Vierzig Jahre Freiheit für die Homosexuellen»: Unter diesem leicht trügerischen Motto gedenkt Frankreich der Abschaffung eines Gesetzes, das auf Vichy zurückgeht. Es war ein Wahlversprechen des sozialistischen Präsidenten François Mitterrand. Am 4. August 1982 stimmte die Linke für und die Rechte geschlossen gegen die Streichung des Paragrafen. Anders als bei der Todesstrafe gab es keine Abweichler aus Gewissensgründen. Beide Massnahmen – die zweite war das Ende der Todesstrafe gegen den Willen der Bevölkerung – werden als die grossen zivilisatorischen Fortschritte der Ära Mitterrand gewürdigt.

Das Verbrechen «Sodomie» war allerdings bereits von der Revolution abgeschafft worden. Die Homosexuellen wurden unter verschiedensten Vorwänden diskriminiert («Erregung öffentlichen Ärgernisses»). Vichy erhöhte das Schutzalter bei gleichgeschlechtlicher Liebe auf 21 Jahre. Bei heterosexuellen Verhältnissen betrug es dreizehn, nach 1945 fünfzehn Jahre. Die Gesetzesänderung von 1982 vollzog die Angleichung des Schutzalters.

«Homophobie und die Atombombe»

Darum ging es in der berüchtigten Petition, die von den führenden Intellektuellen der Epoche unterzeichnet worden war. Sie wird von #MeToo als Plädoyer für die Freigabe von Pädophilie instrumentalisiert. Ihr zumindest frönte der Verfasser, der Schriftsteller Gabriel Matzneff – mit Knaben und Mädchen gleichermassen. Zu den Verehrern des pädophilen Literaten gehörte Mitterrand.

Der Vorwurf der Homophobie ist ein gesellschaftliches Todesurteil. Pardon wird nicht gegeben.

Das Engagement der Homosexuellen für ihre Emanzipation war mit der Aufarbeitung des Faschismus verknüpft. Sie gehörten zu den Ersten, die sich an der Verfolgung der Juden orientierten. In der Literatur wurde das Tabu Vichy über die Themen Inzest und Pädophilie angegangen. Die postmoderne Philosophie deutete die Sexualität nach den Kriterien der Subversion und Transgression.

Der Gleichstellung von 1982 folgten weitere Gesetze gegen die Diskriminierung. Aids erwies sich als Tragödie. Überlebende Partner wurden aus der Wohnung geschmissen. Bei Erbschaften mussten sie 60 Prozent Steuern bezahlen. Gegen diese Ungerechtigkeiten wurde die Zivilehe eingeführt. Doch der Jahrestag der «sexuellen Befreiung» von 1982 wird nicht mit einer Bilanz der spektakulären Fortschritte begangen. Er ist Anlass von Rücktrittsforderungen gegen vier Minister. Ihre Ursünde: Sie waren 2013 gegen die «Ehe für alle», die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare durch den Bürgermeister. Wer sie ablehnte, wird der Homophobie bezichtigt. Und soll heute nicht regieren dürfen. Das wollen nicht nur LGBTQ-Aktivisten. Dutzende von prominenten Intellektuellen und Politikern haben in einer Petition die Regierung zum Rauswurf ihrer «schwulenfeindlichen» Mitglieder aufgefordert.

Der politischen Rechten war ihr Votum von 1982 nie vorgeworfen worden. Die jetzigen retroaktiven Gesinnungsprozesse erinnern an die antifaschistischen Säuberungen nach dem Krieg. Sie mobilisieren ein herrliches Feindbild, das Marschall Pétain mindestens ebenbürtig ist: Putin. Auf die «Homophobie und die Atombombe» reduziert ihn Frédéric Martel, Autor des Weltbestsellers «Sodom: Macht, Homosexualität und Doppelmoral im Vatikan». Martel, Professor an der Zürcher Hochschule der Künste, führt Putins Radikalisierung auf die «Ehe für alle» zurück. Er führe seinen Krieg als «letzte Bastion gegen die Homosexualisierung der Welt». Sein Ausbruch hat französische Paare daran gehindert, ihre bei ukrainischen Leihmüttern bestellten Kinder abzuholen. Martel gehörte zu den Initianten der gescheiterten Überführung von Rimbaud und Verlaine ins Pariser Panthéon, den Tempel der Helden und Märtyrer der Republik – im Zug ihrer «Homosexualisierung».

Emanzipation und Inquisition

Das Parlament will nun auch noch finanzielle Entschädigungen für die Opfer des 1982 gestrichenen Gesetzes. Der Vorwurf der Homophobie ist ein gesellschaftliches Todesurteil. Pardon wird nicht gegeben. «Wir verzeihen nicht», so eine Sprecherin von Gaylib: «Hätten sich die Minister antisemitisch oder antirassistisch geäussert, über Juden oder Muslime, wären sie schon lange nicht mehr im Amt. Es darf keine Hierarchisierung der Diskrimination geben.» Ein der Homophobie angeklagter Abgeordneter sprach von «Inquisition».

Um die Wogen zu glätten, bewilligte Premierministerin Elisabeth Borne drei Millionen Euro für die Schaffung weiterer Auffangzentren für LGBTQ-Menschen. Die staatliche Beratungsstelle für Familienpolitik, «Planning familial», organisiert derweil eine nationale Plakatkampagne, die das Recht auf Leihmutterschaft für Transmänner propagiert: eine «Frage der Gleichheit». Auch einen LGBTQ-Botschafter will Borne ernennen. Er soll «weltweit die Straffreiheit der Homosexuellen und Transmenschen propagieren».

Diskriminierung, Emanzipation, Inquisition: Frankreich huldigt einer neuen Utopie, Ideologie und historischen Mission.

Die 3 Top-Kommentare zu "Frankreichs homosexuelle Mission"
  • activ8

    Interessanter Artikel, der zum Denken anregt. Der Gedanke ist ja frei, wie man sagt. Das Problem ist, dass ich es nicht schaffe, einen Kommentar zu schreiben, auf eine so extrem feinfühlige und tolerante Art, wie es vom Grosstempel Paris gefordert wird. Ein vielschichtiges Thema. "Jetzt sieht sich Paris als Bastion gegen eine konservative Sexualmoral à la Putin & Co." Da gehe ich mit Ihnen einig. Ein extrem moralisierendes Paris - verliebt in den EU Zentralstaat - mit Leichen im Keller.

  • Käsesemmel

    Homosexualität ist in Russland nicht verboten. Es gibt Clubs, Saunen, man sieht kuschelnde Männer in der Metro. Es gibt allerdings einen starken und gerechtfertigten Schutz für Kinder und Jugendliche. Das wird von westlichen Aktivisten als Diskriminierung diffamiert.

  • Silver Shadow

    Homosexualität hat es immer gegeben und wird es immer geben. Die Frage, ob man so geboren wurde oder später durch Erlebnisse jemand homosexuell ist, hat jeder seine eigene Geschichte. Dieser Trend von Transmänner müssen Kinder kriegen und Transfrauen müssen Penisse haben oder umgekehrt, ist eine Verwirrung des Deep States. Hier wird eine Spaltung geschaffen, die der Menschheit noch mehr Konfusion und Streit bringt. In den USA werden in Schulen Dragqueen Shows mit Kindern gefördert, grotesk!