Der Schweizerische Erdbebendienst an der Eidgenössischen Technischen Hochschule meldet ein Erdbeben, das sich am 4. Juni um 02.34.32 Uhr im Kanton Schwyz ereignet hat. Das Beben habe eine Magnitude von 4,4 auf der Richter-Skala gehabt und «dürfte in der ganzen Schweiz verspürt worden sein». Es habe «in einer sehr geringen Tiefe» stattgefunden. «Weil sich das Beben so nahe der Erdoberfläche ereignet hat, war es im ganzen Epizentralgebiet stark zu spüren, jedoch gemessen an seiner Stärke in einem vergleichsweise geringen Umkreis.» Dies belegten die «ungefähr 130 Verspürtmeldungen», die in der ersten halben Stunde nach dem Beben eingegangen seien und die «praktisch alle von einer Epizentralentfernung von weniger als 30 km kamen». Das Beben sei «teilweise als Knall und weniger als Bodenerschütterung wahrgenommen» worden. Das deckt sich mit dem, was Augen- und Ohrenzeugen erlebt haben, die ebenfalls von einem «usinnigen Knall» berichten, wie sie ihn nie zuvor gehört hätten.

 

Neutralität tangiert

Betrachten wir nun genauer, wo dieses Ereignis stattfand, so kommen wir auf den Ochsenboden im Sihltal, wo die Rheinmetall Waffe Munition (RWM) Schweiz AG ein «Erprobungszentrum» unterhält, mit «eigenen Schiess- und Testplätzen» und «mit der notwendigen Messinfrastruktur für die Erprobung von Munition, Waffen und kompletten Systemen».

Die Frage steht im Raum, ob das Beben eine natürliche Ursache hatte oder ob es womöglich durch eine Explosion auf dem Testgelände ausgelöst worden sein könnte. Sie ist umso brisanter, als die Mutter der RWM Schweiz, die Rheinmetall GmbH mit Sitz in Düsseldorf, die Ukraine im grossen Stil beliefert. Eben erst unterzeichnete sie mit Kiew ein «Memorandum of Understanding» «zum Ausbau ihrer strategischen Zusammenarbeit». Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs verfünffacht.

Was sagen die Behörden dazu? «Wir haben keine Kenntnisse von einem solchen Vorfall.»

Für die Schweiz stellt sich somit – unabhängig von der Ursache des Bebens – die Frage, ob ihre Neutralität tangiert ist. Auch könnte es sicherheitsrelevant sein, dass auf ihrem Boden Tests von Waffen und Munition stattfinden, die möglicherweise dereinst in Kriegsgebieten zum Einsatz kommen. Nicht zuletzt wäre auch eine Sabotageaktion denkbar.

Zusätzliche Relevanz liegt in der Tatsache, dass von den beiden im Umkreis des Testgeländes gelegenen Seen, dem Sihl- und dem Wägitalersee, ein erhebliches Schadenspotenzial ausgeht. Bei einem Dammbruch des Sihlsees würden unter anderem grosse Teile der Stadt Zürich überflutet, beim Wägitalersee wäre das Gebiet um den Obersee gefährdet.

Doch zurück zum Ereignis vom 4. Juni. Aus den exakten Messdaten geht hervor, dass das Beben lediglich hundert Meter unter der Oberfläche stattfand. Weiter weisen seismografische Untersuchungen und Vergleiche auf eine besondere Signatur des Ereignisses hin. Eine quantitative seismische Analyse, die der Weltwoche vorliegt und die auch den verantwortlichen Behörden zur Kenntnis gebracht worden ist, hält fest, dass die Seismogramme verschiedener Messstationen übereinstimmend einen sprunghaften Ausschlag ohne jedes Vorbeben auf ein aussergewöhnliches Maximum zeigen, um dann innert kürzester Zeit wieder auf null abzusinken. Üblich sei, dass bei natürlichen Beben das Maximum erst im Verlauf der Störungsdauer auftrete und nicht gleich zu Beginn.

 

«Aktivitäten der Rüstungsindustrie»

Natürlich sind das alles keine Beweise für die Hypothese, dass eine Explosion die Erschütterung vom 4. Juni verursacht haben könnte. Die Sprengkraft müsste ja auch extrem hoch gewesen sein. Im Analysebericht wird daher gar in Erwägung gezogen, dass es sich um eine moderne Mini-Nuke, also um eine Kernwaffe mit weniger als fünf Kilotonnen TNT-Äquivalent, gehandelt haben könnte. Das klingt abenteuerlich und nachgerade James-Bond-like, aber in Anbetracht der diversen Sicherheitsrisiken kann vernünftigerweise nur eine transparente Aufklärung des Vorfalls den im Raum schwirrenden Verdacht entkräften.

Was sagen die Behörden dazu? «Wir haben keine Kenntnisse von einem solchen Vorfall», teilt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) auf Anfrage mit. Der Ochsenboden sei «ein privates Testgelände der Rheinmetall», das VBS habe «keine Übersicht über Aktivitäten der Rüstungsindustrie». Auf die Frage, ob die Tatsache, dass ein internationaler Rüstungskonzern in der Schweiz Waffen- und Munitionstests durchführe, mit der Neutralität der Schweiz vereinbar sei, ging das Departement von Bundespräsidentin Viola Amherd (Mitte) nicht ein. Für das Sicherheitsdepartement des Kantons Schwyz bestünden «keine Anzeichen, dass es sich nicht um ein Erdbeben (wie es in der Schweiz vorkommen kann) gehandelt hat». Daher werde der Vorfall nicht untersucht, und weitere Sicherheitsmassnahmen seien nicht angezeigt. Die Rheinmetall schickte zwar eine automatische Empfangsbestätigung für die eingegangenen Fragen, aber bis Redaktionsschluss keine Antworten.