Es ist eine grosse Ehre, hier zu sein und die Möglichkeit zu haben, zu Ihnen zu sprechen. Es ist schwierig, nach Roger etwas zu sagen, denn er ist so energiegeladen und gut konzentriert. Ich bin nicht der Typ, der von Natur aus optimistisch ist.

Ich werde hundert Prozent ehrlich mit Ihnen sprechen und sagen, was ich denke. Und ich bin auch hier, um Ihnen zuzuhören und viele Dinge zu lernen. Wir leben heute in einer Zeit, in der die Menschen einander nicht mehr zuhören. Wir leben in Zeiten der Propaganda. Diese Propaganda muss immer wie die Wahrheit klingen. Entweder man folgt ihr, oder man wird sofort zum Gegner, zum Feind derjenigen, die diese Propaganda verbreiten und glauben, dass sie recht haben. Veränderungen kommen in schnellem Tempo. Die westliche Dominanz, die es in den letzten 300 Jahren aufgrund von zwei Postulaten gab, kommt zu einem Ende.

 

China und Russland holen auf

Ein Postulat ist nur halb wahr, das andere aber absolut. Die erste Halbwahrheit ist, dass die im Westen etablierte Demokratie wie ein Leuchtturm war, der viele anzog. Das andere Postulat lautet, dass China und Russland die erste industrielle Revolution verpasst haben, so dass sie keinen Wohlstand schaffen konnten. Das führte zu Konflikten und zu einem Rückstand dieser Nationen. Die Ausnahme, die die Regel bestätigt, ist der grosse Sieg der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Aber abgesehen vom Sieg über den Nazismus konnten die Sowjetunion und Russland dem Rest der Welt weder einen höheren Lebensstandard noch freies Denken bieten.

In den letzten vierzig Jahren haben sich die Dinge jedoch dramatisch verändert. Die Veränderungen gehen so weit, dass die Welt im Jahr 2024 im Vergleich zur Welt aus dem Jahr 2000 völlig unkenntlich ist.

Gibt es mehr Demokratie und Meinungsfreiheit als vor vierzig Jahren in Eurasien? Wenn wir nicht die traditionellen westlichen Partner wie Südkorea und Japan dazuzählen? Nun, auch in Südkorea gab es eine Veränderung. In den traditionellen Gesellschaften des Ostens. Gibt es sie? Natürlich gibt es sie. Und der erste Fehler, den wir im Westen machen, ist, nicht bemerkt zu haben, wie sich diese Gesellschaften politisch und in jeder anderen Hinsicht verändert haben.

Wir wollten eigentlich nie anerkennen, dass diese Nationen ebenfalls Demokratien waren, denn nur einer kann die Fahne der Demokratie hochhalten, und das sollte unser Westen sein. Die Nichtanerkennung ihrer Fortschritte und ihrer Demokratie war der erste Fehler des Westens. Der zweite, noch grössere Fehler war, dass wir sie und uns belogen haben. Wir wollten, dass sie dasselbe Modell und dieselben Werte akzeptieren.

«Wir leben in Zeiten der Propaganda. Diese Propaganda muss immer wie die Wahrheit klingen.»

Und alle, die auf dem Weg zur Europäischen Union sind, hören immer wieder, dass es um Werte und um Leistung geht. Und wenn man fragt, was die Werte sind, um beizutreten, dann ist das wichtigste Wort Marktwirtschaft. Jeder wollte die echte Marktwirtschaft erreichen, weil wir früher in einer Zeit des selbstverwaltenden Sozialismus gelebt haben. Es gibt verschiedene Arten des Eigentums. Jetzt dominiert das Privateigentum, und wir wollten dieser Marktwirtschaft angehören. Das wurde als Voraussetzung für Demokratie gesehen. Ausserdem wollten wir eine bessere und effizientere Wirtschaft. Aber was ist passiert? Plötzlich sagten viele auch im Westen, dass man die Marktwirtschaft nicht mehr als Grundwert unserer Gesellschaften nehmen könne. Wir sollten unsere Märkte jetzt ohne Zölle, aber mit mehr Protektionismus verteidigen. Die Flagge der Marktwirtschaft wurde von den Chinesen übernommen.

Ich bin in den letzten elf Jahren nach Davos gekommen und habe aufmerksam zugehört, als Präsident Xi Jinping 2016 sprach. Er hat den Amerikanern und uns allen aus Europa die Flagge der Marktwirtschaft abgenommen und gesagt: Okay, wir begrüssen die Globalisierung und die Marktwirtschaft. Und plötzlich hat sich alles auf den Kopf gestellt. Die Chinesen wollten sich ändern und haben sich geändert. Sie wurden sehr erfolgreich mit ihrem Wirtschaftsmodell. Und sie haben alle Regeln des Westens akzeptiert.

Aber als sie anfingen, unsere wirtschaftlichen Erfolge zu gefährden, sagten wir nein. Es geht um Protektionismus, weil wir dominant bleiben müssen und wir die Regeln ändern. Und jetzt geht es nicht mehr darum, Wachstumsraten zu erreichen. Darüber spricht niemand. Wie erzielen wir bessere Kredite für unsere Unternehmen, ohne die Stabilität der öffentlichen Finanzen aufs Spiel zu setzen? Warum wird die Staatsverschuldung in der Euro-Zone im Verhältnis zum BIP Ende Jahr bei etwa hundert ​Prozent liegen?

 

Europas Ideenlosigkeit

In Serbien sieht es hier zumindest etwas besser aus, sie liegt bei 46,4 Prozent. Aber was werden wir tun? Denn nächstes Jahr wird die Wachstumsrate Europas wieder bei 0,7, 0,8 oder 1,1 Prozent liegen. Was auch immer wir über China, Indien, viele arabische Länder und die USA sagen mögen, sie werden ein doppelt oder gar fünf- oder sechsmal so hohes Wachstum haben. Aber wir haben keine Ideen. Die einzige Idee ist, welche Art von Zöllen wir gegen die anderen erheben werden.

Und jetzt geht es vor allem um die Frage, ob Trump diese Zölle gegen China, Mexiko, Kanada, Europa oder gegen alle verhängen wird. Und wie Europa all die Schwierigkeiten mit China überwinden wird, weil es sich nicht gleichzeitig sowohl den USA als auch China widersetzen kann. Und es ist nicht klar, wie Trump die Tatsache akzeptieren wird, dass die Vereinigten Staaten ein Defizit von 132 Milliarden in ihrem Handelsaustausch mit Europa haben.

Was wird Trump tun? Wir haben Tausende offener Fragen, neben all diesen Kriegen, die momentan in unserer Hemisphäre stattfinden. Es ist sehr schwierig, Lösungen zu finden. Und es ist natürlich leicht, das zu analysieren, mit all diesen Daten, so, wie ich das heute machen werde, bevor ich ein paar Worte über Serbien sage. Keine Sorge, ich werde niemanden in unserer Nachbarschaft kritisieren.

Die eigentliche Frage für uns ist, was wir tun können, um die Situation in der Welt nicht noch zu verschlimmern. Wir haben heute eine Situation mit einem grossen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der eigentlich ein Konflikt von Russland und seinen Verbündeten einschliesslich Chinas gegen den Westen ist.

Chinas Ministerpräsident Li Qiang sagte 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass China vor 300 Jahren ein führendes Land der Welt war, aber dann die erste industrielle Revolution verpasste. Wir müssen jetzt nur wieder den Platz Nummer eins in der Welt einnehmen, den wir früher innehatten, und nichts weiter. Wir werden nichts gegen irgendjemanden auf der Welt unternehmen. Wir wollen nicht, dass Sie uns folgen. Wir wollen nur unseren Platz in der Welt zurück. Das ist eine natürliche Position Chinas.

 

Krieg ohne Gewinner

Aber ich habe nicht erwartet, was Angela Merkel gesagt hat. Sie fragte, natürlich in einer höflichen Art und Weise: Warum glauben Sie, dass wir China wieder als Nummer eins in der Welt akzeptieren würden? Und dann gab es Applaus. Und dann sagte sie: Sie können unsere Unternehmen in der Robotikbranche von Volkswagen und den anderen Automobilunternehmen nicht kaufen. Die kann man nicht für Peanuts kaufen. Nun, sie haben sie nicht für Peanuts gekauft, nicht für fünf Milliarden. Aber sie haben sie dann doch gekauft, zwei Wochen später, für den doppelten Preis, zehn Milliarden vielleicht. Was hätten wir in der Zwischenzeit ausser protektionistischen Massnahmen noch anbieten können?

Heute glaube ich, dass die Situation in der Ukraine immer mehr ausser Kontrolle gerät. Aber das ist keine grosse Neuigkeit. Heute sind die grossen News, ob Südkoreas Präsident Yoon einen Fehler gemacht hat oder nicht und was in zwei Tagen in Südkorea passieren wird. Und das war’s. Denn alle sind von den russischen und ukrainischen Fragen erschöpft. Niemand will zuhören, aber alle wollen den Krieg gewinnen.

Wo auch immer ich die Frage bisher gestellt habe, hat man mir gesagt: Wir dürfen diesen Krieg nicht verlieren. Das musst du verstehen. Das ist eine klare Aussage. Und dann habe ich einige meiner russischen Freunde gefragt, und die haben mir das Gleiche gesagt. Wir dürfen diesen Krieg nicht verlieren. Also beide Seiten dürfen den Krieg nicht verlieren.

Das bedeutet, dass dieser Krieg sehr, sehr lange dauern wird. Und das bedeutet auch, dass niemand dazu bereit ist, Kompromisse zu finden, eine Lösung zu finden. Es gibt Tausende Geschichten darüber, was passieren wird, wie das jetzt weitergehen wird. In Serbien sind wir es gewohnt, die Dinge besser zu verstehen als alle anderen. Es spielt keine Rolle, ob wir es wissen oder nicht, aber wir glauben zumindest, dass wir alles besser wissen.

Es gibt in Serbien sieben Millionen Präsidenten und sieben Millionen Fussballtrainer. Ich glaube nicht, dass das in der Schweiz auch der Fall ist. Aber so funktioniert das in meinem Land. Wenn Sie die Leute fragen, was passieren wird, dann wird jeder natürlich seine eigene Meinung haben. Und ich persönlich auch. Ich glaube, dass es sehr gefährlich sein könnte. Was werden die Nato und die Vereinigten Staaten von Amerika tun in den nächsten sechs Wochen? Ich glaube, dass sie Ende dieser Woche oder Ende nächster Woche ihre Position nicht nur auf taktischer, sondern auch auf strategischer Ebene ändern werden.

Sie werden versuchen, die Russen in Bezug auf ihre Munitionslager schwer zu treffen. Aber nicht nur das, auch die Ölressourcen, Lager und alles andere. Wenn das passiert, glauben Sie immer noch, dass Putin nicht zurückschlagen wird? Vielleicht wird es die Ukraine treffen, aber keines der Nato-Länder. So sehe ich die Situation, und das ist meine Prognose. Das ist es, was ich voraussage, und Sie werden es sehen, bemerken und überprüfen können. Innerhalb eines Monats bis anderthalb Monate.

«Vielleicht wird es die Ukraine treffen, aber keines der Nato-Länder. So sehe ich die Situation.»

Ich denke, Putin wird nicht zögern, stärker zurückzuschlagen. Wir werden sehen. Aber wenn es passiert, glauben Sie dann wirklich, dass das eine bessere Position sein wird, um einen Waffenstillstand in vierzig oder sechzig Tagen zu erreichen? Ich glaube nicht daran.

Ich war der Einzige, der unlängst beim Treffen der europäischen politischen Gemeinschaft in Budapest in Anwesenheit von Selenskyj gesagt hat, dass wir einen vollständigen Waffenstillstand brauchen. Je schneller, desto besser. Und ich sah, dass Präsident Selenskyj nicht sehr glücklich über meinen Vorschlag war. Dann telefonierte ich mit Präsident Putin, und ich bemerkte, dass auch er nicht glaubwürdig versucht, einen Waffenstillstand zu erreichen. Das bedeutet, dass wir eine weitere Eskalation haben werden. Und gleichzeitig auf ein Wunder aus dem Weissen Haus warten.

Es tut mir leid, dass ich wie ein Prophet wirke. Was ich nicht bin. Überhaupt nicht. Aber ich glaube nicht, dass dieses Wunder geschehen wird. Ich habe Angst vor grossen Enttäuschungen, auch für uns. Das bedeutet, dass sich die Situation weiter verschlimmern wird. Aber am Ende des Tages glaube ich, dass die Amerikaner doch versuchen werden, etwas zu tun. Die Russen werden ihre Arbeit machen. Die Ukrainer werden ihre Arbeit machen. Aber was wird Europa tun? Wenn Sie mich fragen, bin ich mir sicher, dass Trump nach harschen Kommentaren gegen China innerhalb von sechs Monaten am Ende ein Abkommen mit China abschliessen wird. Das einzige Gebiet, gegen das er politisch vorgehen wird, wird ein Teil der Europäischen Union oder die ganze Europäische Union sein. Das ist meine persönliche Meinung.

Ich war erstaunt, als ich sah, dass Premierminister Orbán Putin besuchte. Ich konnte das nicht. Nicht weil es mir geschadet hätte. Aber man hätte enormen Druck auf uns ausgeübt. Wir sind kein Mitglied der EU, wir sind kein Mitglied des Klubs. Und ich wollte mein Land nicht noch grösserem Druck aussetzen. Und dann hörte ich all die scheinheiligen Worte gegen Premierminister Orbán, nur weil er mit jemandem sprach.

 

Heimliche Gespräche mit Putin

Aber jetzt sage ich Ihnen etwas in aller Öffentlichkeit. Ich kenne zumindest zwei Staats- und Regierungschefs, die heimlich mit Putin gesprochen haben, während Orbán das öffentlich getan hat. Sie haben ihre Öffentlichkeit nicht darüber informiert. Ich habe das vom Kreml als bestätigte Information erhalten. Und diese Personen haben Orbán öffentlich kritisiert. Was ist das Problem, wenn man mit jemandem spricht?

Was ist das Problem? Heisst das, dass man all seine Meinungen teilt? Nein, tut es nicht. Wir müssen miteinander sprechen. Wir müssen einander verstehen. Das ist etwas, was wir in der letzten Zeit verloren haben. Darf ich Sie an etwas erinnern, das vor zweieinhalb Jahren passiert ist? Serbien hat den Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine scharf verurteilt. Wie die Vereinten Nationen und alle anderen Institutionen. Aber wir haben keine Sanktionen gegen Russland verhängt. Wir waren das einzige Land, das das nicht getan hat.

Und auch hier in der Schweiz haben alle Medien geschrieben, dass Vucic Putins Marionette sei. Ich kann Ihnen sagen, dass es nicht einfach ist, eine Puppe zu handhaben, die 120 Kilo wiegt. Aber sie haben gesagt, dass wir einen neuen Balkan-Krieg starten würden und dass wir die Nachbarländer wieder angreifen würden. Und ich habe gesagt, das sei nicht wahr.

Ich frage nun all diese Medien, die sich ziemlich sicher waren, dass es passieren würde: Werden Sie gegenüber den serbischen Menschen und der serbischen Regierung angesichts all dieser falschen Nachrichten wenigstens eine kleine Entschuldigung aussprechen? Es ist nicht passiert. Es wird nicht passieren. Ich werde Ihnen später sagen, warum das ausgeschlossen ist.

Ich glaube, dass Europa seine eigene Politik schaffen muss, in einer strategischen Art und Weise. Ich glaube, dass Europa im Rückstand ist. Viele Leute in Europa verstehen die Konsequenzen des Krieges nicht. Wir leben von Tag zu Tag und warten ab, was die Öffentlichkeit dazu sagt, was die Presse dazu sagt. Und alles, was wir überlegen, ist, was wir kurzfristig tun können. Wenn das so weitergeht, wird das schlimmer als die Hölle enden.

«Ich kenne zumindest zwei Staats- und Regierungschefs, die heimlich mit Putin gesprochen haben.»

Der Begriff, um den es geht, ist «ausreichende Entschuldigung». Der berühmte deutsche Philosoph Leibniz hat ihn benutzt. Ausreichende Entschuldigung, ausreichender Grund, um den Irak anzugreifen, wegen der falschen Behauptung, dass er Atomwaffen besessen habe. Wen kümmert das heute noch? Was passiert im Irak? Was war der Grund, warum der Westen Afghanistan angegriffen hat? Und wie endete es? Wer wurde besiegt? Was war der Fall in Libyen? Wir haben uns gegen einen Diktator gestellt. Und was haben wir Libyen heute gebracht?

Und jetzt sage ich Ihnen etwas, was Sie interessieren wird. Im Jahr 1999 gab es die Aggression gegen Serbien. Vorwand war eine humanitäre Katastrophe im südlichen Serbien. Sie haben keine Zustimmung des Sicherheitsrates erhalten. Sie haben keine rechtliche Genehmigung der Vereinten Nationen erhalten, nicht einmal von der Generalversammlung. Sie haben gegen die Uno-Charta verstossen. Sie haben nach dem Krieg gegen die Resolution 1244 verstossen. Aber vor dem Krieg haben sie gegen alle anderen Vorschriften verstossen. Wenn sie jetzt über territoriale Integrität sprechen, dann fragen wir immer: Wie war das mit unserer territorialen Integrität?

 

Kosovo und Ukraine

Denn die Resolution 1244 wurde seitdem nicht abgeschafft. Aber es hat sie nicht interessiert. Und wenn sie mit anderen Ländern über die territoriale Integrität sprechen, dann muss man darauf bestehen, dass diese territoriale Integrität für alle gilt, nicht nur im Falle der Ukraine. Niemand wollte das hören. Alle haben gesagt, das sei doch etwas ganz anderes. Und ich habe gesagt, erklären Sie mir: Was ist der Unterschied? Nein, nein, das ist eine lange Geschichte, Vucic. Sie sollten nicht rückwärts schauen. Sie schauen immer in die Vergangenheit. Sie sollten die Zukunft betrachten und was dort passiert.

Ich habe immer Folgendes gesagt: Erzählen Sie dieselbe Geschichte den Ukrainern. Jetzt sehe ich, dass sie den Ukrainern das Gleiche erzählen werden. Warten Sie einfach auf den richtigen Moment. In den nächsten sechs, zwölf Monaten werden Sie sehen, ob der Advocatus Diaboli aus Serbien recht hatte. Und ich sage Ihnen noch etwas. Wenn sie mit Putin anfangen zu verhandeln, wird er – wenn er mit den Amerikanern und allen anderen an einem Tisch sitzt – sagen: Was ihr mit dem Kosovo gemacht habt, haben wir mit Donezk und Luhansk, der Krim, Saporischschja und so weiter gemacht.

Und was werden sie dann antworten? Keine wirklichen Antworten. Dann müssen sie einen anderen Deal machen. Aber die einzige Lösung ist, neue Regeln und neue Werte aufzustellen, die jeder respektiert. Werte können nicht innerhalb von zwei Tagen, zwei Jahren oder zehn Jahren geändert werden. Diese Werte sollten konstant bleiben, während gleichzeitig die Regeln geändert werden, damit sie für alle Menschen auf der Welt akzeptabel sind und in Zukunft nicht mehr verletzt werden. Und wenn man dann eine solche Grundlage schafft, können wir anfangen, die Probleme der Vergangenheit zu lösen in dem Wissen, dass in Zukunft nichts Ähnliches mehr passieren wird.

 

Serbien als Paradies?

Das ist die einzige Lösung. Es gibt keine anderen Lösungen. Als ich das zu Scholz und Macron gesagt habe, sagten sie mir: Putin wird das nicht sagen, er wird das nicht verwenden. Einen Monat später bekam ich einen Anruf von Emmanuel Macron: «Alexander, woher wusstest du das?» Sogar Scholz hat mir davon erzählt. Ursula sagte, Putin habe darüber gesprochen. Natürlich hat er darüber gesprochen. Er ist ein kluger Politiker. Er nutzt, was man ihm gibt. Und sie haben ihm ein Ass gegeben, das in seinem Ärmel versteckt war. Das ist gut für ihn, denn er kämpft ja für Russland. Das bedeutet nicht, dass es für uns gut ist.

Was wird die amerikanische Reaktion darauf sein? Ich bin mir nicht sicher. Ich hoffe, dass wir weniger heuchlerisch über unsere Werte reden werden. Es ist kein grosses Geheimnis, dass sich westliche Grossmächte in Wahlen auf der ganzen Welt eingemischt haben. Und natürlich ist Demokratie, wenn wir gewinnen. Wenn wir verlieren, dann nicht.

Als die anderen, einschliesslich der Russen, ihre Lektion gelernt hatten und anfingen, sich in Wahlen einzumischen, war das etwas völlig Verbotenes. Daher setze ich grosse Hoffnungen in Elon Musk oder Robert Kennedy. Ich hoffe, dass auch sie daran etwas ändern werden, denn wir brauchen echte Prinzipien und weniger Heuchelei.

Ein paar Worte zur Position Serbiens, und wie ich zu Beginn sagte, ich werde niemanden kritisieren. Wir sind auf dem Weg in die EU. Heute hatte ich ein wichtiges Treffen mit der Wirtschaftscommunity. Ein Mann sagte am Ende zu mir, Serbien schaue aus wie ein Paradies. Das ist es aber nicht, sondern wir sind immer noch ein armes Land. Es gibt tausend Probleme.

Wir haben 6,7 Millionen Menschen, die dort leben, und unser BIP beläuft sich auf 82 Milliarden. Vor zehn Jahren lag es bei 32 Milliarden. Das ist gut und zeigt unseren Fortschritt in den letzten paar Jahren. Aber es ist noch ziemlich klein, und das zeigt: Wir müssen weiterarbeiten, wir müssen sorgfältiger arbeiten. Das wird schwierig. In allen Ländern wollen die Menschen jedes Jahr besser leben und weniger arbeiten.

Ich nehme immer mich als persönliches Beispiel. Dieses Jahr habe ich etwas weniger gearbeitet als letztes Jahr, aber ich bekomme ein höheres Gehalt. Wenn das nicht so wäre, dann würde ich mich gegen den Staat auflehnen. Und ich sah, wie die Schweizer zu lachen begannen, als ich das sagte. Aber es ist wahr, wir sind alle verwöhnt und eingebildet. Wir wollen alle ganz einfach aus dem Blauen etwas haben, das wir nicht verdient haben.

Wenn jemand wagt, das zu verhindern, wird er sofort als Schuldiger betrachtet. Und wenn man bedenkt, wie faul wir heutzutage wegen der digitalen Geräte sind: Wir verbringen fast drei Stunden damit, nichts zu tun. Mit unseren Handys verschwenden wir nur Zeit. Ich weiss nicht, was wir tun sollen, und ich bin froh, dass wir Ursula Renold aus der Schweiz haben, dass wir ein duales Berufsbildungssystem einführen können.

«Wir verbringen fast drei Stunden damit, nichts zu tun. Mit unseren Handys verschwenden wir nur Zeit.»

Aber es ist wirklich tragisch, wie schwierig es ist. Denn man muss es durchsetzen. Die Leute wollen es nicht akzeptieren. Und ganz zu schweigen von den anderen sehr schwierigen Geschichten. Aber ja, wir haben wirtschaftliche Fortschritte gemacht. Wir waren die Nummer drei oder vier, wenn es um den Entwicklungsstand in der Region des westlichen Balkans ging. Jetzt sind wir mit Abstand die Nummer eins, vor allen anderen. Mit der niedrigsten Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP. Wenn wir von allen Ländern sprechen, die Mitglieder von Eurostat sind, und von dem Land mit den höchsten Durchschnittslöhnen und dem höchsten Entwicklungsstand, dann bedeutet das, dass Serbien 50 Prozent des gesamten BIP, 55 Prozent der gesamten Exporte und 62 Prozent der gesamten ausländischen Direktinvestitionen des Westbalkans ausmacht.

Das sind gute Dinge. Wir müssen aber noch viel tun, was die Rechtsstaatlichkeit, die Medienfreiheit und viele andere Dinge betrifft, die für unsere Bevölkerung notwendig sind.

Zweieinhalb Jahre lang standen wir unter grossem Druck, uns in alles einzufügen. Ich habe unsere Freunde in Europa immer gefragt, wenn das so ist, warum braucht ihr dann unsere Regierung? Warum braucht ihr überhaupt Regierungen? Ihr könnt uns einfach eine SMS oder eine E-Mail schicken, dann ist das die Entscheidung. Aber ich glaube noch immer an die souveränen, unabhängigen Länder, die selbst Entscheidungen zum Wohle und zum Nutzen ihres eigenen Volkes treffen. Ich denke, das ist die unwiderlegbar beste Haltung und die beste Position eines Landes.

 

Fokus auf die Expo 2027

Ich fürchte, wir werden in Europa immer mehr Schwierigkeiten bekommen. Wir haben 85 000 Menschen, die in deutschen Unternehmen arbeiten. Wenn diese Firmen niesen, wenn sie husten, bekommen wir sofort eine Lungenentzündung. Und bei ihrer Wachstumsrate wird es für uns in zwei, drei Jahren noch schlimmer werden. In diesem Jahr sind wir das Land mit der zweithöchsten Wachstumsrate in Europa. Nächstes Jahr könnten wir sogar das Land mit der höchsten Wachstumsrate werden. Aber die Höhe der Wachstumsrate bedeutet nicht, dass die Gesamtzahl gleich bleibt in zwei, drei oder vier Jahren. Deshalb haben wir grosse Angst. Ich glaube einfach, dass Europa mehr strategische Entscheidungen treffen sollte, als es bisher der Fall war. Und ich glaube, dass es dazu in der Lage sein wird.

Ich bin sehr froh, dass Sie so freundlich und geduldig waren und mir zugehört haben. Ich weiss, dass ich im Gegensatz zu Roger nicht charmant bin und dass ich weniger lache. Aber zumindest danke ich Ihnen, dass Sie mir die Chance gegeben haben, zu sagen, was ich denke.

Wir sind zukunftsorientiert, weil ich mich auf die Expo konzentriere. Wir sind Organisatoren der spezialisierten Expo im Jahr 2027. Wir haben alles auf die Expo ausgerichtet, und wir werden alle Anforderungen und Kriterien für die vollwertige EU-Mitgliedschaft erfüllen. Ich glaube nicht, dass wir Teil der EU werden, weil sie uns erst 2030 oder so akzeptieren werden. Aber es ist unsere Aufgabe, unser Land zu modernisieren. Es ist unsere Aufgabe, unser Land zu demokratisieren. Aber die Wirtschaft ist die treibende Kraft für mich und unser Land. Und ich hoffe, dass mehr Schweizer nach Serbien kommen und viele Serben, die hier in der Schweiz leben, nach Serbien zurückkehren.

Am Ende gewinnt immer die Wirtschaft. Ich glaube, dass Sie, liebe Schweizer, das besser wissen als die anderen in der Welt. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Es war mir eine grosse Ehre und ein Privileg, die Gelegenheit zu haben, hier zu Ihnen zu sprechen. Vielen Dank.

 

Aleksandar Vucic ist Staatspräsident Serbiens. Der vorliegende Text ist die deutsche Fassung der Rede, die er auf Einladung der Weltwoche am 4.Dezember 2024 im Hotel «Dolder Grand» in Zürich gehalten hat. Vucic sprach Englisch, seine Rede wurde simultan übersetzt. Die Aufzeichnung der «Zürcher Rede» von Aleksandar Vucic finden Sie auf www.weltwoche.ch