Respekt vor dem Feind würde man bei allen kleinen Beutetieren erwarten, denen Klapperschlangen nachstellen. Das Kalifornische Ziesel, eine den Murmeltieren verwandte Art von Erdhörnchen, lebt im Verbreitungsgebiet einer Unterart der Prärieklapperschlange. Ziesel haben im Laufe der Evolution im Blut Eiweissmoleküle entwickelt, die das Schlangengift weitgehend neutralisieren. Obschon das Ziesel den Schlangenbiss überlebt, wird es durch die Giftspritze geschwächt und für andere Feinde verletzlich gemacht.

Für die Zieseljungen, die sich im Frühling aus dem Bau an die Sonne wagen, bedeutet ein Schlangenbiss jedoch den raschen Tod, denn die noch geringe Blutmenge hat gegen die geballte Giftladung keine Chance. Die Klapperschlangen stellen die Mütter der Zieseljungen also vor ein Optimierungsproblem: Wie kann ich meine Jungen schützen, ohne mich selber zu gefährden?

 

Warnung oder Attacke

Biologen am San Diego Zoo haben das Kräftespiel analysiert. Entdeckt eine Zieselmutter eine Klapperschlange, stellt sie sich in sicherer Entfernung auf die Hinterbeine, um die Lage zu überblicken. Dann erfolgt «Schlangenalarm», ein heftiges Winken mit dem Schwanz, gelegentlich begleitet von lauten Pfiffen. Die Warnung informiert die Artgenossen der Kolonie über die entdeckte Gefahr und signalisiert zugleich der Schlange: Wir haben dich gesehen. Nicht selten schleicht sich der ertappte Räuber davon. Bleibt die Klapperschlange jedoch liegen, stellt sie eine latente Gefahr dar. Einer noch jungen Schlange spritzt das Ziesel Sand und Dreck an die Schnauze. Genügt diese Ohrfeige nicht, stürzt sich das Hörnchen auf die Schlange, schlägt ihr die Zähne in den Leib, was zu tödlichen Verletzungen führt.

Bei einer erwachsenen Klapperschlange passt das Ziesel die Verteidigung der Grösse der Schlange an. Keine leichte Taktik, denn Klapperschlangen lauern gerne verdeckt unter Gebüsch. Die Evaluation des Feindes wird für das Ziesel noch zusätzlich durch den Faktor Temperatur erschwert: Eine Schlange wird umso gefährlicher, je wärmer sie ist. Messungen haben ergeben, dass eine Klapperschlange um die Mittagszeit mit einer Körpertemperatur von 35 Grad Celsius doppelt so schnell zustösst wie in der morgendlichen Kühle mit 10 Grad Körperwärme. Am gefährlichsten sind deshalb grosse, warme Schlangen. Wie soll das Ziesel, wenn es unter dem Busch einen Zipfel Schlange erspäht, nun herausfinden, wie gross und warm die Bestie ist?

 

Verräterisches Klappern

Das Ziesel reizt eine lauernde Klapperschlange durch Vor- und Zurückhüpfen, bis das Reptil seine Rassel zischen lässt. Die Biologen hatten den Verdacht, dass die Rassel dem Ziesel Grösse und Körpertemperatur der Schlange verrät. Klapperschlangen bilden bei jeder Häutung einen Hornring, wodurch schliesslich eine Rassel aus losen miteinander verbundenen Gliedern entsteht. Wird die Klapperschlange gestört, lässt sie zur Warnung das Schwanzende vibrieren, was ein Schwirren erzeugt. Das Klappern verrät sowohl Grösse wie Körpertemperatur. Denn mit zunehmendem Alter werden die Rasselglieder immer grösser, der Ton dadurch lauter und tiefer. Und je wärmer der Körper, umso lebhafter das Tier und höher die Frequenz des Geklappers.

Die Forscher nahmen das Rasselgeräusch von Schlangen zwischen 20 und 600 Gramm und bei Temperaturen von 10 bis 35 Grad auf Tonband auf und spielten es vor Zieselbauten aus versteckten Lautsprechern ab. Bei einem tiefen, schnellen Ton ging das Ziesel auf grössere Distanz, beobachtete das vermeintliche Schlangenversteck länger in aufrechter Stellung und schlug heftiger Schlangenalarm als bei einem hellen, langsamen Rasseln.

 

Herbert Cerutti ist Autor und Tierexperte.