Genf

Nun also hat er seine Kandidatur lanciert. Vor einer Bibliothek ledergebundener Bücher, an einem antiken Schreibtisch, den Blick in sein Manuskript vertieft, begleitet von zunächst düsterer, dann zusehends leichterer klassischer Musik, entwirft der bekannte Journalist und Bestsellerautor Eric Zemmour ein finsteres Bild seiner geliebten Heimat Frankreich.

Wir sehen brennende Häuser, abgefackelte Autos, Schlägerbanden, Gangs, die auf offener Strasse Drogen verkaufen. Zemmours Frankreich ist im Ausnahmezustand, ein Kriegsschauplatz. Polizisten werden attackiert, Frauen verprügelt. Die Kamera schweift durch eine Metrostation, die auch in Burkina Faso oder Mali stehen könnte. Betende Muslime beherrschen die Szenerie.

Zemmour behandelt in seinem eindringlichen Film keine wirtschaftlichen Themen, weder Covid noch den Klimawandel. Bei ihm geht es ums Ganze, um alles, um die Existenz Frankreichs und seiner Kultur, das Frankreich der alten Könige, der Dichter und Denker, von Napoleon und General de Gaulle bis hin zu Belmondo, Brigitte Bardot und Charles Aznavour.

Die Medien stellen ihn als Teufel dar, als Rassisten, ausgerechnet ihn, den Aussenseiter, den Sohn algerischer Juden, der aufgewachsen ist in der Banlieue von Paris, ein assimilierter, man könnte fast sagen: überangepasster französischer Superpatriot, der schon als Kind Balzac und die Geschichte Napoleons verschlang, von seinen Eltern angetrieben zu Höchstleistungen in der Schule.

Seine politische Laufbahn nahm einen rasanten stratosphärischen Verlauf. In den Umfragen überholte er überraschend Marine Le Pen. Man traut ihm zu, das chronisch zerstrittene rechte Lager zu einen, wie einst François Mitterrand die Linken als Versöhner an die Macht brachte. Zemmour, der rechte Mitterrand, der Retter, der sein Frankreich den Abgründen der Dekadenz entreisst?

Kurz bevor er seine Kandidatur bekanntgab, kamen unerfreuliche Schlagzeilen. Die Medien berichten von einer inoffiziellen Beziehung zur 28-jährigen Wahlkampfleiterin. Von einer Schwangerschaft ist die Rede. Zemmours katholische Unterstützer sind nicht erfreut. Der Kandidat verlor die Nerven, als er nach einem eisigen Empfang in Marseille einer protestierenden Frau den Mittelfinger zeigte.

Welche Qualität braucht ein französischer Präsident? «Die Fähigkeit zur Gleichgültigkeit», sagt im Gespräch mit der Weltwoche der Hoffnungsträger der Bürgerlichen. Wir trafen den früheren TV-Star, der einst schmunzelnd, witzig, vor den Kameras glänzte, eine Art Woody Allen der Rechten, vor einem Auftritt in Genf, den die linken Stadtoberen im Namen der Toleranz verhindern wollten.

Wir haben ihn dort weder als Extremisten noch als Ausländerhasser erlebt, sondern als überlegten, belesenen und äusserst kultivierten, nachdenklichen Menschen, der das Gefühl hat, Frankreich drohe ihm, dem Frankreich-Enthusiasten, abhandenzukommen. Viele Franzosen sehen es ähnlich. Zemmour füllt Säle mit Tausenden Interessierten, die meisten davon jung.

Den Zemmour-Politiker gibt es in der Schweiz noch nicht. Vielleicht auch deshalb nicht, weil die Missstände in Frankreich augenfälliger sind. Der Kandidat, der keiner Partei angehört, spricht vom «französischen Selbstmord», von der «Ersetzung einer Zivilisation durch eine andere», vom versagenden «Episkopat der Politik», das zu stoppen es vielleicht schon zu spät sei.

Zemmour ist, anders als ihn die Medien verleumden, kein Fremdenfeind. Als Angehöriger zweier Minderheiten in Frankreich geht es ihm nicht um Ethnien, sondern um Werte. Er macht es deutlich mit einem Zitat des berühmten Anthropologen Claude Lévi-Strauss: «Jede Kultur hat das Recht, sich taub zu stellen gegenüber den Werten einer anderen Kultur.»

Wenn die Linken Frankreich und dessen Geschichte schlechtmachen, wehrt er sich. Noch in den finstersten Epochen erkennt er Lichtblicke, verweigert er sich dem eindeutigen Urteil. Die Medien machen daraus einen Skandal, aber man könnte es auch Differenzierung nennen. Zemmour widersetzt sich dem Zwang, die Vergangenheit dem Moralismus der Gegenwart zu unterwerfen.

Zemmour sieht sich als Verteidiger der französischen Werteordnung, des französischen Lebensstils, «der Kultur, der Freiheit und der Toleranz, aber auch des Charmes der Frauen und der Leichtigkeit der Geschlechterbeziehungen». So redet kein «Rechtsextremer», kein «Rassist», doch die enthemmte Feindseligkeit seiner Gegner zeigt, wie sehr sich die Mächtigen inzwischen vor ihm fürchten. R. K.