Ende Juli 2005 wurden vom 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) drei Rechtsradikale freigesprochen, die ein knappes Jahr zuvor vom Landgericht Karlsruhe wegen der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung bzw. geringfügigen Geldstrafen verurteilt worden waren. Die drei Angehörigen der «Kameradschaft Karlsruhe» hatten das «Nationale Infotelefon» mit einer Ansage besprochen, die mit der Grussformel endete: «Ruhm und Ehre der Waffen-SS!»

Während die Landrichter der Meinung waren, es handle sich dabei um eine NS-Parole im Sinne des Paragrafen 86a des StGB, werteten die Bundesrichter die Parole als eine «abgewandelte Wortschöpfung», die den nationalsozialistischen Grussformen «nicht zum Verwechseln ähnlich» sei. Der Leitspruch der Waffen-SS war «Unsere Ehre heisst Treue», das Motto der Hitler-Jugend lautete «Blut und Ehre».

Letzte Woche wurde von der Ersten Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts ein Urteil gefällt, das ähnlich wegweisend sein dürfte wie die BGH-Entscheidung zu Ruhm und Ehre der Waffen-SS. In dem Berliner Fall ging es um eine Klage des Deutschen Friedensrates, der zusammen mit zwei palästinensischen Demonstrationen für den 12. August 2006 eine Demonstration in der Hauptstadt angemeldet hatte: «Stoppt den Krieg gegen Libanon und Palästina!»

Mit Bescheid vom 10. August 2006 verbot der Berliner Polizeipräsident als Versammlungsbehörde jedes Werben für die Hisbollah während der Demonstration. Im Einzelnen wurde untersagt, Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisation oder Bildnisse des Generalsekretärs der Hisbollah, Nasrallah, zu zeigen.

Mit diesen Auflagen waren die Veranstalter der Demo nicht einverstanden; sie riefen das Verwaltungsgericht an. Und das entschied, entgegen der Auffassung des Polizeipräsidenten sei das Zeigen der von ihm untersagten Symbole bzw. Bilder auf einer Demonstration während des Libanonkriegs als «Parteinahme für einen der Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung» zu verstehen, die unter den durch das Grundgesetz garantierten Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit falle. Soll heissen: So wie man es Fussballfans erlauben muss, bei einem Spiel Partei für eine Mannschaft zu ergreifen, muss man auch eine Parteinahme in einer kriegerischen Auseinandersetzung zulassen. Im Falle der Hisbollah, so das Gericht, könne die Parteinahme «nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr jede Äusserung oder Handlung der Hisbollah oder ihres Generalsekretärs gutgeheissen oder unterstützt werde». Es sei zudem «nicht strafbar», sich für die Hisbollah einzusetzen, weil die Hisbollah «nicht als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft sei».

Wer die Hisbollah ist und was sie will, kann jeder, auch jeder Verwaltungsrichter, feststellen, der sich die Mühe macht, die Website der Organisation zu besuchen oder die Auftritte und Reden ihres Generalsekretärs zu studieren. Das erste und wichtigste Anliegen der Hisbollah ist die Zerstörung Israels, das nicht einmal beim Namen, sondern nur «the Zionist entity», das zionistische Gebilde, genannt wird. Wenn die Hisbollah von der Befreiung Palästinas spricht, dann meint sie nicht die besetzte Westbank, sondern das ganze «zionistische Gebilde» einschliesslich Haifa, Tel Aviv, West-Jerusalem, Beerscheba und Aschkelon.

Freilich – all das spielt für die Berliner Verwaltungsrichter keine Rolle, sie betrachten die Auseinandersetzung zwischen der Hisbollah und dem «zionistischen Gebilde» als eine Art Völkerball, bei dem es erlaubt und legitim sei, sowohl für die eine wie die andere Seite Partei zu ergreifen. Das Urteil ist Ausdruck der «Äquidistanz», wie sie im Kulturbetrieb längst an der Tagesordnung ist und auch im Witz zu Wort kommt: «Mein Opa ist auch im KZ gestorben, er ist besoffen vom Wachturm gefallen.»

Noch makabrer ist nur noch, dass es in der Bundesrepublik offenbar eine Art gut funktionierender Arbeitsteilung gibt. Während die politische Klasse, die Kanzlerin vornweg, nicht müde wird, immer wieder «Israels Existenzrecht» zu garantieren, sind andere Teile der Gesellschaft längst dabei, es in Frage zu stellen oder zu verneinen. Was früher das Markenzeichen der extremen Linken oder Rechten war, ist heute kultureller Mainstream. Und während «der Widerstand gegen Hitler und die Seinen umso stärker wird, je länger das Dritte Reich zurückliegt» (Johannes Gross), darf mit richterlichem Segen für eine Organisation Partei ergriffen werden, die ihre mörderischen Absichten und Ziele mit der grösstmöglichen Ehrlichkeit verkündet. Die Hisbollah ist keine islamische Version der Heilsarmee, die sich vom Original nur dadurch unterscheidet, dass in ihren Suppenküchen halal – «rein» – gekocht wird. Auch der Hisbollah geht es um Blut, Ehre, Treue. Und darum, jene historische Mission im Nahen Osten zu vollenden, an der die Nazis in Europa gescheitert sind: die vorläufige Endlösung der Judenfrage.

Da muss es auch einem deutschen Gericht erlaubt sein, Partei zu ergreifen.