In der Europapolitik herrscht der Drang, die Schweiz irgendwie in ein neues vertragliches Verhältnis mit der EU zu bringen. Auch grosse Wirtschaftsorganisationen machen Druck. Economiesuisse, der Dachverband der Wirtschaft, lobte kürzlich die Aufbruchstimmung in der Politik, den Auftrag des Bundesrats an das Aussendepartement, die Eckwerte eines Verhandlungsmandats auszuarbeiten. Positiv erwähnt wurde auch, dass der Bundesrat Vorschläge zur Sicherung des heutigen Lohnschutzes in Auftrag gegeben habe. Der Verband unterstütze dieses Vorgehen.

Und damit auch die Gewerkschaftsseite, für die der Lohnschutz beziehungsweise die flankierenden Massnahmen den zentralen Teil der Beziehungen mit der EU darstellen. Für die Gewerkschaften geht es mit der Neulancierung der Sondierungen nun gar um die Möglichkeit, den Rahmen der Schweizer Arbeitsmärkte zu ändern.

2022 hat Brüssel eine Mindestlohnrichtlinie verabschiedet, die «einen europaweiten Rahmen für angemessene Mindestlöhne schafft». Die Schweizer Sozialdemokraten feierten das als «Zeitenwende». Nationalrätin Samira Marti: «Zusammen mit den deutlich verbesserten Entsende- und Durchsetzungsrichtlinien und geplanten Richtlinien zur Regularisierung der Plattformarbeit und der Equal-Pay-Richtlinie zieht die EU zumindest politisch einen Schlussstrich unter die Epoche des Wettbewerbs auf Kosten der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte.»

Schweizer Gewerkschaften dient die EU-Regulierung nun als Muster für ihre Forderungen: Hürden für Gesamtarbeitsverträge reduzieren, mehr Mindestlöhne einrichten, Abschaffen oder Aufweichen der heute erforderlichen Quoren bei Allgemeinverbindlichkeitserklärungen. Und schliesslich mehr Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Firmen.