Ich sitze gerade in Trachila, das liegt einigermassen verschont von der Welt auf einer Landzunge des Peloponnes. Paris soll, zumindest einigen wilden und verführerischen Spekulationen zufolge, hierhin mit seiner in Sparta aus Liebe geraubten Helena vor den herannahenden Truppen des Menelaos, Helenas Ehemann, geflohen sein. Die beiden verschnauften in dem kleinen Dörfchen und gaben ihrer Liebe Luft, dann stiegen sie in ein Boot und fuhren dem Glück davon.

Ich habe Paris nie begriffen. Jede Liebe, die eine ganz grosse werden will, braucht zwar eine Tragödie, doch eine mittlere genügt auch. Grosse Tragödien sind auch für grosse Lieben zu gross. Aber anstatt die Liebe in Trachila auszukosten, zog er in den durch den Raub ausgelösten Trojanischen Krieg und entpuppte sich dort als Feigling.

Das Lieblings-Elsa-T-Shirt der Tochter

Ich dachte, ich könnte hier mir selbst entfliehen, an diesem kleinen Hafen mit den vier Fischerbooten, wenn ich morgens um acht dem alten Fischer mit dem zerfledderten Strohhut zuschaue, wie er mit seinen Ruderschlägen wie aus einer vergangenen Welt mit rückwärts laufender Zeit den Hafen und die Küste hinter sich lässt.

Ich weiss nicht, wie andere Familienväter das machen, Familienferien. Ich war im Dschungel, in der Wüste, im Eis. Ich wurde ausgeraubt, am Stadtrand von Tanger von wilden Hunden verfolgt, ich wurde bedroht, ich hatte an Orten ohne Toilette Durchfall. Ich hielt mich für tough. Dann reiste ich in den Kosmos der Kleinfamilie.

Das Kind will dies, die Frau das, man selbst will im Grunde nichts ausser Ruhe. Man will nicht zwei riesige Taschen an den Strand schleppen jeden Morgen, noch eine Luftmatratze unter dem Arm und im Ohr die Stimme der Frau, die fragt, ob man dieses Mal nichts vergessen habe. Und alles wieder zurück in der grössten Hitze des Tages. Das ist wie zweimal umziehen jeden Tag, etwas, bei dem man zwangsläufig draufgeht. Und natürlich bleibt etwas liegen, weil es einfach zu viel ist, um alles unter Kontrolle zu haben, im schlimmsten Fall das Lieblings-Elsa-T-Shirt der Tochter oder der neue Bikini der Frau, und natürlich ist man dann der Idiot, hört Sätze wie, es kann doch wohl nicht so schwierig sein und so weiter. Man sagt dann, dann pack doch du zur Abwechslung alles ein, und zur Antwort bekommt man eine Frage, was soll ich eigentlich noch alles tun? Schliesslich hab ich auch Ferien.

Es gibt wunderbare Momente, auch; auf der Luftmatratze im Wasser, das Kind lachend mit seinen Flügelchen obendrauf, abends bei Wein und mit Blick über das Meer, das Kind zeichnet die Sonne, und die Stimmung ist so, dass man für einen Moment denkt, ist doch alles halb so wild, Familie, das bringt es, es ist die Essenz des Seins, aber dann will das Kind, wie alle griechischen Kinder rundherum, eine Fanta, okay, kein Problem, ich bestell eine, Hauptsache, das Kind kriegt keine lautstarke Krise. Und schon ist man mittendrin in einer Diskussion über den Zuckerkonsum des Kindes, den man auch noch fördere, indem man stets nachgebe, dabei könne das Kind doch auch Wasser trinken. Klar, Liebling, sagt man dann, aber wir trinken ja auch Wein anstatt Wasser, und wir sind in den Ferien. Du vielleicht, sagt sie dann, du sitzt einfach rum, schaust über das Meer, als ob es nichts Wichtigeres gäbe, und rauchst eine nach der andern. Das ist Krisenrauchen, Schatz. Ist das jetzt dein Ernst, fragt sie dann, du hast eine Krise, du? Das Kind fragt, Papa, wo ist meine Fanta? Nicht jetzt, meine Kleine, Mama und Papa sprechen gerade. Ja, sagt Mama, und ich frage mich, weshalb eigentlich, weil es gibt kein Fanta. Keine Fanta, Papa? Also, mein Kleines, vielleicht später. Wann ist später, Papa? Frag Mama. Mama, wann ist später? Frag Papa, der weiss alles immer besser. Papa, ich will jetzt eine Fanta.

Komplex und paradox

Das war gestern Abend, und mir wurde klar, was ich im Grunde bereits wusste, dass nichts einen langsamer tötet als Familienferien. Ich habe mir jetzt zwei Stunden gestohlen. Mit jedem Ruderschlag des alten Fischers entfernen sich all die kleinen Dramen und Tragödien. Ich frage mich, ob Paris vielleicht doch das Richtige getan hat, als er in einen wirklichen Krieg gezogen ist. Und dann, ich weiss nicht, wieso, es ist komplex und paradox, hoffe ich, dass meine kleine Familie um die Ecke käme und meine Flucht beendete.