Walter Isaacson: Einstein. Die Biografie. C. Bertelsmann. 832 S., Fr. 48.90

Wie sah eigentlich Niels Bohr aus? Brille? Bart? Oder war das Werner Heisenberg? Von Max Planck haben zumindest ältere Deutsche noch eine vage Vorstellung: Sein Porträt zierte einmal Münzen der D- und DDR-Mark: Glatze, Schnauzer, Brille. Nun ist das Aussehen eminenter Physiker nicht wirklich relevant, wäre da nicht einer, dessen Antlitz man auf der ganzen Welt auf Anhieb erkennt: Albert Einstein.

Der wuchernde weisse Haarkranz, der ihn wie ein Heiligenschein umgab, der ungezähmte Schnurrbart, die gütigen Augen, der milde Blick – unverkennbar. Da muss er noch nicht einmal dem Fotografen die Zunge herausstrecken, was sich eigentlich für einen seriösen älteren Herrn damals nicht gehörte. Als ob sich Einstein jemals gehalten hätte an das, was sich gehört.

 

Von Neugier beseelt

Schon zu Lebzeiten war er eine Ikone der Wissenschaft, ein Popstar der Physik, an dessen Popularität Jahrzehnte später nicht einmal Stephen Hawking heranreichte. Zwar verstand niemand Einsteins Relativitätstheorie; dennoch lauschten in New York Tausende seinen Vorträgen – die er auf Deutsch hielt. Jeder Kutscher, bemerkte er selbst einmal ironisch, diskutiere seine Theorien. Jeder kennt seinen Ausspruch «Gott würfelt nicht». Das gilt noch mehr für die vermutlich berühmteste Gleichung der Wissenschaftsgeschichte: E = mc2. Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat prangt auf T-Shirts, Kaffeetassen und Postern. Auch wer von Physik nichts versteht, kann sie sofort zuordnen.

Einsteins Name wurde zu einem Synonym für Genie, obwohl er von sich selbst in typischer Bescheidenheit sagte, dass er keine besonderen Talente habe, sondern «einfach von leidenschaftlicher Neugier beseelt» sei. Doch Planck stellte ihn über Isaac Newton und Johannes Kepler, und im letzten Jahr des alten Jahrhunderts kürte ihn das Fachmagazin Physics World zum bedeutendsten Physiker aller Zeiten. Denn ohne Einstein wäre die moderne Physik undenkbar. Er stürzte das Weltbild Newtons mit seinen festgefügten Naturkräften.

Sein Leben umspannte nicht weniger revolutionäre Umbrüche: Geboren wurde er als Untertan des Königs von Württemberg; er starb in den Vereinigten Staaten von Präsident Dwight Eisenhower. Nicht nur die Wissenschaft machte ihn berühmt. Sein leidenschaftlich gepredigter Pazifismus katapultierte ihn vollends in den Stand eines säkularen Heiligen. Der junge Staat Israel bot dem spät bekehrten Zionisten wenige Jahre vor dessen Tod das Amt des Staatspräsidenten an. Das Vorhaben, so meinten Spötter, scheiterte daran, dass Einstein die Amtsgeschäfte nicht von seinem kleinen Haus in der Mercer Avenue in der amerikanischen Universitätsstadt Princeton hätte leiten können.

Der junge Staat Israel bot Einstein wenige Jahre vor dessen Tod das Amt des Staatspräsidenten an.

Es war ein Leben, das nach einem grossen Biografen rief, und nun hat sich einer der bekanntesten Biografen der Gegenwart des Themas angenommen: Walter Isaacson, bekannt durch seine Biografien von Leonardo da Vinci, Steve Jobs und Elon Musk, hat eine detaillierte, kenntnisreiche und über lange Passagen spannende Erzählung vom Leben des grossen Wissenschaftlers vorgelegt. Die weniger spannenden Passagen, dies vorweg, betreffen seine Erklärungen der wissenschaftlichen Durchbrüche Einsteins. Entweder sind sie für Laien in jeder Form undurchdringlich, oder Isaacson ist es nicht gelungen, sie zu durchdringen und in verständlicher Form vorzustellen.

Bei seinen früheren Büchern war dem Autor vorgeworfen worden, sich zu sehr vom Gegenstand seiner Biografien vereinnahmen zu lassen und die Personen zu unkritisch zu behandeln. Bis zu einem gewissen Grad trifft dies auch auf Isaacsons Schilderung von Einstein zu. Dennoch schimmert immer wieder durch, dass der Physiker im privaten Leben kein Heiliger war. Zeitgenossen bescheinigten ihm einen Mangel an Empathie. Er sei unfähig gewesen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Seine Gedanken hätten nur um seine Formeln gekreist, die er in ein Notizbuch schrieb, das er ständig bei sich trug. In späteren Jahren, wenn er täglich von daheim in die Universität spazierte, zementierte dies seinen Ruf als liebenswürdiger, zerstreuter Professor.

 

Ausgeprägter Nonkonformismus

Den Mangel an Empathie bemerkten vor allem die Frauen in Einsteins Leben, von denen es – neben seinen beiden Ehefrauen – offenbar nicht wenige gab. Denn Einstein war kein «Kostverächter». Als Gattin Nummer eins, die serbische Mathematikerin Mileva Maric, mit ihrem ersten Kind schwanger war, schrieb er ihr von seinem grossen «Glück». Er meinte jedoch weniger den Nachwuchs als eine soeben fertiggestellte Abhandlung über Elektronenstrahlen. Und als die Ehe unrettbar zerrüttet war, stellte Einstein Maric Bedingungen, was er von ihr erwarte (ziemlich alles) und was sie von ihm erwarten könne (ziemlich nichts). Er sicherte ihr lediglich «ein korrektes Benehmen von meiner Seite zu, wie ich es einer fremden Frau gegenüber üben würde».

Dies alles schmälert nicht im Geringsten Einsteins Leistungen. Ihre Triebfeder war die unerschöpfliche Neugier eines Kindes, das das Staunen und die Ehrfurcht über die Wunder der Natur nie verlernt hat. Dazu kam ein ausgeprägter Nonkonformismus. Von Kindesbeinen an löckte Einstein wider den Stachel jeder Autorität. «Es lebe die Unverfrorenheit», schrieb er später einem Freund. «Sie ist mein Schutzengel in dieser Welt.»

Tatsächlich dürfte es dieser Charakterzug gewesen sein, dem Einstein den Durchbruch zur Relativitätstheorie verdankte. Denn auch andere eminente Physiker beschäftigten sich etwa zur selben Zeit mit demselben Thema, wagten aber nicht den letzten Schritt zu gehen, da er sie ausserhalb der allgemeingültigen Dogmen geführt hätte. Einstein, dem jedwede Autorität gleichgültig war, hatte keine Bedenken.

Das war 1905, das als annus mirabilis, als Wunderjahr des Physikers in die Geschichte eingehen sollte. In diesem Jahr veröffentlichte er fünf seiner wichtigsten Werke, von denen jedes – wie der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker später sagte – nobelpreiswürdig war. Sie gipfelten in der Abhandlung «Zur Elektrodynamik bewegter Körper», die Einstein dann als spezielle Relativitätstheorie bezeichnen sollte. Das Genie hielt damals keine Professur inne, sondern war als technischer Experte 3. Klasse beim Berner Patentamt beschäftigt. Eine ähnlich bizarre Beschäftigung wie die des Zeitgenossen Franz Kafka, der sein Geld bei der Arbeiterversicherungsanstalt in Prag verdiente.

Mit seinem Nonkonformismus stand Einstein nur in der Physik allein. Anderswo war die Jahrhundertwende eine Zeit des Aufbruchs. In Musik, Malerei, Medizin, Literatur – überall wurden Grenzen ausgetestet und gesprengt, alte Gewissheiten in Frage gestellt und über Bord geworfen. James Joyce, Pablo Picasso, Sigmund Freud, Arnold Schönberg, Ludwig Wittgenstein – die Liste der Bilderstürmer liesse sich beliebig fortsetzen.

 

Vielleicht würfelt Gott doch

Einsteins Beitrag bestand darin, ein Universum zu präsentieren, in dem Raum und Zeit keine festen Grössen mehr waren, sondern von zufälligen Bedingungen der Beobachtung abhängig waren. Das stellte alles Bisherige auf den Kopf, legte den Grundstein zur Quantenmechanik, dem Kern der modernen Physik – und beunruhigte Einstein zutiefst. Denn er war überzeugt davon, dass das Universum Gesetzmässigkeiten folgen, dass ihm eine harmonische Wirklichkeit zugrunde liegen müsse. «Wenn ich eine Theorie beurteile, dann frage ich mich, ob ich, wenn ich Gott wäre, es in dieser Weise eingerichtet hätte», schlussfolgerte er. Gott hätte die Zusammenhänge ebenso wenig in anderer Weise arrangieren können, «wie er aus vier eine Primzahl hätte machen können».

«Es lebe die Unverfrorenheit», schrieb er einem Freund. «Sie ist mein Schutzengel in dieser Welt.»

Daher Einsteins logische Konsequenz, dass Gott, «der Alte», nicht würfle. Ziel der Wissenschaft sei es, diese Harmonie zu entdecken, und diesem Ziel verschrieb er sich in der zweiten Lebenshälfte: Der Revolutionär leistete Widerstand gegen die Revolutionäre. Er haderte mit der Quantenphysik und deren Exponenten Heisenberg, Max Born oder Bohr. Aber er wurde von ihnen immer wieder mit seinen eigenen Waffen geschlagen: Sie widerlegten ihn mit seiner eigenen Relativitätstheorie. Als Einstein erneut betonte, dass Gott kein Würfelspieler sei, erwiderte ihm Bohr: «Einstein, hören Sie endlich auf, Gott vorzuschreiben, was er zu tun hat.»

Dreissig Jahre lang suchte Einstein nach einer einheitlichen Feldtheorie, einer Formel, die das ganze Universum erklärt. Er sei, erklärte er, Determinist: «Alles ist vorherbestimmt, Anfang wie Ende, von Kräften, über die wir keine Kontrolle haben. [. . .] Menschen, Gemüsepflanzen oder kosmischer Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Musik, die irgendwo in der Ferne von einem unsichtbaren Musiker gespielt wird.»

Die Wissenschaft hat die Suche nach dieser «Weltformel» auch nach seinem Tod fortgesetzt – bisher erfolglos. Nicht auszudenken, wenn Einstein unrecht hätte und Gott tatsächlich würfelt. Und sich nach jedem Wurf lachend auf die Schenkel klopft.