Sie ist quecksilbrig und geistreich, überspannt und selbstironisch. Ihre medialen Auftritte sind jedes Mal von umwerfendem Unterhaltungswert, ihre Selbstinszenierung ist ebenso entwaffnend wie zwanghaft bis ins winzigste Detail kalkuliert. Amélie Nothomb, die in Brüssel und Paris lebende Schriftstellerin, Tochter einer belgischen Aristokratenfamilie, ist einer der prominentesten Stars im frankophonen Literaturraum – und das hat nicht nur mit den unzähligen Romanen und den ­gigantischen Auflagen zu tun, sondern auch mit ihrer irisierenden Persönlichkeit.

Man kann sie auf keine Kategorien fest­legen. Wer den absurden Versuch unternähme, sie ein für alle Male beschreiben zu wollen, würde feststellen, dass sie immer auch das ­Gegenteil von allem verkörpert. Man hörte ihr selbst dann begeistert zu, wenn man keine ­Sekunde mit ihr einverstanden wäre – aus simpler Freude an ihrem grazilen, abgründigen, belustigende Charme und ihrem blitzenden Humor. Kein Wunder, dass sie zum Dauer­personal franzö­sischer Talksendungen gehört. Und wie sie sich da jeweils präsentiert, ist erheiternd und faszinierend. Schon äusserlich verkörpert sie das ­pure Selbststilisierungsprinzip: Sie kleidet sich nicht, sie kostümiert sich, und zwar jedes Mal neu. Gerne trägt sie hohe, schwarze, phallokratische Hüte mit wippenden Federn. Überhaupt ist Schwarz ihre Lieblingsfarbe. Die Augen umrahmt sie am liebsten mit dicken Strichen, die Kleider sind schwarz wie die Nacht, meistens trägt sie dazu durchbrochene, dunkle Spitzenhandschuhe oder leicht snobistische Lederhandschuhe. Die Lippen sind feuerrot übermalt, die Haut blass ge­pudert.

Zu keinem Zeitpunkt überfordert

Zu glauben, man hätte jetzt eine dominante, düstere Person vor sich, wäre allerdings grober Irrtum: Den martialischen Kleiderauftritt unterläuft Amélie Nothomb sogleich mit einer altklugen, ausgelassenen Fröhlichkeit – ein richtiges Kind ist sie –, und diese Mischung lässt niemanden indifferent. Spitzbübisch ­pariert sie in Debatten jede noch so angriffige Frage. In eine Falle locken kann man sie nicht. Dazu ist sie zu geistesgegenwärtig und zu ­intelligent. Versucht einer, sie aufs Glatteis zu führen, wechselt sie ausgelassen zum Gegenangriff. Überfordert ist sie zu keinem Zeitpunkt. Im Gegenteil: Sie geniesst offensichtlich Provokationen. Diese scheinen Nothomb regelrecht zu beleben, gutgelaunt kann sie ­ihre Kampfeslust unter Beweis stellen.

Amélie Nothomb schreibt Bücher am Laufmeter: dünne, federleichte, aber nicht leichtgewichtige Romane. Jedes Jahr, pünktlich zur Eröffnung der literarischen Saison in Frankreich, erscheint eines ihrer Werke. Ihre Publikationsliste ist unermesslich, und allein in der Schublade, lässt sie verlauten, stapelten sich vierzig weitere Manuskripte. Eben ist auf Deutsch ihr neuestes Buch erschienen, «Die Kunst, Champagner zu trinken». Es ist ein leichtfüssiges Werk um die Freundschaft zweier ungleicher Frauen. Amélie und Pétronille, beides Schriftstellerinnen, suchen den Rausch und das Vergessen.

Kennengelernt haben sie sich unter ­Umständen, die einer ausgeklügelten Versuchsanlage gleichen. Die 30-jährige aristo­kra­tische Amélie benutzt jeweils ihre Signierstunden in den Buchhandlungen, um eine Freundin zu finden und ihrer Einsamkeit zu entkommen. Sie selbst nennt Signieren eine passive Jagd mit dem Ziel, jemanden auf dessen Eignung als Saufkumpanin zu prüfen. Dieses Mal hat sie Glück. Sie trifft auf die kurzangebundene Pétronille Fanto, eine androgyne Person, aus der Pariser Banlieue stammende 22-jährige Studentin, Tochter von Kommunisten. Mit ihr hat Amélie zuvor schon seit längerem in Briefkontakt gestanden. Als sie ihr nun leibhaftig begegnet, ist sie einen Moment überrascht. Die jüngere Frau ist der akkuraten Amélie in keiner Art unterlegen. Mit einem Blick so scharf wie Chili ­beobachtet die Studentin die bereits Arri­vierte, und zwar so unbeeindruckt, als ob sie Material für eine Tierdokumentation sammeln würde. Amélie Nothomb erzählt die prekäre Geschichte zweier Frauen, die von jetzt an die Dämonen des Lebens mit gemeinsamen Rauschorgien vertreiben und sich ­dabei auf einen komplizierten Weg der Freundschaft und der Selbstfindung machen.

Dass auch «Die Kunst, Champagner zu trinken» mit so vielen Versatzstücken aus ­Nothombs eigener Biografie angereichert wird, macht den Roman zur spannenden Schnitzeljagd, deren Spur mitten in das ­komplexe Leben der belgischen Autorin führt. Autobiografische Partikel findet man nämlich in all ihren Büchern – allen voran im Erstling «Die Reinheit des Mörders» (1994), in «Mit Staunen und Zittern» (1999), «Bio­graphie des Hungers» (2004) oder «Blaubart» (2012).

Versöhnung von Körper und Seele

Würde man die Einzelteile als Puzzle zusammensetzen, entstünden die Konturen eines heillosen Lebens, das geprägt ist von Trennungsschmerz, Beziehungsnot und Selbsttherapie. Nothombs Vater ist ein belgischer Diplomat und Spross einer grossbürgerlichen Politikerfamilie, die in den Adelsstand erhoben wurde. Die ersten fünf Jahre lebt Amélie in Japan, danach in China, New York, Myanmar und Laos. Als man sie mit fünf ihrer japanischen Nanny entreisst, die sie wie eine Mutter liebt, wird sie nachhaltig traumatisiert. Sie realisiert, dass sie jederzeit alles verlieren könnte, und beschliesst, sich alles zu merken. Mit dreizehn fängt sie an, nichts mehr zu ­essen. Mit fünfzehn begreift sie, dass sie ­wegen ihrer Magersucht sterben könnte. Da ereignet sich ein mirakulöser Prozess. Körper und Seele trennen sich voneinander. Ihr Körper entscheidet, wieder zu essen. Die Seele ­allerdings steht in ständigem Krieg damit. Da Amélie Nothomb unter chronischer Schlaf­losigkeit leidet, beginnt sie jetzt jeweils ab zwei Uhr morgens wie süchtig zu schreiben, stundenlang, bis zum Exzess. Und allmählich, im Prozess des Schreibens, kommt es zu einer Annäherung und Versöhnung von ­Körper und Seele.

Die belgisch-französische Schriftstellerin verkörpert damit eines der aberwitzigsten ­Exempel dafür, dass Schreiben Therapie sein kann. Indem sie alles protokolliert, «sich merkt» und zu Literatur gerinnen lässt, hat sie die Kontrolle über das eigene Leben zurück­gewonnen. Die Verletzung heile jedes Mal ein bisschen, wenn sie wieder stundenlang geschrieben habe. Es ist ein Selbst­immuni­sierungsprozess gegen den Trennungsschmerz, ein Selbstverteidigungsakt gegen den Verlust, eine imposante Angstvernichtungsmaschine. Denn die Welten, die Amélie Nothomb in ihren Romanen ausbreitet, hat sie selbst geschaffen – keiner kann sie ihr nehmen. Mit diesem tollkühnen Lebensprojekt aber hat sie sich ganz nebenbei zu ­einer der ­originellsten Figuren auf der Bühne der aktuellen Literatur gemacht.

Amélie Nothomb: Die Kunst, Champagner zu trinken. Roman. Diogenes. 128 S., Fr. 28.90