Es war der letzte Eintrag im Gästebuch. Am 3. Juni 1944 bedankte sich August Schmidhuber, Kommandant der SS-Waffendivision «Skanderbeg», für die «wunderbare Gastfreundschaft» im Kloster Decani. Die Gemeinschaft serbisch-orthodoxer Mönche befand sich im westlichen Kosovo – und es ist wenig wahrscheinlich, dass sich die damaligen Bewohner über den deutschen Besucher und seine Begleitung gefreut haben.

Nur ein paar Wochen nach seinem Aufenthalt in der klösterlichen Abgeschiedenheit würde Schmidhuber, Sohn eines bayrischen Regierungsbeamten, freundliches Äusseres mit Seitenscheitel und runder Brille, ein Massaker auf dem Balkan zu verantworten haben. Seine SS-Truppen töteten im montenegrinischen Dorf Velika 428 Serben, darunter 120 Kinder. Eine Überlebende berichtete, wie sich ihr ein Soldat mit Waffe genähert habe: «Ich sagte ihm, dass ich ihm Brot bringen wolle, wie mir befohlen worden war.» Darauf habe dieser geantwortet: «Deutschland hat Brot!» Die Zeugin war überrascht, dass der Mann ihre Sprache perfekt sprach. Dann habe er auf sie geschossen und ihren einjährigen Sohn, den sie auf dem Arm trug, getötet. Der Mörder in SS-Uniform war nicht Deutscher, sondern Albaner, wahrscheinlich aus der näheren Umgebung.

 

Wehe den Schwachen auf dem Balkan

Was sich ab 1943 im Hinterhof Europas abspielte, war ein kurioses, eher unbekanntes Kapitel des Zweiten Weltkrieges. Auf Befehl von Hitler wurden zwei SS-Waffendivisionen gebildet, die sich hauptsächlich aus Freiwilligen muslimischen Glaubens zusammensetzten. Zunächst die mehrheitlich aus Bosniaken bestehende, nach dem arabischen Krummsäbel benannte SS-Waffendivision «Handschar». Die zweite Division trug den Namen des albanischen Nationalhelden «Skanderbeg» (1405–1468). Sie setzte sich mehrheitlich aus muslimischen Albanern zusammen; als Truppenkennzeichen trugen die Soldaten den Doppeladler an der Uniform.

Wie kam es zu dieser seltsamen Allianz von Nationalsozialismus und Islam? Warum liessen sich zehntausende muslimische Freiwillige für Hitlers Armeen rekrutieren? Und was hat es speziell mit den albanischen Muslimen in der Waffen-SS auf sich, die in wenigen Monaten unzählige Kriegsgräuel begingen? Dazu hat die Schweizer Historikerin Franziska A. Zaugg eine lesenswerte Studie vorgelegt, welche die Entstehung der Division «Skanderbeg» nachzeichnet und sie einordnet: Es verbinden sich in dieser SS-Formation die «grossalbanischen» Pläne der albanischen Elite mit den deutschen Kriegsinteressen im Balkan. Das Ganze fand in einer ethnisch aufgeladenen Konfliktzone statt, die bis in die jüngere Gegenwart ausstrahlt: Auf fast unheimliche Weise wiederholen sich viele Gewaltexzesse in den 1990er Jahren an denselben Orten, die schon im Zweiten Weltkrieg Schauplatz von Vertreibung und Verfolgung waren, wie die Autorin in ihrem Fazit festhält. Beteiligt waren alle Volksgruppen. Oder wie es der Publizist Peter Scholl-Latour formulierte: «Da gibt es keine Guten und Bösen, sondern nur Starke und Schwache, und wehe den Schwachen auf dem Balkan.»

Eigentlich wollte Hitler Ruhe an der südöstlichen Flanke Europas – und es sah lange danach aus. Italien kontrollierte seit 1939 Albanien, und das nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Königreich Jugoslawien stand politisch dem Deutschen Reich nahe. Im März 1941 unterzeichneten jugoslawische Regierungsvertreter sogar ein militärisches Bündnis mit den Achsenmächten – zum Missfallen serbischer Offiziere, die kurz darauf in Belgrad gegen die Regierung putschten. Im allgemeinen Chaos entschloss sich Hitler, Jugoslawien anzugreifen und dieses «militärisch und als Staatsgebilde zu zerschlagen».

Der Sieg war schnell errungen, nur blieb die Region ein aus deutscher Sicht mühseliger Unruheherd. Während in Kroatien das nazifreundliche Ustascha-Regime eingerichtet wurde und in Albanien eine Marionettenregierung von Mussolinis Gnaden herrschte, formierte sich der Widerstand: aus serbischen Nationalisten und in der von Josip Tito geführten Partisanenarmee, in der Serben ebenfalls die grosse Mehrheit bildeten.

 

«Freiwild für alle»

Sowohl die kroatischen wie die albanischen Führungsriegen nutzten die neuen Verhältnisse, um unter der jeweiligen Schutzmacht ihre eigene nationalistische Agenda zu verfolgen. Der vordergründige Kampf gegen «Kommunisten» richtete sich vor allem gegen unliebsame Minderheiten: gegen Serben, Juden und Roma. Überall dort, «wo die albanische und italienische Flagge gemeinsam wehten», seien ethnische Säuberungen in die Tat umgesetzt worden, schreibt der Historiker Davide Rodogno. «Es begann eine lange Phase von Internierungen, standrechtlichen Hinrichtungen und Umsiedlungen.»

Der vom Deutschen Reich ernannte Sonderbeauftrage für Südosteuropa, Hermann Neubacher, ging in einem internen Schreiben von Vertreibungen und Ermordungen von 40 000 Serben zwischen Mai 1941 und April 1944 aus. Dazu kämen weitere 30 000, die bereits zur Auswanderung angemeldet worden seien. Selbst der Nazi-Abgesandte Neubacher hielt fest, dass die Serben «Freiwild für alle» geworden seien. Was die Konflikte begünstigte, war das nach dem deutschen Balkan-Feldzug 1941 geschaffene «Grossalbanien», womit der aus dem heutigen Albanien und «Neualbanien» (Mittelkosovo und Südkosovo, mazedonische und montenegrinische Grenzgebiete) zusammengesetzte Vasallenstaat bezeichnet wird.

Dieses Gebilde sollte um jeden Preis gesichert werden. Der albanische Innenminister Xhaver Deva gab das Ziel vor: Man wollte den ethnischen grossalbanischen Staat «über das Kriegsende hinaus» erhalten. Die Leader um die nationalistische «Zweite Liga von Prizren» dienten sich Hitler an. Ihr Präsident Bedri Pejani versprach den Deutschen prahlerisch 120000 bis 150 000 «kriegswillige» Soldaten aus Kosovo und den «neualbanischen» Gebieten – und verband dieses Angebot mit klaren Forderungen: Er wollte für seine albanischen SS-Krieger eine moderne militärische Bewaffnung, deutsche Instruktoren und Offiziere und drittens eine «neuerliche Berichtigung» der Grenzen gegenüber Montenegro und Serbien, also ein noch grösseres Grossalbanien.

Der Reichsführer SS Heinrich Himmler befürwortete die Schaffung einer zweiten, mit albanischen Freiwilligen bestückten Waffendivision und sicherte das Projekt auch ideologisch ab, indem er die muslimischen Völker des Balkans kurzerhand zu den rassisch wertvollen Völkern Europas beförderte. Gegenüber bosnischen Offizieren betonte Himmler die «gemeinsamen Ziele und Ideale» der Deutschen und der «Muselmanen in Europa». Auch der in Berlin residierende Grossmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, hob die «in vieler Hinsicht» parallele Weltanschauung zwischen Nationalsozialismus und Islam hervor: die «Einheit der Führung», «der Kampf, die Gemeinschaft, die Familie, der Nachwuchs». Und: «Das Verhältnis zu den Juden.»

Im Mai 1944 war es soweit: Die 21. Waffen-Gebirgs-Division der SS «Skanderbeg» wurde geschaffen, rund 10 000 Rekrutierte wurden für tauglich befunden. In Deutschland ausgebildete Imame sollten «die weltanschaulich geistige Erziehung» der Truppe übernehmen. Denn: «Der Imam ist der Treuhänder des Islam in der Division. Er hat die Kräfte der Religion für die Erziehung der Div[isions]-Angehörigen zu guten SS-Männern und Soldaten wachzurufen und zu entfalten.» Die Soldaten trugen den Fez als Kopfdeckung, sie durften ihre Religion frei ausüben; auch auf Speisevorschriften wurde Rücksicht genommen. Die Schrift «Islam und Judentum» sollte den islamischen Antisemitismus verstärken, Himmler verwies auf die gemeinsamen Feinde: «den Bolschewik, England, Amerika, alle immer wieder getrieben vom Juden».

 

Konzentrationslager in Pristina

Es war eine toxische Mischung, die hier losbrach. Bereits nach sechs Wochen meldete das Generalkommando, dass die «Skanderbeg» 510 Juden, Kommunisten, Bandenhelfer und politisch Verdächtige verhaftet habe. Schmidhuber berichtete im Oktober 1944 stolz, man habe in «zwei Überraschungsaktionen» sämtliche Juden im inneren Kosovo in Gewahrsam genommen. In Pristina – heute Hauptstadt des Kosovo – wurde bereits im Frühjahr ein Konzentrationslager eingerichtet, dessen «Aufbau und Organisation», so der SS-Kommandant, «nach dem Muster deutscher Konzentrationslager» erfolgt sei. Als Wachmannschaften wurden albanische Freiwillige der Division «Handschar» eingesetzt.

Generalfeldmarschall Maximilian von Weichs, Oberbefehlshaber Südost, staunte über die sich entfesselnde Gewalt auf dem Balkan: Das sei kein «Kleinkrieg», sondern «ein allumfassender Aufruhr, ein Losbrechen jahrhundertealter Leidenschaften triebhafter Naturvölker». Auch die Historikerin Franziska A. Zaugg kommt zum Schluss ihrer Studie auf die «extreme Gewaltbereitschaft» zu sprechen. Opfer seien nicht nur massakriert worden, sondern zusätzlich «hergerichtet»: durch Häuten, Drapierung der abgezogenen Haut als Kopftuch, Aufspiessen, Pfählung, Beschriftung des Opfers mit einer Botschaft an den Feind.

Anfang 1945 löste sich die «Skanderbeg»-Division auf. Damit war die Spirale der innerethnischen Konflikte allerdings nicht beendet. Im Zuge des Kosovo-Kriegs 1999 flüchteten nochmals fast 200000 Serben aus dem Gebiet, der neu gegründete Staat Kosovo ist mittlerweile fast rein albanisch. Die kleine mittelalterliche Klosteranlage Decani, die SS-Kommandant Schmidhuber im Juni 1944 aufsuchte, existiert noch heute – rund um die Uhr bewacht von Schutztruppen der KFOR.

 

Franziska A. Zaugg: Albanische Muslime in der Waffen-SS. Ferdinand Schöningh Verlag. 346 S., ca. Fr. 50.00.