Man sieht hier exemplarisch, dass die EU nicht funktioniert», sagt Nationalrat Alfred Heer. Der Zürcher SVP-Mann, der die Schweizer Abordnung im Europarat leitet, reiste letzte Woche mit einer Delegation des Parlaments aller Europäer nach Griechenland, um sich ein Bild von der Flüchtlingsmisere zu machen. Mit Logis im Fünfsternehotel «King George», dem teuersten von Athen, fuhren die Abgeordneten in die Lager rund um die griechische Hauptstadt; eine kleine Gruppe flog auch im Militärhelikopter auf die Insel Lesbos, wo es in den überfüllten Unterkünften oft zu Schlägereien zwischen Syrern und Schwarzafrikanern kommt. Und sie stellten gemäss Alfred Heer überall fest: «Die Lage ist prekär.»
Der Nationalrat zeigt Fotos von den Besichtigungen. Ein grosser Teil der Asylbewerber haust in den Sportanlagen, die seit den Olympischen Spielen in Athen 2004 ungenutzt zerfallen, so in den Tribünengängen des Landhockeystadions, wo sich Zelt an Zelt reiht. Andere warten in Containersiedlungen beim ehemaligen Flughafen oder in Zeltstädten am Hafen von Piräus, bis ihre Reise weitergeht. Das aber dürfte dauern: 63 000 Menschen sind in Griechenland blockiert – dabei wollte die EU dank dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei ihr Problem lösen.
Gemäss dem Deal sollte die EU die Asylbewerber im überforderten Griechenland entweder auf andere Länder verteilen oder in die Türkei zurückschicken; beide Wege aber sind versperrt. Einerseits nahm die Türkei unter dem Abkommen, das seit April gilt, erst 400 Personen zurück, kaum aus Syrien, sondern vorwiegend aus Pakistan, Afghanistan und Bangladesch. Jetzt weigert sich die Türkei grundsätzlich, den Deal zu vollziehen, solange die EU den Türken nicht die versprochene Visafreiheit gewährt. Und die Asylbewerber lassen sich auch nicht einfach abschieben.
«Es ist eine Lüge, dass sie gemäss dem Dublin-Abkommen registriert sind», stellte Alfred Heer fest. «Sie haben zwar alle Ausweise, diese gelten aber nur für die Lager.» Deshalb fordern Flüchtlingshelfer, aber auch der Europarat individuelle Asylverfahren, und ein Eilantrag, um die Rückführung eines Syrers in die Türkei zu verhindern, liegt bereits beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg.
Anderseits halten sich die EU-Länder nicht an ihre Versprechen, wie Dokumente der Europaratsdelegation zeigen. Die Staaten sagten zwar zu, insgesamt 4078 Personen aus Griechenland aufzunehmen, also rund sechs Prozent der 63 302 Gestrandeten. Bis Mitte Mai kam es aber nur zu 909 Umsiedlungen; Spanien und Polen, die wenigstens 150 beziehungsweise 65 zusagten, willigten in keine einzige ein. «Die Delegierten aus diesen Ländern schossen in den Lagern Selfies mit Flüchtlingskindern», erzählt Alfred Heer. «Abends, beim Whisky im Hotel, räumten sie ein, ihre Länder nähmen keine Asylbewerber auf.»
Der Schweizer Vertreter erkannte aber auch: «Die Asylbewerber wollen sich gar nicht auf andere Länder verteilen lassen – sie möchten ihr Zielland selber aussuchen.» Nur in zwei Lagern stellen die Syrer die Mehrheit, in vier Lagern finden sich zwischen 90 und 98 Prozent Afghanen, und alle wollen sie nach Deutschland weiterreisen. Ein anderes Wunschland geben bloss die Eritreer an, die auf Lesbos gestrandet sind: Sie streben zumeist in die Schweiz. «Die Esten würden 58 Personen aus Griechenland aufnehmen», weiss Alfred Heer. «Aber wer will schon nach Estland?» Wer wirklich an Leib und Leben verfolgt wäre, würde sich mit jedem Asylland zufriedengeben, schliesst der SVP-Mann aus seinen Gesprächen, also müsse es sich um Wirtschaftsmigranten handeln.
Die Menschen, die unter misslichen Umständen in den Lagern festsitzen, täten ihm leid, sagt Alfred Heer; er finde es vor allem stossend, dass die Kinder keinerlei Schulunterricht erhielten. Es rege ihn aber auf, dass die «Gutmenschen» den Gestrandeten Hoffnung machten: «Sie wissen so genau wie ich, dass wir nichts machen können – diese Menschen in der Ungewissheit zu lassen, ist auch nicht anständig.» Sogar wenn sich eine Lösung für die 63 000 Personen in Griechenland fände, hiesse das nur, dass der Zustrom, der vorläufig zumindest eingedämmt ist, wieder zunähme. «Wir brauchen mehr Ehrlichkeit: Wir müssen öffentlich zugeben, dass uns das Problem überfordert», meint der Schweizer Delegierte. «Aber dazu hat niemand den Mut.»
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