die steigenden Compliance-Anforderungen und zusätzlichen Regulierungen der letzten zehn Jahre haben das Bankgeschäft erheblich verteuert. Diese Faktoren belasten das Kosten-Ertrags-Verhältnis inzwischen um rund fünf Prozentpunkte. Uns ist klar, dass es in der supervernetzten, interdependenten, digitalisierten Welt sehr wichtig ist, die Kunden genau zu kennen. Aber etliche Vorgaben sind fragwürdig, kosten extrem viel und bringen auf Kundenseite wenig.

Weltwoche: Wie wirkt sich die Neutralitätsdebatte auf die Banken aus?

Rohner: Das ist schwierig zu sagen. Auf der einen Seite gibt es befreundete Staaten und Kundinnen und Kunden, die eine klare Haltung haben in Bezug auf Recht und Unrecht und das Mittragen der Sanktionen in diesem Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen. Auf der anderen Seite wirft die unbesehene Übernahme von Sanktionen und eine unklare Haltung in anderen spezifischen Fragen der Neutralitätspolitik auch Fragen auf. Die Politik sollte berechenbar und klar verständlich sein.

Weltwoche: Was heisst das?

Rohner: Die Bankiervereinigung hat ihre Haltung zu Sanktionen schon im Jahr 2022 dargelegt und wiederholt bekräftigt. Dass die Schweizer Banken die Ofac-Sanktionen der USA übernehmen, ist allen Kundinnen und Kunden klar. Wer Ofac-Sanktionen verletzt, wird vom Dollarverkehr abgekoppelt. Das ist für keine Bank eine Option, auch für keine Schweizer Bank. Das stellt zwar die strikte Neutralität in Frage, ist aber anerkannt und sorgt für wenig Verunsicherung.

Weltwoche: Welche Bedeutung hat die Neutralität für Banken?

Rohner: Eine lang bewährte und flexible Neutralität als sicherheitspolitisches Instrument, um uns aus fremden Händeln herauszuhalten, ist auch in einer komplizierten, multipolaren Welt ein sehr wichtiges und probates Mittel mit Signalwirkung. Grenzüberschreitende Geschäfte beruhen auf Vertrauen. Wenn es hier Fragezeichen zur Sicherheit der Vermögenswerte gibt, ist das nicht gut.

Weltwoche: Sind Schweizer Banken unter ausländischer Mehrheitskontrolle noch Schweizer Banken?

Rohner: Selbstverständlich. Wenn es eine Schweizer Gesellschaft ist, die nach hiesigem Recht inkorporiert ist und von einem Schweizer Regulator als Lead Regulator beaufsichtigt wird, dann gelten unsere Prinzipien und Richtlinien. Ich glaube, bei einer Publikumsgesellschaft mit relativ anonymem Aktionariat ist dessen Zusammensetzung nach Nationalitäten nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist, dass die Führung einer Bank mit Sitz in der Schweiz ein Gespür für schweizspezifische Themen hat.