Ben Folds: What Matters Most Tour. Kaufleuten, Zürich. 23. November

Für einen Songwriter, der während seiner dreissigjährigen Karriere kaum in den internationalen Hitparaden auffällig geworden ist, hat Ben Folds eine Menge drauf. Gut, Skandal gab es nur einmal: Da warf er nach dem Auftritt in einer australischen Fernsehshow übermütig den Klavierhocker in den Flügel und hatte Pech im Glück: Der Steinway war eine Leihgabe des Moderators, der ihn und die Band hochkant aus dem Studio warf (heute sind die beiden enge Freunde). Auffällig geworden ist der Mann sonst vor allem durch kreative Hakenschläge.

Das pfiffige Antäuschen von Gassenhauern ist die künstlerische Strategie des Ben Folds.

Sein Hauptberuf ist das «Schreiben und Performen von Popsongs», wie er es selbst formuliert. Darin ist er allerdings eine wahre Ausnahmeerscheinung. Zunächst einmal ist Ben Folds ein Meister des einfühlsamen melodischen Dramas, das er so wirkungsvoll in Noten fasst wie Elton John, mit dem er gern verglichen wird. Mit einem wesentlichen Unterschied: Folds unternimmt alles, um Ohrwürmer zu vermeiden. Immer wenn man glaubt, den Fortgang eines Songs vorauszuahnen, stellt er der Melodie ein Bein – mal durch einen völlig anders gearteten Einschub, mal durch einen unerwarteten Tonartwechsel oder durch einen plötzlichen rhythmischen Infarkt. Derartige Manöver sind kein Indiz für unbeholfenes Handwerk. Dass der Brillenträger eingängige Nummern schreiben kann, hat er auf seiner grandiosen LP «Songs for Silverman» (2005) demonstriert. Tatsächlich ist das pfiffige Antäuschen von Gassenhauern die künstlerische Strategie des Ben Folds, und die funktioniert wie ein geöltes Hit-Vermeidungsprogramm. Aber warum sollte ausgerechnet ein Popmusiker so etwas tun?

Nennen wir es einen seltenen Gen-Defekt. Der Mann am Klavier liebt das Erzählen von Geschichten mindestens ebenso sehr wie den Song. Folds liebt das Storytelling so sehr, dass er sich für ein ganzes Album mit einem der Besten des Genres zusammentat: Mit Nick Hornby («About a Boy») kreierte er das Meisterwerk «Lonely Avenue», und das lässt sich wirklich geniessen wie ein Buch mit Musik. Diese Kurzgeschichten-Oper erzählt etwa die tragikomische Coming-of-Age-Periode aus dem Leben des 18-jährigen Levi Johnston, der sich genötigt sah, die schwangere Tochter der damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin aus moralischen Erwägungen zu ehelichen.

Die schwierige Gratwanderung bei Nummern wie dieser oder bei «Belinda» (ein sentimentaler Rockstar beweint seinen achtlosen Frauenverschleiss) besteht in der Gleichzeitigkeit von unwiderstehlich komisch oder sentimental erzählter Story und hartgesottenen Grooves, durchzogen von unvermittelt eingeschobenen, zum Dahinschmelzen schönen Melodien.

Am kommenden Donnerstag gibt der Nerd, den auch noch mit 57 Jahren die Aura eines freshman umgibt, im Zürcher «Kaufleuten» sein einziges Schweiz-Konzert. Im Gepäck hat er sein neues Album «What Matters Most», und auch hier stehen wieder funkelnde Erzählungen im Vordergrund wie etwa «Kristine from the 7th Grade» – eine traurig-fatalistische Erinnerung an jene Schulfreundin, die inzwischen abstruse Verschwörungsfabeln per Mail verbreitet. Eine Art Musette-Walzer, der die benebelnde Sinnlosigkeit von Angst und Hass mit dem leisen Spott eines französischen Chansons erzählt. Man darf sich auf das Konzert eines brillanten Chamäleons und Storytellers freuen.