Sind Katastrophenfilme eine Mahnung über die Klimazerstörung oder das Gegenteil: versteckter Optimismus?

Professor Murray Siskind behauptet, der amerikanische Optimismus lasse sich mit Karambolageszenen aus Hollywoodfilmen belegen. Die würden in ihrem Detailreichtum zerberstender Technik, explodierender Tanks, lodernder Motoren et cetera, der kompletten Zerlegung des Fortschritts, einen herrlichen Rausch auslösen und einfach begeistern. Er erkenne darin Zukunftsfreude. Europa dagegen würde diese Leichtigkeit immer kopieren wollen, aber ihm fehle einfach der Optimismus. Siskind ist eine Erfindung Hollywoods.

Ein Mann rast mit seinem PS-Schlitten durch Manhattan. Keine Ampeln, kein Stau, keine Cops, dafür hohes Gras am Times Square und aasendes Damwild. Was für ein Traum: eine ganze Stadt, eine Metropole ohne Smog, Gestank und Lärm; dafür Natur, wohin das Auge reicht. Saftiges Gras, Bäume, Tiere und darüber blauer Himmel. Der Mann, der so hemmungslos dahinblocht, ist der letzte Mensch nach einer globalen Viruspandemie. Er lebt im Futurum II, der Postapokalypse. Der letzte Mensch ist natürlich auch eine Hollywoodkreation.

Das Schauderhafte trägt Hoffnung in sich

Die Idylle ist eine Täuschung; Siskinds Optimismus auch? In der Stadt, in der er lehrt, ist ein Chemiewaggon entgleist, dem eine üble giftgelbe Wolke entweicht und die sich wie ein schmutziger Teppich über den Ort legt. Die Medien nennen das euphorisch einen «airborne toxic event» (luftübertragener, giftiger Vorfall). Die Stadt wird evakuiert. Der letzte Mensch im Manhattan-«Paradies» ist nicht der letzte. Er hat allen Grund, zu rasen. Ist er nach Sonnenuntergang nicht in seinem burgartig gesicherten Domizil zurück, kann er zur Beute marodierender Wilder werden, die die Nächte in Barbarei verwandeln. Prof. Siskind stammt aus dem Film «White Noise» (2022) und der letzte Mensch aus «I Am Legend» (2007). Gemeinsam haben die beiden praktisch nichts.

«I Am Legend» hat die Apokalypse hinter sich, und die Natur hat sich den Planeten wieder zurückerobert, alle von Menschen geschaffenen Produkte zerlegt, zweckentfremdet, verschönt oder unter sich begraben. Urbane Betonwüsten mutierten zu arkadischer Schönheit. Ein verlorenes, aber seltsam faszinierendes Paradies. So sieht es die Traumfabrik. John Milton («Das verlorene Paradies») schrieb: «Lass nicht den Menschen im Voraus erfahren / Was ihn und seine Kinder einst bedrohen soll.» Doch genau das reizt das La La Land: schön ausgewalzt zu zeigen, was auf uns zugekommen sein wird. Und genau deshalb hat Siskind mit seiner Theorie des Pudels Kern aller Filmdystopien freigelegt: In ihnen liegt viel Optimismus.

Nicht immer. Es gibt auch Menetekel-Filme, sinistre Endspiele, wie etwa «The Day After» (1983), der pseudodokumentarisch das Überleben nach dem Atomschlag schildert und dann als «heilsamer» Schock, sagen wir, nicht gefeiert, aber gelobt wurde. Nur eben: «Heilsam» für wen? Die Atommächte? Antikriegsfilme haben eigentlich mit dystopischen Filmen nichts zu tun, teilen aber das Dilemma der Umsetzung. Das Kriegsgenre (betrifft immer die Antihaltung) wird von einer Mehrheit abgelehnt, weil es Kriege mit den Mitteln des Kriegs darstellen muss, um abschreckende Wirkung zu erzielen. Aber diese «Echtheit» macht die Kriege («Anti» hin oder her) faszinierend, voyeuristisch und verharmlost den Krieg. Die Apokalypse-Gattung hat das gleiche Problem: Ihre Zukünfte müssen schauderhaft aussehen (sie sollen ja «schocken»), sind aber gerade deshalb Eyecatcher, und Überlebende gibt’s dann auch noch! Das Schauderhafte trägt also irgendwie Hoffnung in sich.

Des Pudels Kern aller Filmdystopien: In ihnen liegt viel Optimismus.

Im Paläolithikum des Kinos, lange vor Hiroshima, war so was noch aufregend. Notausgänge ins Happy End gab’s freilich auch, aber im Zentrum standen mächtige Kerle, den faustischen Wissenschaftler, der ganze Zivilisationen lahmlegen konnten: der bad scientist. Er personifizierte das Ende des Fortschritts. Gott sei Dank hatte er Gegner, die seine Machenschaften in letzter Sekunde durchkreuzten.

Vom bad zum mad scientist

In den 1950er Jahren, nach Hiroshima und während der heissen Phase des Kalten Kriegs, mutierte der bad zum mad scientist, der mit bakteriologischen und Tierexperimenten vorwegnahm, was in der Corona-Pandemie sehr aktuell war: die Lecks in Labors, die zu schrecklichen Seuchen und Mutationen führen. Die Folgen waren Riesenameisen («Formicula», 1954), Riesenspinnen («Tarantula», 1955) und anderes Getier («Frogs», 1972). Heute wäre das ein Fall für Cancel-Culture: liebe Krabbler, von gierigen Menschen zu XXL-Grössen und Bösartigkeit deformiert! Das geht gar nicht.

Eine geniale Mixtur aus mad und bad wurden die oligarchenartigen Industriemonster der James-Bond-Filme. Mit Finster-Magnaten wie Dr. No oder dem rundum satten Riesenfinanz-Zaster-Raffzahn Goldfinger wurde auf Dr. Fu Man Chu und Dr. Mabuse zurückgegriffen. Es ging um die Weltbeherrschung, Rücksicht auf Umwelt oder Klima hätte nur profithemmend gewirkt. Goldfinger hatte seine Vorstellung dazu: «Der Mensch hat den Mount Everest bezwungen, den Grund des Ozeans erforscht, Raketen auf den Mond geschossen, Atome gespalten. Er hat Wunder vollbracht, auf allen Gebieten menschlichen Strebens, nur nicht in der Kriminalität.» Zeit, dass dieses letzte Wunder einer wie er vollbringt.

Und so wühlen und wirken sie völlig scham- und moralfrei, nicht nur in SF-Filmen wie etwa «Soylent Green» (1973), in dem der Staat, ein ominöses «Unternehmen», seine Bürger mit Täfelchen, den Soylents, ernährt. Die Vitaminkonzentrate werden aus den Leichen des völlig übervölkerten Landes gewonnen. Ein Kannibalismusstaat, dessen wirtschaftlicher Aufwand relativ billig ist und den Drahtziehern viel Geld in die Taschen lenkt.

Auch in soliden Thrillern wie «Chinatown» (1974) schert man sich nicht um Umwelt, sondern nur um den Profit auf Kosten der Bürger. Unternehmer Cross, Besitzer der Wasserwerke in L. A., leitet das Trinkwasser für die Provinz ins Meer, um die Farmer aufs Trockene zu setzen und zum Verkauf ihrer Grundstücke zu zwingen. In «Dark Waters» (2020) versaut ein Chemiegigant die Bäche und Weidelandschaft der Bauern und behauptet, für die Verschmutzung nicht verantwortlich zu sein. Erst als sich der Anwalt einer Grosskanzlei, aber im Alleingang, der Sache annimmt, gerät das Unternehmen in Zugzwang. Es entfaltet sich ein klassischer David-gegen-Goliath-Fight; und die furiose Satire «Don’t Look Up» (2021) fordert mit ihrem imperativen Titel nicht nur, nicht nach oben zu schauen, sondern ganz grundsätzlich das Dasein als Wolkenkuckucksheim zu betrachten – ändern lasse sich ohnehin nichts. Eine Astronomin entdeckt nämlich einen Kometen, der sich gefährlich der Erde nähert. Darauf will ein Unternehmer den Irrläufer ausbeuten und die US-Präsidentin ihre Wahl nicht gefährden: also das Armageddon ignorieren, nicht nach oben glotzen, Klappe halten.

Was für ein Neustart!

All die engagierten, zumeist rasanten Umwelt- und dystopischen Filme, und es gibt natürlich noch wesentlich mehr als die zitierten, haben, ganz im Sinne von Prof. Siskind, ein irritierend optimistisches «Grundrauschen». So wie Goldfinger, ein herrlich aufgeräumter Gockel mit einer Stimme, als hätte er eine Maultrommel verschluckt, als bad guy das Gegenteil hochaggressiver Dampfkochtöpfe war, hat das Spiel mit dem Entsetzen seine Beklemmung verloren. Die «Doomsday»-Bilder sind in ihrer visuellen Perfektion einfach berauschend.

Schon die «Frankenstein»-Autorin Mary Shelley erdachte sich mit ihrem Roman «The Last Man» (1826) eine Endzeit, die von der Romantikmode der Ruinenbauerei inspiriert war. In der hochgefeierten Serie «The Last of Us» erlebt sie aufs Schönste ihre Wiederkehr. Eine Pilzepidemie hat die Welt dahingerafft und die Mehrheit zu zombieartigen Wesen denaturiert; aber es gibt auch Überlebende, Joel Miller und Ellie Williams (und alle möglichen Banden). Ihre Odyssee durch die Postapokalypse wird zur triumphalen Ruinenästhetik von überwältigender Faszination.

Auch in der spektakulären Zombie-Serie «The Walking Dead» (2010) ist die vollendete Zukunft eigentlich bewältigbar: Keine Klimaprobleme, die Natur hält sauber in ihrer Stube, fossiler Brennstoff im Überfluss, nichts kontaminiert. Was für ein Neustart (na schön, die lästigen Zombies und üblen Banden)! Nach Einsteins Relativitätstheorie existieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig. Dieser Behauptung wird Hollywoods Apokalypse-Gattung rundum gerecht.