Manche Familiengeschichten sind verzaubert wie verzierte Vasen, die in alten Häusern stehen. In diesen Geschichten gibt es schöne Dinge und viel Traurigkeit. Es gibt Könige wie Gianni Agnelli, Industrieller, einst Direktor von Fiat und in Italien «il Re» genannt. Die Agnellis gelten als italienische Kennedys. Nur wenige Familien durchlebten so viele Skandale, Höhen und Tiefen – dabei aber immer schillernd. Und es gibt Ginevra Elkann, Gianni Agnellis älteste Enkelin und Miterbin eines der grössten Vermögen Italiens.

Ginevra Elkann, 1979 in London geboren, ist anders als die anderen Agnellis. Sie ist ruhig. Sie hat ihr Leben im Griff. Sie ist glücklich mit einem ehemaligen Rennfahrer mit dem Namen Giovanni Gaetani dell’Aquila d’Aragona verheiratet, hat zwei Söhne und eine Tochter. Sie dreht Filme und leitet das Museum der Grosseltern, die Pinacoteca in Turin, ein von Renzo Piano auf dem Dach des ehemaligen Fiat-Hauptquartiers errichteter Bau mit Werken von Matisse, Picasso, Severini und Balla.

Elkanns Haarpracht ist gross und wichtig, um nicht zu sagen: theatralisch. Ginevra steht für Neues, für Altes, vergangene Dynastien und neue Lebensformen. Sie wuchs nicht in Italien auf, sondern zog nach der Scheidung ihrer Eltern mit der Mutter Margherita und den Brüdern Lapo und John nach Rio, dann nach Paris. Sie verpasste Italiens Kinderlieder und Fernsehserien, die Schule, wuchs nicht mit Pasta, Ausflügen in die Toskana oder nach Amalfi auf und ist dennoch Italien. Sie fährt kein Auto. Das sei ihre Form der Rebellion gegen die Autodynastie, sagt sie wiederkehrend und lächelnd. Mit Fiat wollte sie auch nichts zu tun haben, den Konzern übernahm ab 2003 und nach dem Tode Gianni Agnellis ihr älterer Bruder John.

 

Die Familie war mürbe geworden

Gianni Agnelli hatte Fiat zum wichtigsten Unternehmen Italiens, zum Weltkonzern aufgebaut. Er und seine Frau Marella, die er gerne und häufig mit Stars, Sternchen und adligen Damen betrog, waren Teil des Jetsets ihrer Zeit – es waren die sechziger und siebziger Jahre. Marella gehörte zum Klub der «Schwäne» um den Skandalautor Truman Capote, der von ihr sagte, stellte man sie in einem Schaufenster von Tiffany’s aus, sie wäre das Kostbarste darin. Die grössten Fotografen ihrer Zeit fotografierten Marella in wertvollen Kleidern, drapiert auf Chaiselongues und mit Lilien in der Hand.

Als Gianni Agnelli 2003 starb, war die Familie mürbe geworden, viel Glanz war vergangen. Fiat war am Ende, der Aktienkurs im Keller, die Automodelle waren fad und unbeliebt. Margherita, die 2 Milliarden Euro als einziges überlebendes Kind des Ehepaares Agnelli erbte, dazu noch Kunst und Häuser, zog vor Gericht. Sie vermutete, Gianni Agnellis Rechtsberater hätten den Grossteil des väterlichen Vermögens unterschlagen.

Ihre Kinder wendeten sich von ihr ab, auch Ginevras Bruder Lapo, der einmal als persönlicher Assistent für Henry Kissinger gearbeitet, zeitweise das Marketing für Fiat und Ferrari übernommen und auf der Forbes-Liste der bestgekleideten Männer der Welt gestanden hatte – bis die Heroinsucht kam, der Absturz und Sexskandale mit transsexuellen Männern. Lapo ging nach Arizona in eine Entzugsklinik; in Italien plant Ginevra die Eröffnung einer ähnlichen Einrichtung für Drogenkranke.

Ihr gemeinsamer Vater ist Alain aus der jüdisch-französischen Bankerfamilie Elkann, selber italienischer Kulturdezernent, Autor, intellektuelle Celebrity in Frankreich.

 

Umgeben von Bäumen und Blumen

In Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman «Der Leopard» geht die Welt alten Adels, seiner Rituale und Machtverhältnisse, zu Ende, die Wandteppiche riechen muffig, Spiegel sind angelaufen. Die Nachfahren des Prinzen-geschlechts werden anders leben, flexibler, entrückter von allem. Wie Elkann, die in Rom am Rande der Villa Borghese wohnt, im 5. Stock eines zitronengelben Palazzos, umgeben von Bäumen, Himmel, Blumen.

An dem Schicksal ihrer Familie nimmt sie diskret und immer etwas entfernt teil, als schöbe sie sachte einen Vorhang zur Seite: den Fast-Bankrott Fiats, die Eskapaden von Lapo, die zahlreichen Geliebten ihres verstorbenen Grossvaters, den Selbstmord von Onkel Edoardo, einziges Geschwister ihrer Mutter, der, nachdem er zum Islam konvertiert war und darüber nahezu komplett enterbt worden war, sich von einer Brücke stürzte.

Ginevra würde sich wohl am ehesten als Filmemacherin bezeichnen. 1998 war sie Regieassistentin von Bernardo Bertolucci und 1999 Videoassistentin auf dem Set von «The Talented Mr. Ripley» mit Matt Damon in der Hauptrolle. In London hatte Elkann Theaterwissenschaften studiert, anschliessend verschiedene Kurzfilme gedreht. Nach der Premiere auf den Filmfestspielen in Locarno 2019 erschien im Mai diesen Jahres Elkanns erster Film, «Magari» – es geht um in Scheidung verlorene Kinder. Natürlich sei der Film autobiografisch, gab sie der Presse zu verstehen.

Es sei leichter, die Enkelin eines Idols zu sein als die Tochter, sagt Ginevra. Grossmutter Marella, die altem neapolitanischem Adel entstammte und Mode-Ikone, Model und High Society war, starb 2019. Ihre Gesichtszüge leben in Ginevra weiter.