Weltwoche: Sie wurden vor über vierzig Jahren als Unternehmer erfolgreich – zuerst mit Textilien, dann mit Restaurants. Können Sie das Gefühl von damals kurz beschreiben? Herrschte allgemein prickelnde Aufbruchstimmung, oder lag es einfach an Ihrem Elan?

Müller: Es waren die siebziger Jahre. Wilde Träume waren dem Zeitgeist affin. Meine Freunde und ich haben das gelebt, so gut es eben ging.

Weltwoche: Wer waren Ihre Vorbilder?

Müller: Das waren keine leibhaftigen Personen, wir alle waren Pioniere auf einer gemeinsamen Welle.

Weltwoche: Sie erlebten als junger Mann die 68er – diese Zeit und später die Zürcher achtziger Bewegung: Wie beeinflussten diese Sie?

Müller: Das Establishment hatte 68 noch den zweiten Weltkrieg in den Knochen, die Jugend der siebziger wollte Menschlichkeit, Peace – Love – Woodstock, hatte ihre Stimme gefunden und sprach Unerhörtes aus. Die Achtziger betrachtete ich selbst bereits aus etablierter Perspektive, mit den Siebzigern in den Knochen.

Weltwoche: Und die Neunziger? Damals eröffneten Sie in Zürich das «Kaufleuten», das zu einem der bekanntesten Klubs in Europa wurde. Wie denken Sie über diese Zeit?

Müller: Die von den Achtzigern geprägte Jugend, die Yuppies, eskalierte in den Neunzigern in die totale Dekadenz. Das war auch der Höhenflug des «Kaufleuten».

Weltwoche: Aus dem Geschäftsleben hätten Sie sich zurückgezogen, heisst es, Sie würden sich dem Geistigen widmen, befassten sich vertieft mit dem Sinn des Lebens. Stimmt das? Was machen Sie heute genau?

Müller: Am operativ aktiven Geschäftsleben nehme ich kaum mehr teil, und – ja, das stimmt – das Geistige interessiert mich besonders. Was der menschliche Geist tut, das sieht die ganze Welt. Wie er funktioniert und arbeitet, das verstehen nur wenige.

Weltwoche: Wie sieht heute, mit über siebzig, denn Ihr Alltag aus?

«Freiheit, Freundlichkeit, Autonomie, Verbindlichkeit, Goodwill.»

Müller: Weiterhin mehrheitlich unternehmerisch. Ich betreue an verschieden langen Leinen zurzeit vier «Baustellen»: eine soziale, eine wirtschaftliche, eine architektonische und eine in geistiger Weiterbildung. Und ich verbringe gerne Zeit in wilder Natur.

Weltwoche: Welche Dinge, die Sie schon früher zu Beginn Ihrer Selbständigkeit für wichtig hielten, sind es für Sie auch heute noch?

Müller: Freiheit, Freundlichkeit, Autonomie, Verbindlichkeit, Goodwill.

Weltwoche: Was ist für Sie über die Jahre wichtiger geworden?

Fredi Müller: Diese Werte haben sich als verlässliche Lebensgefährten bewährt und erhalten.

Weltwoche: Wie sehen Sie die Schweiz?

Müller: Die Schweiz bedeutet mir Heimat.

Weltwoche: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Gastronomie – auch bezüglich Corona – ein? Gibt es Hoffnung?

Müller: So lange wir leben, werden wir essen und trinken, und so lange wir essen und trinken, gibt es Hoffnung, Corona hin oder her.

Weltwoche: Welchen Rat geben Sie jungen Leuten im Privaten oder im Geschäftlichen auf den Weg?

Müller: Macht das Geschäftliche zum Privaten, zur Herzensangelegenheit!

 

Fredi Müller, Jahrgang 1949, stieg während seines Psychologiestudiums in den siebziger Jahren ins Unternehmertum ein. Er brachte die Erlebnisgastronomie nach Zürich («Tres Kilos») und machte in den Neunzigern das «Kaufleuten» gross.