Hosenträger halten zusammen, was diesen Mann ausmacht. Am unteren Ende der Gummibänder die Körperpartie, wo das Bauchgefühl hockt. Weiter oben ein Kämpferherz, dem nur Niederlagen wirklichen Schmerz zufügen können. Über dem Ganzen, frei schwebend, ein Charakterkopf, wettergegerbt und ausgestattet mit dem Hirn des ehemaligen Schachturnierspielers, «dem Gegner immer sechs, sieben Züge voraus», wie er sagt. Dabei entblösst er seine Beisser, rechts und links formen sich zwei Grübchen. Kein zähnefletschender Königsmörder, eher die spitzbübische Freude des Schachspielers, dass der König des Gegners schachmatt gesetzt ist.
Diese Melange aus Hirn und Herz hat Hanspeter Lebrument, den mittellos Zugewanderten aus dem Unterland, innert vierzig Jahren zum ungekrönten Medienkönig im Bündnerland werden lassen, der heute über sieben Tageszeitungen, fünfzehn Wochenzeitungen, Radio- und TV-Stationen und Internetportale gebietet. Hagemanns in Basel, von Graffenrieds in Bern, Lamunieres in Lausanne haben ihre Schweizer Presseimperien verkauft, und Lebrument schickt sich gerade an, seine Verlegerdynastie zu verankern. Ein Aufstieg aus dem Nichts. Pate standen ein Mentor, drei Frauen und das Schicksal.
Die Lebruments sind, so will es die Legende, eingewanderte Hugenotten aus dem französischen Le Havre, und Generationen später betreiben sie in St. Gallen ein Fachgeschäft für Stempel und Beschriftungen. Das Zepter führt hier Anfang der sechziger Jahre eine Frau, die Hanspeter Lebrument als Grande Dame in Erinnerung hat: Tante Margrit, unverheiratet und kinderlos, aber resolut im Geschäft und das protestantische Familienoberhaupt. Und als der junge Sprössling Hanspeter die Absicht äussert, seiner Verlobten Irene nach Basel zu folgen, um dort Geschichte und Germanistik zu studieren, ist Tante Margrit gar nicht amused: «Findest du es anständig», meint sie, «dich von einer Frau aushalten zu lassen?»
Genau das ist der Plan, die Verlobte hat am Rheinknie einen Job als Sportlehrerin, und die aus kleinbürgerlichem Millieu stammenden Lebruments sind nicht auf Rosen gebettet. Die Worte der Tante sitzen so tief, dass der älteste Lebrument-Sohn sich auf eine Annonce im St. Galler Tagblatt bewirbt: «Nachrichtenredaktor gesucht». Erfahrungen im Journalismus hat er keine, ausser vielleicht, dass er einst bei den Pfadfindern Hospitz in St. Gallen das Pfadi-Blättli redigiert hat – dort hat mit Moritz Suter, dem heutigen Eigner der Basler Zeitung, noch einer verkehrt, der es zum Verleger bringt. Immerhin gelingt es ihm, die drohende Abhängigkeit von einer Frau abzuwenden, mit einem Job «als Telexabreisser», wie er sagt, und er verdient 1400 Franken. Tante Margrit ist die erste Frau, welche sein berufliches Schicksal beeinflusst hat.
Telexe abreissen beflügelt ihn nur für kurze Zeit. Lebrument will höher hinaus, und beim Emmentaler Blatt mit immerhin 40 000 Exemplaren Auflage Ende der sechziger Jahre winken eine Ressortverantwortung als Ausland- und Sportredaktor und 2000 Franken Lohn. Mit seiner Irene, inzwischen Frau Lebrument, zieht er nach Langnau BE und legt sich ins Zeug. Ein Neukonzept mit dem Lokal- und Regionalteil vorne in der Zeitung stellt er auf die Beine, und das macht dem Verleger derart Eindruck, dass der zu Lebrument sagt: «In drei Jahren, wenn der Chefredaktor pensioniert wird, werden Sie Nachfolger.» Stolz erzählt er das zu Hause seiner Frau, und die winkt ab. Sie wolle nicht im Emmental bleiben, sondern zurück in die Ostschweiz. Der Gatte ist «mächtig niedergeschlagen», wie er sich erinnert, aber tut wie ihm geheissen und wird Auslandredaktor bei der Bündner Zeitung. Die Gattin ist die zweite Frau, welche sein Schicksal beeinflusst hat.
Der Einstieg in Chur ist nicht eben erfolgversprechend. Der Verlag gehört 1971 je zur Hälfte den Familien Gasser und Eggerling, und die haben, registriert Lebrument, ein gestörtes Kommunikationsverhältnis. Kaum angekommen, erhält der Neue einen Anruf von Rudolf Gasser, dem Präsidenten, der ihm mitteilt, er sei zwar von der Seite Eggerling angestellt, aber nicht vom Verwaltungsrat gewählt. Der Angesprochene reagiert angriffig. «Ich habe ihm geantwortet: Da sei ich aber froh, das sei nämlich keine Zeitung hier, sondern ein Puff», sagt Lebrument heute, und es graben sich bei diesen Worten zwei lustige Grübchen in seine Wangen, «keine Abläufe, kein Redaktionsschluss, einfach nichts.»
Kurze Zeit später sitzen sich der Präsident, im Hauptamt Bezirksanwalt in Meilen, und der ambitionierte Neu-Redaktor auf neutralem Terrain im «Parkhotel Schwert» in Weesen gegenüber, und jeder wittert für sich eine Chance. Rudolf Gasser, endlich Einfluss zu nehmen im Verlag, Lebrument, endlich den Karrierelift nach oben zu besteigen. Als die beiden Männer sich verabschieden, verfügt Letzterer über eine Erkenntnis und einen Auftrag. Die Erkenntnis: Rudolf Gasser ist zwar weit weg von allen Verlagsinterna, aber die starke Figur im Verwaltungsrat. Der Auftrag: ein Neukonzept zu erstellen für die vor sich hin schnarchende Zeitung, in der die Lokalpolitiker einlaufen, um ihre Communiqués direkt in der Setzerei zu deponieren. Der Präsident signalisiert seinem Schützling, der Chefredaktor der Bündner Zeitung könnte bald Hanspeter Lebrument heissen.
1976 dreht das Schweizer Fernsehen einen Film über die Bündner Zeitung. Eine Sequenz zeigt Rudolf Gasser, tadellos gekleidet, krawattiert, stramme Haltung, der sagt: «Das Konzept hat Hanspeter Lebrument erarbeitet, und seither ist die Auflage kontinuierlich steigend.» Dann übergibt er mit gönnerhaft-anerkennender Handbewegung an den Angesprochenen, inzwischen Chefredaktor, mit wildem Lockenhaar, grossformatiger Hornbrille und rotkariertem Holzfällerhemd, aber mit Selbstbewusstsein ausgestattet. «Als ich 1971 das Neukonzept gemacht habe, habe ich gesagt, man soll mit diesem Leim- und Scheren-Journalismus abfahren.»
Er macht aus dem traditionell den Bündner Demokraten, der späteren SVP, nahestehenden Blatt ein lokales Rechercheblatt, einen Alpenblick, monieren die Kritiker, das mit angriffigem Journalismus Bündner Politiker schon mal der Steuerhinterziehung überführt oder gar zum Rücktritt zwingt. Ungeheuerlich, in einem Kanton, in dem Politik und Presse auf Schmusekurs programmiert sind, und verständlich, dass die politischen Schwergewichte wie die Schlumpfs oder Gadients in dieser Zeit über die Gründung einer Konkurrenzzeitung nachdenken. «Ich», sagt Lebrument, «war aber schon längst Herrscher über die Bündner Stammtische.» Das ist sein publizistisches Credo für eine erfolgreiche Regionalzeitung: Die ganze Kraft in die Recherche vor Ort, dort wo die Stammtischthemen liegen. «Ich will keine Linken, keine Rechten, keine Katholiken oder reformierten Ideologen auf den Redaktionen», sagt er, «sondern Journalisten, die recherchieren und unabhängig schreiben.»
Die Kunde, dass an der Peripherie der Schweiz ein junger Chefredaktor die lokale Politprominenz vor sich hertreibt, dringt bis in die Medienmetropole Zürich – dort will der Ringier-Verlag ein Nachrichtenmagazin im Stile des deutschen Spiegels lancieren. Lebrument wird 1981 Chefredaktor des Nachrichtenmagazins Die Woche, und nach wenigen Monaten ist er diesen Job wieder los, und bald ist auch das Blatt am Ende. Er ist grandios gescheitert am Konzept für ein Magazin und wohl auch an den verschlungenen Machtstrukturen im weitläufigen Ringier-Konzern.
Zwei Tage vor Beendigung seines Intermezzos in Zürich kommt es in Chur zu einer bemerkenswerten Zusammenkunft. Der Verwaltungsrat des inzwischen auf Gasser Druck und Verlag AG umfirmierten Unternehmens tritt zusammen, und Lebrument ist für dieses Treffen bestens vorbereitet – nie hat er den Kontakt zu seinem Mentor Rudolf Gasser abbrechen lassen, und der hat ihn auch im Verwaltungsrat des Verlags postiert. Jetzt geht es um die Zukunft. Der Gasser-Verlag soll im Bündnerland zukünftig auf allen Medienkanälen zum Meinungsführer ausgebaut werden, neben Zeitungen auch Radio- und TV-Kanäle betreiben. Alles ist vorbereitet, und als der Verwaltungsrat zur Abstimmung schreitet, wird einer, der dagegen ist, einfach überstimmt: Werner Gasser, hälftiger Eigner des Verlags und Chef der Druckerei, ein vorsichtiger Mensch, dem diese Expansion nicht geheuer ist. Als der realisiert, was gespielt wird, entfährt ihm ein «Das ist ja ein Putsch», und keiner will dem widersprechen. Damit ist Werner Gasser draussen aus der Familienfirma, erhält fortan nur noch Dividenden aus seinem Aktienbesitz.
Der Präsident Rudolf Gasser bestimmt an diesem Tag im April 1982 auch, wer neuer Verlagschef wird: Hanspeter Lebrument. Dennoch ist die Lage instabil. Die Gefahr besteht, dass der unterlegene Werner Gasser seine Aktien veräussert – an einen Verleger in Zürich oder gar an die lokale Politprominenz. Hanspeter Lebrument löst auch dieses Problem. Er lässt im Verwaltungsrat erfolgreich darüber abstimmen, dass beide Parteien ihre Aktien in eine Stiftung überführen, die damit die Stimmenmehrheit besitzt. Mit Rudolf Gasser als Stiftungspräsident und Hanspeter Lebrument und Werner Gasser als Mitglieder ist Letzterer in der Minderheit und neutralisiert. «Ich habe dafür gesorgt», sagt Lebrument, «dass unabhängig vom Geschäftsgang stets eine Pflichtdividende ausbezahlt wird.» Nun ist er die bestimmende Figur im Verlag.
1983 übernimmt Christoph Blocher die Ems- Chemie. Blocher und Lebrument, zwei Männer, die ohne eigenes Vermögen zu Unternehmern, zu bestimmenden Persönlichkeiten im Kanton aufsteigen und sich sogar als Verleger konkurrenzieren. 1985 übernimmt Christoph Blocher das seit Jahren serbelnde Bündner Tagblatt, um im Kanton eine zweite Tageszeitung zu erhalten. Sie schenken sich nichts, politisieren auf verschiedenen Bühnen: Blocher als nationaler Frontmann der SVP, Lebrument nur kurz als nicht erfolgreicher Ständeratskandidat der FDP. So unterschiedlich das klingt, so ähnlich sind sie sich doch: Beiden gelingt es, die Familienfirma zu übernehmen, deren Angestellter sie sind.
Ein nicht immer einfaches Verhältnis: Als Christoph Blocher sich anschickt, die Ems-Chemie in einem monatelangen Prozess mit entsprechender medialer Begleitmusik zu übernehmen, ist Lebrument von dieser Lösung nicht begeistert und «favorisiert andere Käufer», wie er heute sagt. Und als Blocher als Tagblatt-Verleger auf den Plan tritt, empfindet Hanspeter Lebrument das als Einmischung in seine Domäne, die er in dieser Zeit intensiv ausweitet. Bereits hat der Verlag über die Kantonsgrenze hinaus expandiert und das Oberländer Tagblatt in Sargans übernommen, und nun steht er in Verhandlungen mit den Glarner Nachrichten und Verlegern im Kanton Schwyz, um mit Übernahmen und Kooperationen eine grosse Tageszeitung zu zimmern, die spätere Südostschweiz, heute mit einer Auflage von knapp 130 000 Exemplaren. «Alles in einen Topf», sagt Lebrument, «das war die einzige Chance, in diesen Randgebieten an nationale Werbekampagnen zu gelangen.» Mit Christoph Blocher redet er immer wieder über das Bündner Tagblatt, und beiden ist klar: Alleine schafft es das Blatt nicht aus den roten Zahlen, und als Käufer gibt es zu Hanspeter Lebrument keine Alternative. 1996, über zehn Jahre nach seinem Einstieg, übergibt Blocher die operative Leitung des Blattes an den Gasser-Verlag. Einzige Auflage: Das zweite Bündner Blatt muss weiterexistieren.
Mitte 1999 stirbt nach kurzer Krankheit Lebruments Mentor, ein «Vorbild und Freund», wie er in einem Nachruf über Rudolf Gasser schreibt, mit dem er aber zeitlebens per Sie geblieben ist. Das mühselig gezimmerte Konstrukt droht für Lebrument nun ausser Kontrolle zu geraten. Nach dem Tod des Präsidenten herrscht eine Pattsituation. Er befürchtet, Werner Gasser könnte lokale Politprominenz wie die Bündner SVP-Nationalrätin Brigitta Gadient in den Stiftungsrat aufnehmen. Jetzt handelt Lebrument rasch. In der St.-Martins-Kirche in Chur findet sich am Tag der Abdankung die Trauergemeinde ein und verschiebt sich später zum Leichenmahl in das «Hotel Drei Könige».
Kaum ist dieser Part vorüber, beruft Lebrument scheinbar spontan eine Stiftungsratssitzung ein und wählt zwei Personen seiner Wahl in das Gremium – Werner Gasser ist derart überrumpelt, dass er sich nicht widersetzt. «Hätte er das getan», sagt Lebrument heute, «wäre die ganze Sache verreckt.» Aufgeben will Werner Gasser aber nicht. Mit seinen Juristen ficht er das handschriftliche Testament des Bruders an, nach dessen Wille Hanspeter Lebrument die Stimmenmehrheit des Verlags im Stiftungsrat zu vertreten hat. Der Juristenstreit ist erfolglos, das Testament macht Lebrument zum faktischen Herrscher über den Verlag, an dem er keine einzige Aktie besitzt.
Mit etwas Glück gelingt es ihm, auch dieses Defizit zu beheben. Die Dividenden aus den Verlagsaktien fliessen nämlich in eine zweite Stiftung von Rudolf Gasser, der daraus Umweltschutzorganisationen wie WWF oder Greenpeace unterstützt. Jetzt, nach dem Tod des Stifters, ist die Situation eine neue – neben den karitativen Zwecken soll auch die jahrelange Lebensgefährtin von Rudolf Gasser auf Lebenszeit unterstützt werden. Kein Mensch kann jedoch garantieren, dass die Dividende nicht einmal ausfallen könnte. Als die Idee aufkommt, Rudolf Gassers Anteil zu verflüssigen, um an Bares zur Unterstützung von dessen Lebensgefährtin zu kommen, kauft Lebrument zur Jahrtausendwende mit Bankkrediten die Hälfte des Verlags.
Er fühlt sich verpflichtet, dies zu tun. Am Totenbett, erinnert er sich, habe ihm sein Mentor aufgetragen: «Nehmen Sie die Firma, sonst geht sie unter!» Und er selber, Lebrument, hat die Asche des Toten über den Bündner Bergen der Ewigkeit übergeben. Er fühlt sich legitimiert, Werner Gasser, den letzten Unsicherheitsfaktor, aus der Firma hinauszudrängen. Der hat ihm schliesslich die Anwälte auf den Hals gehetzt, und dem sagt er nun, er würde wohl für einige Zeit keine Dividenden mehr ausbezahlen. Als der ihm entgegnet, wovon er, Lebrument, denn leben wolle, meint der lapidar: «Ich habe einen Lohn als Verlagschef.» Die Botschaft ist klar, und als Werner Gassers Frau ihm rät, zu verkaufen, gibt der letzte Gasser auf, verkauft Lebrument seine Aktien. Die dritte Frau, die Lebruments berufliches Schicksal beeinflusst hat.
Jetzt sitzt Hanspeter Lebrument im Sitzungszimmer seiner Südostschweiz Medien und macht einen zufriedenen Eindruck. Zieht der Siebzigjährige – am 21. Juni hat er den runden Geburtstag gefeiert – eine Bilanz seines beruflichen Wirkens, fasst er diese in einen kurzen Satz: «Es ist schön gsii, nöd.» Dass teilweise schaurige Dinge über ihn erzählt werden im Bündnerland, nimmt er heute in einem Anflug von Altersmilde gelassen. Dass seine Journalisten bei der Gewerkschaft mitunter über Dauerstress klagen und einer es sogar wagte, angeblich ausstehende Lohnforderungen geltend zu machen, kratzt ihn nicht gross.
Gewerkschaften hat er sowieso nie gemocht und geduldet. Dass er mittlerweile über die ihm zur Hälfte gehörende Südostschweiz Publicitas an jedem in seinem Reich publizierten Inserat mitverdient, gehört für ihn zum Geschäft, ebenso wie sein mitunter ruppiger Umgang mit seinen Kunden. Der Zürcher Medienmann Roger Schawinski betitelt ihn, seit er mit einer eigenen Radiokonzession im Bündnerland abgeblitzt ist, mit Lust als «Subventionsjäger», das stellt Hanspeter Lebrument nicht einmal in Abrede. «Wir wollten immer eine konkurrenzfähige private Radio- und TV-Landschaft. Der Gesetzgeber hat anders entschieden», sagt er, «dafür bekommen wir jetzt staatliche Subventionen. Und ich nehme so viel, wie ich kriege.» Und dann sagt er noch einen Satz, welcher sein Innerstes nach aussen kehrt: «Das ist mein normales Verhalten. Wer mich verjagen will, dem haue ich eins auf den Deckel.»
Jetzt hat Hanspeter Lebrument alle verjagt im Einzugsgebiet seiner Zeitungen, Radio- und TV-Stationen, «ein Monopolist» sei er, monieren seine Kritiker, seine Medien verfolgten einen «Anti-SVP-, einen Anti-Blocher-Kurs», heisst es, und ganz Böswillige behaupten gar, der oberste Journalist im Hause Lebrument, Andrea Masüger, fungiere als «Berater von BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf». Die politische Situation in Graubünden ist in der Tat einigermassen vertrackt. Grösster privater Arbeitgeber – noch vor den Südostschweiz Medien – ist die Ems-Chemie des Christoph Blocher, der wiederum durch eine unheilige Allianz aus Mitte- und Linksparteien aus der Regierung gewählt und durch das Lokalgewächs Eveline Widmer-Schlumpf ersetzt worden ist.
Der oberste Verleger im Kanton, wo steht er in dieser Sache? Nun hat sein Gesicht nichts Spitzbübisches mehr. Jetzt wird es ernst. Die Südostschweiz, eine Anti-SVP-Zeitung, welche die Partei am liebsten totschweigt? Lebrument zückt die druckfrische Zeitung vom 24. Mai. Es ist ein guter Pressetag für die SVP. Die Partei dominiert die Schlagzeilen. Auf der Front zwei Artikel («Hochdeutsch: Bündner SVP will Klarheit»; «SVP möchte weniger und bessere Ausländer»), dazu ein halbwegs kritischer Kommentar über die SVP-Initiative gegen die Zuwanderung, im Innern drei weitere Artikel zur Partei. Der Verleger kann kein Totschweigen erkennen. Dann geht Hanspeter Lebrument ins Grundsätzliche. «Ich bin kein politisches Gewicht hier», sagt er, «ich nehme nicht am politischen Diskurs teil. Wirtschaftspolitisch denke ich eher auf der Linie der Volkspartei, gesellschaftspolitisch mit dem Freisinn.» Dann wird seine Stimme hart: Berater von Politikern oder gar Bundesräten sei hier niemand und auch nicht Masüger. Der habe sich höchstens vom Grünen zur Mitte hin entwickelt. Aber Anti-Blocher? Sein eigenes Verhältnis zu ihm sei «recht», sagt Lebrument, bei der GV der Ems habe er jedenfalls immer einen privilegierten Platz, und jenes zu Widmer-Schlumpf «gut», aber wenn er die Bundesrätin zweimal im Jahr zufällig an Anlässen treffe, sei das viel.
Eine kleine Differenzierung zwischen dem Ex-Bundesrat und der Magistratin immerhin. «Meine Machtposition», sagt er nun wieder entspannt, «ist die, dass ich mich hier in Graubünden nirgendwo mehr anlehnen muss.» Die Bündner Politprominenz hat sich mit der publizistischen Macht des Faktischen im Randkanton der Schweiz längst abgefunden. «Die politische Linie der Zeitung ist nicht Lebrument-gesteuert, er mischt sich nicht ein», sagt etwa Jon Peider Lemm, Präsident der SVP Graubünden, «aber die publizistische Macht liegt natürlich in einer Hand», und selbst die Linke kann «keine grundsätzlichen parteipolitischen Präferenzen erkennen», so der Bündner SP-Präsident Jon Pult. Nur für den langjährigen SVP-Politiker Lorenz Zinsli steht ausser Frage, dass sich «die Südostschweiz von einer ehemals bürgerlichen Zeitung zu einem linken Blatt gewandelt hat, mit dem Linken Andrea Masüger an der publizistischen Spitze».
Sein oberster politischer Kommentator Andrea Masüger, kontert Lebrument, kommentiere, wie er wolle, und das gehöre zu seinem Selbstverständnis als Verleger. Nach Masügers Kommentaren zu urteilen, macht der aus seinem lokalpatriotischen Herzen zumindest keine Mördergrube: «Widmer-Schlumpf», schreibt er, «ist eine gute Bundesrätin, die man nicht einfach abwählen kann, nur weil sie mittlerweile in der falschen Partei sitzt.» Und Christoph Blocher? «Ein verletzter Löwe», der um sich schlage, urteilt er, und am liebsten «Diktator auf Lebenszeit» wäre.
Sein eigenes Haus hat Hanspeter Lebrument inzwischen bestellt. Seine engsten Mitarbeiter, den langjährigen Chefredaktor der Südostschweiz und heutigen CEO der Gruppe, Andrea Masüger, wie auch seinen langjährigen Finanzchef Alois Bearth, hat er am Unternehmen beteiligt; und wollen die einmal verkaufen – so ist es festgelegt –, heisst der Käufer Lebrument. Und was mit seinen Kindern geschieht, ist auch besprochen. Silvio, der Älteste, heute Chef über Radio und TV, «geht in Richtung Verwaltungsratspräsident», sagt der Vater, die Tochter Susanne könnte einst die operative Leitung übernehmen, und Pesche, der Jüngste, heute Programmleiter Tele Südostschweiz, dürfte einmal als Chefredaktor in Frage kommen. Nie mehr, scheint sich Hanspeter Lebrument geschworen zu haben, soll sich im bündnerischen Verlagswesen eine instabile Situation zusammenbrauen können, wie sie Pate stand bei seinem eigenen Aufstieg.