Zuerst Flutlicht und Trommelwirbel — und dann das! Kim und Trump präsentieren in Singapur eine dürre Erklärung. Sie enthält nichts als Absichten. Statt eines Blitzfriedens steht ein zäher, langer Verhandlungsweg an. Der Teufel steckt im Detail. Und einen Zeitrahmen gibt es nicht.
War die grosse Trump-und-Kim-Show bloss Schall und Rauch?
Weit gefehlt. Allein die Tatsache, dass der Gipfel auf höchster Ebene abgehalten wurde, ist historisch einzigartig. Dass das Treffen dann auch in aufgeräumter Atmosphäre und Zuversicht ausklingt, bedeutet für alle, die sich aufrichtig um den Weltfrieden sorgen, eine grosse Erleichterung.
Kein US-Präsident hat im Umgang mit Nordkorea bisher mehr erreicht. Clinton nicht, Bush nicht, Obama nicht. Ausgerechnet Trump, geächtet und verhasst bei quasi allen Medien, ging hin und hat Geschichte geschrieben.
Wer an dieser Stelle mäkelt, wie dies manch ein Medium nun tut, es sei mit dem Treffen noch nichts Substanzielles erreicht, halte ein paar Sekunden inne und blicke zurück. Als US-Präsident Donald Trump sein Amt im Januar 2017 antrat, begrüsste ihn Kim mit einem Feuerwerk an Atomtestraketen. Ein Diktator im thermonuklearen Overdrive. Die Szenerie der folgenden Monate erinnerte an den «Rumble in the Jungle», den legendären Boxkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali in Kinshasa 1974.
Trump und Kim überboten sich mit psychologischen Spielchen und beleidigenden Sprüchen. Dass in Pjöngjang ein «Irrer» am Atomknopf sitze, damit schien man sich abgefunden zu haben. Aber als der neue US-Präsident in einen Krieg der Worte einstieg, schnappte der «zivilisierte» Westen über. Der blonde Berserker säe Wind und werde Sturm ernten. Von Apokalypse war die Rede.
Szenenwechsel: Singapur, letzten Dienstag. Statt zu einem grossen Fight trafen sich die beiden Streithähne zum gesitteten Direkttreffen am Verhandlungstisch. Anstelle eines blutigen Duells reichten sich die beiden nach einem diplomatischen Speed-Dating freundschaftlich die Hand.
Wer die Ereignisse in Singapur im Minutentakt verfolgte, kam nicht umhin, sich zu amüsieren. Kim reiste mit eigener Toilette an. Angeblich, damit Geheimdienste seine Exkremente nicht analysieren konnten. Wie ein grosser Junge flanierte der Potentat aus dem Reich der Finsternis staunend durch die glitzernde Metropole. «Aufregung ist in der Luft», twittert Trump bei seiner Ankunft. Und plötzlich tauchte auch Dennis Rodman auf. Der exzentrische Don des Basketballs, der während Jahren als einziger Amerikaner den Kontakt zu Kim aufrechterhielt, liess seinen Emotionen freien Lauf. Er teilte gegen Obama aus, der Kim «nicht ernst» genommen habe, und lobte Trump für dessen Weitsicht. «Wir brauchen kein Wunder», schluchzte er auf CNN, «aber wir brauchen offene Türen, damit wir neu beginnen können.»
Als Kim und Trump endlich allein am Tisch sassen, schienen sie von Rodmans Geist beseelt. Jedenfalls stiessen sie beim folgenden gemeinsamen Presseauftritt die Türen auf zu einer neuen Ära. In ihrer Erklärung hielten sie in vier knapp gehaltenen Punkten fest:
– Die USA und Nordkorea «verpflichten sich, eine neue gemeinsame Beziehung aufzubauen, um dem Wunsch beider Völker nach Frieden und Wohlstand zu entsprechen».
– Die USA und Nordkorea «werden ihre Kräfte vereinen, einen anhaltenden und stabilen Frieden auf der Koreanischen Halbinsel zu schaffen».
Im Koreakrieg 1950—1953 starben 3,5 Millionen Menschen. Der Waffenstillstand mündete nie in ein Friedensabkommen. Seit 65 Jahren herrscht in und um Korea kalter Krieg. Der Graben zwischen Nord- und Südkorea trennt das koreanische Volk länger und brutaler als die Mauer einst Deutschland. Der Krieg werde «bald enden», gab sich Trump zuversichtlich. Kim ergänzte: «Die Welt wird einen grossen Wandel erleben.»
– Die USA und Nordkorea «sichern einander zu, die sterblichen Überreste von Kriegsgefangenen und bisher Vermissten herauszugeben; die bereits Identifizierten werden unverzüglich repatriiert».
Grundlage für eine Annäherung ist Vertrauen. Dies wird durch die Rückführung von Kriegsopfern gefördert. «Ich habe zahllose Anrufe und Brief erhalten, in denen Verwandte von Opfern um eine Lösung baten», so Trump an der Pressekonferenz. «Ich habe heute Kim darum gebeten, und er hat zugesagt. Er beginnt mit dem Prozess umgehend.»
– «Nordkorea verpflichtet sich, auf eine vollständige nukleare Abrüstung hinzuarbeiten.»
Das ist der Dreh- und Angelpunkt der Vereinbarung von Singapur. Allerdings fehlen auf dem Papier zwei Schlüsselwörter: «überprüfbar» und «irreversibel». Dies war das gesteckte Ziel: «vollständige, überprüfbare und irreversible nukleare Abrüstung». Vor der Presse liess Trump keinen Zweifel daran, dass dies weiterhin oberste Priorität habe. Die komplette Abrüstung solle von «amerikanischen und internationalen» Inspektoren kontrolliert werden. Wie das im Detail geschehen soll, ist Gegenstand weiterer Verhandlungen. Noch hat Trump also nichts Konkretes in der Hand, aber «grundsätzlich» habe er «grosses Vertrauen» in Kim.
Nüchternheit ist die grosse Schwester der Zuversicht. Sie mahnt: Dem Kim-Regime ist nicht zu trauen. 1993 hatte Kim Jong Uns Vater Kim Jong Il der Clinton-Regierung komplette Abrüstung versprochen, hat dann sein Wort gebrochen und insgeheim weiter aufgerüstet. Warum sollte das heute anders sein? Warum sollte Kim junior seine einzige Lebensversicherung aufgeben? Was dann geschieht, hat das Beispiel Gaddafi brutal vor Augen geführt: «Gibst du dein Atomprogramm preis, fällt dir Amerika samt Alliierten zum Dank in den Rücken.»
Auch schafft man Frieden nicht mit dem Zauberstab, sondern mit Sitzleder, in endlosen Verhandlungen. Hat Trump dazu Geduld? Ein Narr, wer darauf wettet.
Dennoch stimmt Trumps Nordkorea-Engagement optimistisch.
In seinem Vorgehen erinnert er an Ronald Reagan. Der Republikaner, als «Cowboy» verschrien, hatte in den 1980er Jahren gegen die Sowjetunion verbal und militärisch schweres Geschütz aufgefahren und nannte sie das «Reich des Bösen». Dennoch scheute er sich nicht, im passenden Moment mit dem Erzfeind zu verhandeln. Wie einst Reagan mit Gorbatschow in Genf 1985 setzt Trump nun mit Kim in Singapur den Rahmen für einen Prozess. Wie Reagan baut er auf Tuchfühlung und Bauchgefühl. Sind sich zwei Potentaten im Direktkontakt sympathisch, können sie Vertrauen aufbauen. Wer sich persönlich vertraut, kann Grosses erreichen.
Anders als Clinton gibt Trump keine Vorschusslorbeeren. Wie Reagan baut er auf Frieden durch Stärke. «Die Sanktionen bleiben in Kraft», so Trump nach dem Gipfel. «Sie werden zurückgefahren, wenn wir sicher sind, dass die Atomwaffen nicht länger ein Faktor sind.»
Und dennoch hat Trump seinen ureigenen Stil. Seine Vorstellung von Stärke wurde im Baugeschäft von New York gestählt. Wer sein Duell mit Kim verfolgt, erinnert sich an Schlüsselsätze aus seiner Verhandlungsbibel «The Art of the Deal»: «Ich liebe es, in grossen Zügen zu denken.» «Das Beste, was du tun kannst, ist, aus einer Position der Stärke zu verhandeln.» «Druck ist das beste Mittel der Stärke.» Und: «Manchmal gehört es zur Kunst des Deals, dass du einen Gegner zur Schnecke machst.»
Keine Frage, dass diese Strategie des Strassenkämpfers «little rocket man» an den Verhandlungstisch gebracht hat. Wird der unorthodoxe US-Präsident den «cleveren Führer», wie Trump Kim jetzt nennt, bis zum Frieden bringen? «Unmöglich», tönt es im Heer der Trump-Gegner von Brooklyn bis Berlin. Fast scheint man dort sein Scheitern herbeizusehnen, bloss damit sich das zementierte Bild von «Trump dem Schrecklichen» bestätige.
Eines allerdings wird sich nach Singapur selbst der grösste Trumpophobiker in stiller Minute eingestehen: Der Mann, den man mit Wonne als Kriegstreiber und Hasardeur zur Hölle wünscht, sucht nicht den Krieg. Der Mann, der am G-7-Treffen in Kanada als Verräter verdammt wurde, kann auch anders. «Trump macht Diplomatie great again», titelt die amerikanische Zeitung Politico. Dies offen auszusprechen, käme für die meisten Europäer einer Mutprobe gleich. Aber lesen können sie es ja schon mal.