Am 8. Dezember 2018 nahm der Ökonom William Nordhaus in Stockholm den Nobelpreis entgegen. Er wurde für seine 1975 begonnene Integration des Klimas in die Wirtschaftstheorie ausgezeichnet, die 1992 zum DICE-Modell (Dynamic Integrated Model of Climate and the Economy) führte.

Dieses Modell bildet einerseits den Nutzen, das heisst die vermiedenen durch Klimawandel verursachten Kosten ab, andererseits aber auch die mit der Eindämmung des Klimawandels verbundenen Kosten. So konnte Nordhaus eine zentrale Frage beantworten: Bei welcher Erderwärmung ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis am günstigsten? Er kam zu einem Schätzwert für dieses Optimum von 2,5 Grad – was bei den meisten Klimatologen heftigen Protest auslöste. Denn sie hatten sich auf das Ziel von 1,5 Grad festgelegt, allerdings ohne klare Begründung.

Nordhaus dagegen gab offen zu, dass die subjektive Abwägung der Zukunft gegenüber der Gegenwart ein Problem darstelle, weil der Nutzen der heute ergriffenen Massnahmen in der Zukunft liege, während die Kosten (das deutsche Heizungsgesetz lässt grüssen) in der Gegenwart anfallen würden. Über diese Abwägung weiss man jedoch ziemlich wenig.

Der offene Zugang zur DICE-Plattform erlaubte es seither Kritikern von Nordhaus, Aspekte des Modells zu ändern, nicht zuletzt im Bestreben, das optimale Kosten-Nutzen-Verhältnis doch noch auf 1,5 Grad zu reduzieren.

 

Greta Thunbergs Sicht auf die Welt

Am 4. März 2020 fand in Strassburg eine andersgeartete Zeremonie statt. Greta Thunberg kritisierte den Gesetzesvorschlag der zuständigen Kommission des EU-Parlaments scharf. Der Vorschlag sei eine Bankrotterklärung, denn mit der Natur könne man nicht verhandeln; es gebe keinen Deal mit der Physik. Die Medien berichteten weltweit über diesen Auftritt, und die Mehrheit der Politiker war voll des Lobes.

Nur: Ist das 1,5-Grad-Ziel sinnvoll, und wenn ja, wie könnte man es kostengünstig erreichen? Denn Mittel, die für Investitionen zur Eindämmung der Erderwärmung aufgewendet werden, stehen nicht für andere Zwecke zur Verfügung, zum Beispiel für Ausbildung, Gesundheit und Innovationen. Greta Thunbergs Kapuzinerpredigt beruht allerdings auf zwei fundamentalen Missverständnissen.

Missverständnis 1: Die Physik (so auch die Klimatologie) ist nicht fix, sondern eine Wissenschaft wie andere auch, das heisst, ihre Aussagen gelten vorläufig als wahr, bis sie durch innere Widersprüche oder Beobachtungen widerlegt werden. Man denke nur an die Physik von Newton, die über mehr als zwei Jahrhunderte als wahr akzeptiert war, bis sie von Einsteins Relativitätstheorie abgelöst wurde. Es ist also jederzeit damit zu rechnen, dass neue Erkenntnisse das 1,5-Grad-Mantra untergraben. Aber auch Ökonomen sind nicht gegen Fehlprognosen gefeit. So publizierte William Stanley Jevons 1865 das Buch «The Coal Question», in dem er die Kohleförderung des Vereinigten Königreichs den geschätzten Vorräten gegenüberstellte. Er kam zum Schluss, dass die Vorräte nur noch wenige Jahrzehnte ausreichen würden. Heute schätzt man jedoch ihre Reichweite auf weitere 120 Jahre.

 

Fehlprognosen und Widerstand

Die Analogie zur Erderwärmung scheint auf der Hand zu liegen: Auch die Erde hat einen beschränkten «Vorrat» an Möglichkeiten, mit ihrer Erwärmung umzugehen. Ob dies auch auf die Menschheit zutrifft, ist jedoch nicht klar.

Eine andere Fehlprognose geht auf den Geologen Marion King Hubbert zurück. Angesichts der raschen Zunahme des Erdölverbrauchs in den USA wurde er beauftragt vorauszusagen, wann die Förderung des Landes ihr Maximum erreichen werde. Er kam aufs Jahr 1972 – und tatsächlich ist die Erdölförderung in den USA seither zurückgegangen. Die sogenannte «Peak-oil»-Hypothese wurde flugs auf die weltweite Erdölförderung übertragen. So prognostizierte die Internationale Energieagentur im Jahr 2000 ein Maximum («peak») für 2020. Tatsächlich stieg die Förderung 2021 aber um 1,6 Prozent und 2022 sogar um rekordhohe 5,4 Prozent.

Es ist jederzeit damit zu rechnen, dass neue Erkenntnisse das 1,5-Grad-Mantra untergraben.

Es waren dann Donella und Dennis Meadows und ihr Team, die 1972 mit dem Buch «Die Grenzen des Wachstums» für eine weitere Fehlprognose verantwortlich waren. Sie sagten voraus, dass die Menschheit infolge des Wirtschaftswachstums einem Kollaps entgegensteuere, nicht zuletzt wegen stark steigender Preise für Rohstoffe. Der Biologe Paul R. Ehrlich war von dieser Voraussage so überzeugt, dass er 1980 eine Wette annahm, die ihm vom Ökonomen Julian L. Simon angeboten wurde. Die beiden einigten sich auf die inflationskorrigierten Preise von Kupfer, Chrom, Zinn und Tungsten im Jahr 1990 als Messgrössen. Die Preise aller fünf Rohstoffe waren dannzumal jedoch um bis zu 50 Prozent niedriger als zehn Jahre zuvor, und Ehrlich musste 576 Dollar an Simon überweisen (er hätte auch 10 000 Dollar gewettet).

Missverständnis 2: Es geht nicht darum, «mit der Natur zu verhandeln», sondern um die Wertung der natürlichen Umgebung durch die Menschen. Diese Wertung ist bereits zwischen den Bürgern und Bürgerinnen eines Landes unterschiedlich und erst recht zwischen jenen im reichen Norden und denen im Süden, wo die Leute primär einen höheren Lebensstandard erreichen möchten. Die subjektive Abwägung zwischen den heutigen Kosten der Eindämmung der Erderwärmung und dem Nutzen daraus in der Zukunft fällt vermutlich im Süden noch stärker zugunsten der Gegenwart aus als im Norden.

Es stellt sich somit die Frage, ob dieser Interessenkonflikt durch (wenn möglich international koordiniertes) Eingreifen der Regierungen in Form von Geboten und Verboten gelöst werden muss. Dies ist die vorherrschende Meinung, während der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou schon vor mehr als hundert (!) Jahren als Alternative vorgeschlagen hatte, die Umweltgüter mit einem Preis zu versehen. Übertragen auf die heutige Debatte, ist dies eine Bepreisung von CO2 (aber auch des weit schädlicheren Methans), eine Abgabe, die allerdings bis anhin nicht ihre volle Wirkung entfaltet, weil die Regierungen des Nordens davor zurückschrecken.

Der Widerstand der Bevölkerung ist verständlich, denn die Politiker denken nicht daran, die Einnahmen aus einer CO2-Steuer oder -Abgabe den Leuten zurückzuerstatten. Das passt ins generelle Bild. Bereits 2019 kontrollierte der deutsche Staat 45 Prozent der Wirtschaftsleistung, nach den Corona-Massnahmen sodann 50 Prozent, der französische Staat sogar 57 beziehungsweise 62 Prozent. In den Industrieländern arbeiten die Menschen somit zur Hälfte des Jahres für den Staat, und die Klimapolitik wird ihnen mit grösster Wahrscheinlichkeit noch mehr Eigentums- und andere Rechte wegnehmen.

Dabei nehmen die Bürger und Bürgerinnen Umweltbelange ernst und bringen so die Unternehmen dazu, dies ebenfalls zu tun. Wer heute den Katalog eines Versandhauses in die Hand nimmt, wird bei der Bekleidung vielfach den Vermerk «aus recyceltem Material hergestellt» finden. Und schon lange bevor die EU-Kommission über ein Verbrennerverbot nachdachte, haben Autohersteller mit einem reduzierten Benzinverbrauch geworben. Sie nutzten dabei den Erfahrungsschatz, der sich seit 1876 im Zuge unzähliger Verbesserungen des Otto-Motors angehäuft hatte – und mit einem Verbot verlorengehen wird.

 

Auf Kosten von Kunden und KMU

Allerdings werden global gesehen mehr SUVs als konventionelle Autos verkauft, vor allem in Indien und generell in Ländern mit mittlerem Einkommen. Die Abwägung im Spannungsfeld «Kosten heute, Nutzen in Zukunft» geschieht offensichtlich nicht im Sinne vieler Politiker, die deshalb versucht sind, das zu korrigieren und die Leute zu ihrem Glück zu zwingen.

Sie laufen dabei allerdings Gefahr, zwei Nebenwirkungen der staatlichen Regulierung zu übersehen.

Nebenwirkung 1: Staatliche Regulierung erschwert kleinen, innovativen Unternehmen den Marktzugang. Denn sie haben kaum Kontakt zu den Beamten, die für die Erlasse zuständig sind, und stolpern so über Vorschriften, die sie in nützlicher Frist nicht erfüllen können.

Nebenwirkung 2: Unternehmen sind dazu da, ihre Kunden zufriedenzustellen; nur so erzielen sie Erlöse und Gewinne, die sie für Investoren attraktiv machen. Auch Familienmitglieder kehren ihren Firmen früher oder später den Rücken, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist. Doch die Unternehmen müssen nun zunehmend primär die Regulierungsbehörden zufriedenstellen, um ihr Überleben zu sichern. So dient ein wachsender Teil der ausgewiesenen Wirtschaftsleistung nicht mehr ihrem eigentlichen Zweck, der Befriedigung der Bedürfnisse von Konsumentinnen und Konsumenten.

Das Fazit dieser Überlegungen ist klar: Politiker, die tatsächlich im Interesse ihrer Wählerinnen und Wähler handeln möchten, sind gut beraten, das 1,5-Grad-Mantra in Frage zu stellen – und wenn sie es doch übernehmen, eine CO2-Bepreisung mit Rückerstattung ins Auge zu fassen. Und im Übrigen darauf zu vertrauen, dass die privaten Akteure innovative Wege finden, um das vorgegebene Ziel mit vernünftigem Aufwand zu erreichen.

Peter Zweifel ist Professor em. für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik der Universität Zürich mit den Forschungsschwerpunkten Energie, Umwelt, Gesundheit und Versicherungen.