Der Russe aber ist gerade deshalb selbstbewusst,
weil er eben nichts weiss und auch gar nichts wissen will,
weil er nicht glaubt, dass es überhaupt möglich ist,
irgendetwas zu wissen.
Leo Tolstoi
Als Napoleon 1812 in die unendlichen Weiten Russlands eindrang, hatte er nicht die geringste Ahnung, nicht die mindeste Vorstellung davon, dass dies der Anfang vom Ende seiner Herrschaft sein würde. Seine Truppen marschierten unvorbereitet in sommerlicher Aufmachung. Der «Empereur» war sich auch nicht der Gefahren bewusst, die sein über Kilometer ausgestrecktes Heer für ihn selber bedeutete. Die Besetzung Moskaus war nie Teil eines Plans des als Feldherrengenie geltenden Franzosen gewesen. Sie ergab sich aus der Verwicklung der Ereignisse.
Umgekehrt hatten die Russen niemals vor, den Franzosenkaiser in die endlosen Steppen ihres Mutterlands hineinzulocken. Was russlandtreue Historiker im Rückblick schmeichelnd als brillanten Schachzug der Zermürbung deuten, war niemals eine bewusste Strategie. Ganz im Gegenteil. Die tonangebenden Kreise im zaristischen Generalstab wollten Napoleon schon an der Grenze stoppen. Doch die innere Zerklüftung des russischen Kommandos, das schiere Chaos der militärischen Führung verhinderte bis Borodino eine grosse Schlacht der beiden Armeen.
So stellt es in seinem gewaltigen Roman «Krieg und Frieden» der russische Schriftsteller Leo Tolstoi dar, nur wenige Jahrzehnte nach den tatsächlichen Vorgängen. Er warnt die Leser davor, ein so komplexes und von unzähligen Zufällen bestimmtes Geschehen wie den Krieg als vom Menschen beherrschbares Instrument zu betrachten. Kriege sind ein Vulkanausbruch von Kräften und Gegenkräften, die eine teuflische Eigendynamik entfalten und selbst die, die glauben, sie zu überblicken und zu kontrollieren, die grössten Heerführer und «Genies» wie einen Napoleon, in die Irre führen.
Putin, Biden und Selenskyj, aber auch unsere Bundesräte und Journalisten, im Grunde alle, die der Meinung sind, über den heutigen Krieg in der Ukraine Bescheid zu wissen, einen Krieg, der immer stärker auch auf Russland übergreift, sollten Tolstoi lesen. Vielleicht könnte sie die Lektüre zur Besinnung, zur Einsicht in den finsteren Wahnsinn ihres Treibens bringen. Von Tolstoi lernen wir ausserdem, dass ein Krieg nie die Alleinschuld eines Einzelnen ist, sondern ein Gemeinschaftswerk von vielen, in dem auf verschlungene Weise die daran beteiligten Mächte zerstörerisch zusammenwirken.
Aus Tolstois Buch stammt auch das eingangs aufgeführte Zitat. Es findet sich in einer grossartigen Passage, in der sich der Autor anhand einer Besprechung des russischen Generalstabs Gedanken macht über den Charakter der Grossmächte seiner Zeit. Die Deutschen zum Beispiel, schreibt er, seien «hoffnungslos, unabänderlich und bis zur Selbstqual von sich selber überzeugte Menschen», weil nur die Deutschen ihr Selbstbewusstsein «auf eine abstrakte Idee, auf die Wissenschaft gründen, die sie sich selber ausgedacht haben und nun für die reine Wahrheit» halten.
Beim Engländer wiederum fusse das Selbstbewusstsein auf der Tatsache, dass er «ein Bürger des bestfundierten Staates der Welt» sei, und «auf der Überzeugung, dass er als Engländer immer weiss, was er zu tun hat, weil das, was er als Engländer tut, immer zweifellos gut ist». Der Franzose hingegen sei selbstbewusst, weil er sich «persönlich geistig sowie auch körperlich Frauen und Männern gegenüber für bezaubernd und unwiderstehlich hält». Ersetzen wir das Wort «Engländer» durch das Wort «Amerikaner», haben wir ein taugliches Schema zur Beurteilung heutiger Akteure.
Tolstoi wusste, worüber er schrieb. Er hatte als Adeliger und Offizier in der russischen Armee gedient. Er war sich darüber im Klaren, dass Kriege, während sie toben, weder durchschaubar noch beherrschbar sind. Mit Entsetzen, ist zu vermuten, hätte er sich heute gegen all die weitab vom Geschehen schreibenden und predigenden Meinungsgeneräle gewandt, die uns einreden wollen, die eine oder die andere Seite sei auch nur im Entferntesten imstande, das von ihnen gemeinschaftlich entfesselte Monster in die von ihnen gewünschten Bahnen zu lenken.
Niemand plante die Selbstzerstörung Europas im Ersten Weltkrieg. Nicht einmal die auf Krieg gepolten Nationalsozialisten Hitlers dürften 1939 geahnt haben, welche Abgründe an Verderben und Verbrechen ihre Rassenideologie und ihr Einmarsch in Polen heraufbeschwören würden. Tief im Menschen, Frauen wie Männern, schlummert, lauert ein Raubtier, das dank dem Kunstwerk unserer Institutionen irgendwie halbwegs und meist erfolgreich in Schach gehalten wird. Sobald ein Krieg ausbricht, züngelt die Bestie hoch. Wir haben die Pflicht, sie in ihren Käfig zurückzutreiben.
Selbstgerechtigkeit, auch das lernen wir bei Tolstoi, ist der miserabelste Ratgeber, wenn man zurück zum Frieden will. Woran erkennt man einen, der im Krieg ist, der sein inneres Raubtier von der Kette lässt? Man erkennt ihn daran, dass er ausser seiner Meinung keine andere mehr gelten lässt, dass für ihn unumstösslich klar ist, wer die Bösen sind und wer die Guten, zu denen er sich selber zählt. Kriege treiben die Menschen buchstäblich in den Wahnsinn, denn der Krieg ist die fürchterlichste Droge. Er macht aus Freunden Feinde, zerfrisst und zerstört alles, was uns lieb sein sollte. Und am Ende stehen alle verwundert und erschüttert vor den Trümmern, die sie angerichtet haben.
Die Kriegsbestie kriecht aus ihren Höhlen, auch bei uns. Jedes Ereignis, jeden Vorfall, wie zuletzt diese undurchsichtige Meuterei der Wagner-Söldner in Russland, nehmen unsere berufsmässigen Kriegs- und Putin-Durchschauer in Politik und Medien zum Anlass, nach noch mehr Krieg und noch mehr Waffen zu trommeln. Was es heissen könnte, wenn die Macht im Kreml tatsächlich kollabiert, interessiert sie nicht. Stattdessen liefert man sich dem unheilvollen Sog des Krieges aus, unheilbar überzeugt von der Richtigkeit des eigenen Strebens wie jene von Tolstoi beschriebenen Deutschen, denen der Autor übrigens das «unwandelbarste und widerlichste Selbstbewusstsein» attestiert.
Ein geniales Editorial, von der Weisheit Tolstois durchdrungen und von Roger Köppel verinnerlicht. In der Überzeugung, nichts wirklich wissen zu können empfinde auch ich mich als Russe. Leider hält heute nicht nur Deutschland die Wissenschaft für die reine Wahrheit, sondern die ganze tonangebende Welt tut dies. Und die eigene Meinung, die ist ebenfalls sakrosankt; andere Meinungen müssen ignoriert oder gecancelt werden. Brave New World & 1984 sollten Warnungen sein, nicht CopyPaste-Vorlagen!
Grossartiges Editorial, wenn nicht eines der besten Herr Köppel. Ich lese unabhängig Ihres Rates zum dritten Male Krieg und Frieden und immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich diese oder jene Passage zum ersten Mal zu lesen meine, weil es von so vielen Weisheiten gespickt ist, dass man leicht immer wieder wichtige Details überliest. Auf die heutige Zeit reduziert, sind wir wohl im ewigen Hamsterrad gebunden und haben uns daran gewöhnt, den erbärmlichsten Möchtegern zu huldigen.
Wieder mal ein pseudointellektuelles Geschwurbeleditorial voller Allgemeinplätze & Fehleinschätzungen von Roger Köppel. Logisch ging dieser Angriffskrieg vom Doktortitelinhaber für russische Rohstoffe Dr. Wladimir Wladimirowitsch Putin aus, weil er sich ausmalte, damit könne er "seine" 1990 untergegangene Grosssowjetunion wieder zu einem grossen Player auf der geostrategischen Weltbühne machen u.a. auch dank ukrainischen Agrarrohstoffen. Als Militärstratege so ein Totalversager wie AH & Napoleon
Ein starkes Engagement gegen den Krieg, Roger!
Es gibt auch viele friedfertige Menschen. Vielleicht die meisten? In friedfertigen Menschen lauert kein inneres Raubtier, das in Schach gehalten werden muss. Leider sind friedfertige Menschen selten/nie an der Macht (was halt in der Natur der Sache liegt).
Die meisten egalitären Gesellschaften waren friedfertig (in ihrem Sein und ihren Strukturen) - weshalb es stets so einfach war + ist, sie auszurotten.
"Selig sind die Friedfertigen" (bekanntes Zitat eines bekannten Religionsstifters)
🌿🦋
Tolstoi bescheinigt den Deutschen das unwandelbarste und widerlichste Selbstbewusstsein! Da ist leider viel dran, auch heute im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg! Der "völkerrechtswidrige, russische Angriffskrieg" wird den Deutschen von morgens bis abends eingehämmert, rechtfertigt alles! 1812 bestand ein Drittel der Grande Armée aus Deutschen, aus den mit Napoleon verbündeten Rheinbundstaaten, 150-200Tausend Mann! Wenige kehrten zurück in die Heimat! Und 1918 und 1945, und 2023! Nichts gelernt?
'Putin, Biden und Selenskyj, aber auch unsere Bundesräte und Journalisten, im Grunde alle, die der Meinung sind, über den heutigen Krieg in der Ukraine Bescheid zu wissen' Es gab ein 'Wissen' vorher, und einer hat sich maximal getäuscht. Warum soll Biden gemeint haben, er verstehe viel davon? Er ist ja nicht direkt beteiligt. Es genügt, dem Aggressor die rote Fahne zu zeigen. Und der Tagi bringt jeden Tag abweichende Meinungen zum Verlauf.
Ein starkes Engagement gegen den Krieg, Roger!
Grossartiges Editorial, wenn nicht eines der besten Herr Köppel. Ich lese unabhängig Ihres Rates zum dritten Male Krieg und Frieden und immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich diese oder jene Passage zum ersten Mal zu lesen meine, weil es von so vielen Weisheiten gespickt ist, dass man leicht immer wieder wichtige Details überliest. Auf die heutige Zeit reduziert, sind wir wohl im ewigen Hamsterrad gebunden und haben uns daran gewöhnt, den erbärmlichsten Möchtegern zu huldigen.
Wieder mal ein pseudointellektuelles Geschwurbeleditorial voller Allgemeinplätze & Fehleinschätzungen von Roger Köppel.
Logisch ging dieser Angriffskrieg vom Doktortitelinhaber für russische Rohstoffe Dr. Wladimir Wladimirowitsch Putin aus, weil er sich ausmalte, damit könne er "seine" 1990 untergegangene Grosssowjetunion wieder zu einem grossen Player auf der geostrategischen Weltbühne machen u.a. auch dank ukrainischen Agrarrohstoffen.
Als Militärstratege so ein Totalversager wie AH & Napoleon
Im wahrsten Sinne bombastisch, was Sie so alles über den Willen anderer Menschen zu wissen glauben – und dies auch noch ohne je ein Wort mit ihnen gesprochen zu haben.
Viel interessanter wäre doch, Sie würden uns wissen lassen, was Sie selbst wollen und nicht, was Sie von anderen wollen – sofern Sie da überhaupt differenzieren können.
Nun Herr Eisenring, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion für Putin neben der nationalen auch eine persönliche Tragödie war, das ist ja wohl bekannt, fertig mit dem KGB Job in Ostdeutschland, als Taxifahrer musste er sich eine Weile in St. Petersburg durchschlagen. Und wenn Sie dann mal den Abstrakt seiner Doktorarbeit lesen, dann müssen Sie nur noch 1 + 1 zusammenzählen und wissen in etwa woran Sie sind.
Rohstoffe sind ein wichtiger Schlüssel um wieder geostrategische Grösse zurückzugewinnen.
Viele unserer Probleme fangen genau damit an, dass wir über Dritthandinfos andere Menschen beurteilen. Mit "das ist ja wohl bekannt" kann man zwar versuchen, besonderen Nachdruck zu verleihen, aber tatsächlich wissen wir um kein Jota besser, wie es in jenem Menschen wirklich aussieht und was ihn antreibt. Das weiss nur er selbst – genauso, wie nur Sie wissen können, welches Ihre Beweggründe für Ihr Handeln & Ihre Kommentare sind, für die Sie bestimmt nicht der Erklärungen anderer bedürfen.
D'accord mit allem, ausser dem letzten Satz. Napoleon war General, Hitler Gröfaz in spe, aber Putin ist immer noch KGB-Agent.
Ja OK, da gebe ich Ihnen recht, Napoleon hatte als General wenigstens pragmatische militärische Erfahrung, auch einige grosse Schlachten gewonnen aber am Ende dann doch untergegangen zuerst in Russland und nach dem Comebackversuch in Waterloo.
Ein geniales Editorial, von der Weisheit Tolstois durchdrungen und von Roger Köppel verinnerlicht.
In der Überzeugung, nichts wirklich wissen zu können empfinde auch ich mich als Russe.
Leider hält heute nicht nur Deutschland die Wissenschaft für die reine Wahrheit, sondern die ganze tonangebende Welt tut dies. Und die eigene Meinung, die ist ebenfalls sakrosankt; andere Meinungen müssen ignoriert oder gecancelt werden.
Brave New World & 1984 sollten Warnungen sein, nicht CopyPaste-Vorlagen!
Wobei "die Wissenschaft", auf die man sich stützt, nicht mal umfassend verstanden wird, sondern selektiv diejenigen wissenschaftlichen Meinungen angeführt werden, welche die eigene Meinung stützen. Diskurs wird nicht zugelassen, was eben gerade unwissenschaftlich ist.
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Es gibt auch viele friedfertige Menschen. Vielleicht die meisten? In friedfertigen Menschen lauert kein inneres Raubtier, das in Schach gehalten werden muss. Leider sind friedfertige Menschen selten/nie an der Macht (was halt in der Natur der Sache liegt). Die meisten egalitären Gesellschaften waren friedfertig (in ihrem Sein und ihren Strukturen) - weshalb es stets so einfach war + ist, sie auszurotten. "Selig sind die Friedfertigen" (bekanntes Zitat eines bekannten Religionsstifters) 🌿🦋
Tolstoi bescheinigt den Deutschen das unwandelbarste und widerlichste Selbstbewusstsein! Da ist leider viel dran, auch heute im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg! Der "völkerrechtswidrige, russische Angriffskrieg" wird den Deutschen von morgens bis abends eingehämmert, rechtfertigt alles! 1812 bestand ein Drittel der Grande Armée aus Deutschen, aus den mit Napoleon verbündeten Rheinbundstaaten, 150-200Tausend Mann! Wenige kehrten zurück in die Heimat! Und 1918 und 1945, und 2023! Nichts gelernt?
'Putin, Biden und Selenskyj, aber auch unsere Bundesräte und Journalisten, im Grunde alle, die der Meinung sind, über den heutigen Krieg in der Ukraine Bescheid zu wissen' Es gab ein 'Wissen' vorher, und einer hat sich maximal getäuscht. Warum soll Biden gemeint haben, er verstehe viel davon? Er ist ja nicht direkt beteiligt. Es genügt, dem Aggressor die rote Fahne zu zeigen. Und der Tagi bringt jeden Tag abweichende Meinungen zum Verlauf.