Eshkol Nevo:Trügerische Anziehung. Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch. DTV. 304 S., Fr. 36.90

Der Roman kommt als Mehrfachpack daher. Das Buch besteht aus drei Novellen, die auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Es gibt zwar, wie zufällig eingestreut, Überschneidungen. Sie reichen aber nicht aus, um die drei Erzählungen in einem Roman zu vereinen.

Der erste Teil, «Die Strasse des Todes», handelt vom kürzlich geschiedenen Schlagzeuger Omri, der einige Zeit in Bolivien verbringt. Er trifft auf Ronen und Mor, ein junges Paar, das dort die Flitterwochen verbringt. Dabei kommt es zu einer unerwarteten Begegnung zwischen Omri und Mor, und die Verstrickung wird nach dem tödlichen Fahrradunfall ihres Mannes immer mysteriöser und komplexer. Bald stellt sich die Frage, ob der Tod des frischvermählten Ehegatten wirklich nur ein Unfall war – oder ob mehr dahintersteckt.

Im zweiten Teil, «Familiäre Vorbelastung», geht es ebenfalls um eine Liebesbeziehung, die bis zum Schluss viele Fragen offenlässt. Dr. Caro, ein erfahrener Arzt, nimmt sich vor, eine junge Ärztin zu fördern, die in seinem Krankenhaus ihre Fachausbildung absolviert. Die Beziehung endet abrupt, als die Assistenzärztin eine scheinbar harmlose Berührung als sexuelle Belästigung interpretiert. Der arrivierte Arzt muss in der Folge vor dem Spitaldirektor den Beweis antreten, dass er keine sexuellen Absichten hatte, sondern lediglich väterlichen Instinkten nachgab. Worauf die Novelle eine unerwartete Wendung nimmt.

Eingepackt in den Roman ist schliesslich die Erzählung «Ein Mann trat ins Paradies». Sie beginnt ganz alltäglich mit einem Spaziergang des Ehepaars Ofer und Chelli durch einen Obsthain. Dabei muss der Mann schnell mal austreten – und kommt nicht mehr zurück. Nevo schildert die intensiven Nachforschungen Chellis nach ihrem spurlos verschwundenen Ofer. Dabei stöbert sie auch in seiner Vergangenheit, in der Hoffnung, auf eine Spur zu treffen, die ihr helfen könnte, Ofer zu finden. Nach einem (etwas zu) fantastischen Erlebnis erhält sie schliesslich Gewissheit.

 

Stets aus der Ich-Perspektive

Die drei Erzählungen werden durch mehrere Klammern zusammengehalten. Jeder der Protagonisten hat erstens den Verlust eines Lebenspartners erlebt – sei es durch Scheidung, durch Tod oder durch ein geheimnisvolles Verschwinden. Zweitens haben die Ereignisse in den drei Novellen juristische Nachspiele, deren Ende Nevo offenlässt. Der Autor will drittens die Fälle nicht lösen, sondern den Geheimnissen von Beziehungen auf den Grund gehen. Wer einen Whodunit-Roman mit einem klaren Ausgang erwartet, wird deshalb enttäuscht sein.

So ist es denn kein Zufall, wenn Nevo – er ist ein Enkel des ehemaligen Premierministers Levi Eshkol und wurde nach ihm benannt – seinen Dreiteiler mit der Aufforderung eines Anwalts beginnt, dass «wir uns über die Wahrheit einig sein sollten, selbst wenn wir beschliessen, vor Gericht zu lügen». Dass Nevo seinen Geschichtenreigen mit diesem Satz eröffnet, zeigt seine Intention. Bei keiner der drei Erzählungen ist am Ende klar, was wahr und was gelogen oder erfunden ist.

Nevo schildert das Spannungsfeld zwischen Sehnsucht, Verrat und der Komplexität romantischer Beziehungen stets aus der Ich-Perspektive. Weil die Erzähler dabei wiederholt zu neuen Erkenntnissen gelangen, ist der Roman eine spannende Lektüre, zumal Nevo die Hauptfiguren und ihre Nöte sehr plastisch beschreibt.