London

Der Unterschied zwischen weit, weiter und zu weit kann ein feiner sein. Christian Angermayer, ein 46-jähriger deutscher Investor und Unternehmer in London, kennt sich damit aus. Auf seiner Laufbahn bisher bewegte er sich die meiste Zeit im Bereich zwischen weit und weiter voraus, was seine Anlagen, manchmal eher Wetten, in/auf die neusten Modetrends für Kapitalisten – Psychedelika, Langlebigkeit, Kryptowährungen oder künstliche Intelligenz – angeht. Mit seiner jüngsten Geschäftsidee ist er noch einen Schritt weiter gegangen.

 

Schlechte Publizität? Gibt es nicht

Während die Weltöffentlichkeit nach Paris blickt, wo kommende Woche die 33. Olympischen Sommerspiele beginnen, bewirbt er seine sogenannten Enhanced Games, (un-)sportlichen Wettkämpfe, bei denen die Athleten ausdrücklich das tun sollen, was für Olympioniken zum Ausschluss und ansehensmässigen Absturz führen kann – leistungssteigernde Substanzen einnehmen nämlich, Doping also. Um auf diese Art Rekorde zu brechen. Dafür hat er mit Geschäftsfreunden eine Betreiberfirma gegründet; Ende kommenden Jahres, so der Plan, sollen die ersten Enhanced Games stattfinden, vielleicht in Amerika, vielleicht in Arabien, das ist noch unklar. «Wir verhandeln gerade über den Austragungsort», sagt Angermayer.

Aus seiner verglasten Penthouse-Wohnung auf der 29. und obersten Etage eines neuen Hochhauses am Rand der Londoner City, dem Finanzzentrum, wo er mich zum Abendessen (ohne Alkohol, da er nicht trinkt) empfing, ist die Sicht weit und uneingeschränkt, the sky’s the limit, wie man sagt. Doch weiter unten, am Boden der Wirklichkeit, können Sportkenner, Kommentatoren, sogar Spitzenpolitiker nur Schlechtes an dem Vorhaben sehen. Sebastian Coe, früherer Mittelstreckenläufer, heute Chef von World Athletics, dem Leichtathletik-Dachverband, fragt (oder stellt fest), «das ist Schwachsinn, nicht wahr?». Eine Kolumnistin des Guardian schreibt von der «Sportveranstaltung, die keiner will», Business Punk, eine deutsche Zeitschrift, ist unsicher, ob das Vorhaben rebellischen Mut oder Sucht nach Rendite darstelle, und Präsident Biden respektive das Weisse Haus teilt «schwere Bedenken» mit.

Präsident Biden respektive das Weisse Haus teilt «schwere Bedenken» mit.

Worauf Angermayer sagt, die meisten Leute in seinen Kreisen fänden die Idee richtig gut. Darüber hinaus habe er sich «noch mehr Ablehnung erhofft, ganz ehrlich». Nicht weil er gern aufs Dach bekomme, sondern weil es hohe Kosten fürs Marketing bedeute, wenn man eine neue Sportliga beziehungsweise Veranstaltung bekanntmachen müsse. Wohingegen Berichterstattung über die Enhanced Games, besseren Spiele, wörtlich, gratis ist. Angermayer, so sieht es aus, ist einer aus dem Schlechte-Publizität?-Gibt’s-nicht-Lager – «wie oft bekommt man schon ein Presse-Statement von beispielsweise Präsident Biden?», fragt er.

Die Übungsanlage, falls man sie wertfrei betrachtet, ist im Grunde schlüssig – Aron D’Souza, ein australischer Unternehmer sowie Jurist, hatte die Idee, und Angermayer kam als Mitgründer dazu –, sie fusst auf drei «Grundtugenden»: gleich lange Spiesse/Offenheit (40 bis 50 Prozent aller Leichtathleten nehmen laut der internationalen Antidopingagentur Wada leistungssteigernde Medikamente, man weiss bloss nicht, wer und welche); Einkommenssicherheit für Athleten (die Enhanced-Games-Betreiber wollen Werbeeinnahmen aufteilen und Sportler fair bezahlen); Sicherheit (ausschliesslich zugelassene Medikamente sind erlaubt, Ärzte begleiten Sportler).

Im Januar zahlten Angermayer sowie Peter Thiel, der amerikanische Pay-Pal-Mitgründer, Milliardär, Unternehmer (Softwarefirma Palantir) und einer, auf den Donald Trump hört oder hörte, sowie andere Anleger fast zehn Millionen Dollar Startkapital ein, um der Firma Enhanced Games die Aufnahme der Geschäftstätigkeit zu ermöglichen (Unternehmensangabe); D’Souza ist der Geschäftsführer. Bis jetzt fanden sie einen Vorzeigeteilnehmer, den australischen Schwimmer in Rente, James Magnussen, der bestätigt, für eine Million werde er sich fitspritzen lassen und bei den Wettkämpfen antreten. Darüber hinaus gibt es noch wenig verbindliche Angaben.

 

Ausgestiegen mit 26

Angermayer kam 1978 in der Oberpfalz zur Welt, in einem Dorf mit 200 Einwohnern. Der Vater war Maurer, die Mutter Sekretärin, Unternehmer gab es weder in der Verwandtschaft noch im Dorf. Dennoch wollte Christian, sagt er, schon mit sechs seine eigene Firma gründen. Mit vierzehn führte er eine Art Lernstudio, hatte mehrere Schüler, die in seinem Auftrag Nachhilfe anboten.

Strenge Urteile über ihn kommen oft von deutschen Beobachtern – der Prophet im eigenen Land also?

Er bekam das Hochbegabtenstipendium des Freistaates Bayern und ging damit an die Universität Bayreuth, wo er Betriebswirtschaftslehre belegte. Doch er brach das Studium ab, nachdem er im Jahr 2000 zwei Professoren überzeugt hatte, aus ihrer biopharmazeutischen early stage-Idee eine Firma zu machen – mit ihm, er war damals 22. Vier Jahre später, 2004, öffneten sie das Therapeutika-Unternehmen mit Namen Ribopharma für das Publikum, die Bewertung betrug eine Milliarde Euro. Angermayer verkaufte seine Anteile. «Leider zu früh, der klassische Fehler», sagt er heute, die Kapitalisierung der Firma, die inzwischen Alnylam heisst, liegt gegenwärtig bei über 30 Milliarden Dollar.

Die gute Nachricht: Sein früher Exit, Ausstieg, machte ihn dennoch wirtschaftlich unabhängig, mit 26. Mit dem Geld gründete er ein Family Office, so heissen Beteiligungsgesellschaften reicher Leute, seines heisst Apeiron, altgriechisch für das Unendliche, der Hauptsitz ist auf Malta (es gibt Ableger in Berlin, New York, Los Angeles, Abu Dhabi und London). Die bewirtschafteten Mittel sind (noch) nicht unendlich, sie betragen 2,5 Milliarden Dollar, ungefähr die Hälfte ist eigenes Kapital gemäss ihm (das Forbes-Magazin schätzt Angermayers Vermögen auf 1,1 Milliarden). Und sie sind in 130 Firmen investiert, deren Geschäftstätigkeiten den Gegenentwurf zum altertümlichen Namen darstellen, Apeiron beteiligt sich an Unternehmen respektive setzt auf Bereiche, deren Zeit in der mehr oder weniger nahen Zukunft kommen könnte – Life Sciences (Gesundheit, Langlebigkeit), Fintech und Krypto (technologiebasierte Finanzanwendungen), Futuretech (etwa künstliche Intelligenz) und Experiences (Angebote für die Freizeitgesellschaft).

Angermayer spricht fliessend Denglisch und Business-Jargon, da er seit über zehn Jahren in London lebt und sich mehrheitlich in einer Bubble, einem engen Umfeld, voller Spezialisten bewegt, die auf Englisch, oft als zweite Sprache, über Inhalte und Abläufe reden, die Aussenstehende nur schwer verstehen und/oder nachvollziehen können. Zudem muss seine Wesensart als sprunghaft beschrieben werden, er nimmt sich nicht immer die Zeit, Gedanken zu beenden, vielleicht denkt er auch zu umfassend, um jeweils zum Kern der Sache, die er darlegen wollte, zurückzukehren. Wäre er Schüler in Zürich, wäre er vermutlich längst mit einer ADHS-Diagnose (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) nach Hause gekommen. Weiter überrascht er mit Einsichten und Erkenntnissen aus der Antike, die ihn interessiere, wenn er Ausführungen über opportunities und Geschäftsmodelle of the near future macht. Langweilig ist das nicht, bloss etwas eigentümlich.

Berichte über ihn und seine Leistung fallen unterschiedlich aus, Beobachtereinschätzungen schwanken zwischen leiser Bewunderung – «der Investor und Milliardär Christian Angermayer hat sich die chemische Formel für Psilocybin auf den Arm tätowieren lassen», nzz.ch – und lauter Beanstandung, «Magische Pilze, schlechte Zahlen: Neue Zweifel an dem Geschäftsmodell des vermeintlichen Starinvestors Christian Angermayer», Welt am Sonntag (es ging um die Entwicklung psychedelischer Heilmittel mit Stoffen, die auch in halluzinogenen Pilzen [«Magic Mushrooms»] vorkommen).

Der WamS-Artikel vom Mai dieses Jahres urteilt unter anderem streng über die Aktie von Atai Life Sciences, einer Biotech-Firma, die Angermayer gründete und bei der er Aufsichtsratschef ist; seit dem Börsengang 2021 stürzte der Kurs von 15 auf 1.28 Dollar ab (minus 91 Prozent). Er bestätigt die Entwicklung, weist aber darauf hin, dass verschiedene Biotech-Indizes ähnlich schlecht performten und Atai sich der Marktbewegung bisher nicht entziehen konnte (der Nasdaq Biotechnology Index sank in dieser Zeit bloss um etwas über 10 Prozent, Atai wird an der Nasdaq gehandelt), obwohl die Firma alles erreicht habe, was beim Börsengang versprochen wurde – «wir haben also geliefert, das ist mir wichtig.»

Strenge Urteile über ihn kommen oft von deutschen Beobachtern – der Prophet im eigenen Land also? Kann sein. Möglich zudem, dass sich unsere grossen Nachbarn ähnlich schwertun damit, jemanden für gescheit, geschickt und fleissig zu erklären, wie das in der Schweiz der Fall ist. Und schliesslich, dass der verhältnismässig junge Selfmademan Wert darauflegt, nicht bloss reich zu sein, sondern als Milliardär beschrieben zu werden, macht keinen natürlichen Sympathieträger aus ihm. Wenn er dann öffentlich sagt, er sei schwul, überrascht und/oder entwaffnet er eventuell ein wenig. Doch wenn er weiter sagt, er sei «politisch eher konservativ», fällt er manchen Leuten noch mehr auf die Nerven.

Die linksliberale Süddeutsche Zeitung (und der linksliberale Tages-Anzeiger, der SZ-Inhalte wiedergibt) brachte einen Artikel über Sebastian Kurz’ neuen Job unter der Headline «Willkommen in der Burschenschaft der Visionäre», der Text drehte sich um den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler, der eine Stelle in einer Firma von Peter Thiel annahm. Wo Thiel vorkommt, ist Angermayer oft nicht weit. Apropos «Burschenschaft» – handelt es sich dabei um einen etwas lässigen Umgang mit Sprache, die das Justemilieu sonst recht ernst nimmt? Konservativ ist nicht immer gleich reaktionär oder rechtsnationalistisch.

 

Dünnes Fell

Ihn störe es nicht, sagt er, allerdings finde er, die Begriffe links und rechts beziehungsweise konservativ und liberal passen nicht mehr, und dass sich beide Seiten zu sehr vom alten Kulturkampf ablenken lassen. «Meines Erachtens gibt es für die meisten Probleme unserer Zeit, wenn man 70 Prozent sein Gehirn und 30 Prozent sein Herz benutzt, pragmatische und logische Lösungen.» Andererseits ist die Vorstellung eines Netzwerks von konservativen Unternehmern und anderen, die volkswirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bedingungen mitgestalten sowie etwas bewegen wollen, nicht abwegig. Bei Angermayer deckt sich etwa die Überzeugung, dass ​Psychedelika – er konsumiere selbst solche, doch ausschliesslich in Ländern, wo dies erlaubt sei, sagt er – zielführende Arzneimittel sind, die er wieder zurückbringen will, damit sie unter ärztlicher Aufsicht legal eingenommen werden können, mit seinem Geschäftsziel, solche herstellen und verkaufen zu dürfen. Er habe aber trotzdem keine Absichten, selbst politisch tätig zu werden. «Dafür ist mein Fell zu dünn.»

Selbsterkenntnis, was tun, was lassen, sei eine der wichtigsten Einsichten überhaupt, sagt er. Auch dabei helfen Psychedelika. Die politische, gesellschaftliche Welt, das grosse Ganze also, verändern? Nein. Die Welt des Sports und der Rekorde, mittels der geplanten Enhanced Games, dagegen schon? Ja. Wer will, kann Christian Angermayers Ansatz auch auf die magische Kraft der Pilze zurückführen.