Niemand in der deutschsprachigen Literatur, so heisst es, vermag die Abgründe in Beziehungen so fein, so böse auszuloten, den Verrat und die Fassadenhaftigkeit und die grosse Komik, wie der Büchnerpreisträger Martin Mosebach. Sein Opus magnum ist «Westend», ein 900-Seiten-Roman über die deutsche Nachkriegsgeschichte, erzählt am Beispiel eines Frankfurter Immobilienhais und seiner Familie. Auch sein jüngster Roman, «Taube und Wildente», wird von der Kritik gefeiert.

Doch Mosebach ist nicht nur ein Stilist von Gnaden, sondern auch katholisch. Um es strafverschärfend zu sagen: erzkatholisch. Sein Buch «Häresie der Formlosigkeit», ebenfalls ein Bestseller, rechnet ab mit den Verluderungen der Liturgie seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und mit einer Kirche, die eher eine links-grüne NGO sein will, statt über Gott und den Glauben zu reden. Wir haben an Heiligabend, eine Woche vor dem Ableben Benedikts XVI., mit dem Frankfurter Schriftsteller über den Zustand der katholischen Kirche unter Papst Franziskus gesprochen.

Weltwoche: Herr Mosebach, wie beurteilen Sie das Pontifikat von Papst Franziskus?

Martin Mosebach: Es ist ein unsagbar unruhiges. Ein Pontifikat, in dem der Eindruck sich verbreitet, als ob alles, was katholische Tradition und Glaubensgut, Depositum fidei, ist, zur Disposition steht. Dieser Papst eröffnet die Demontage und rudert dann zurück, aber nicht so entschlossen, dass eine neue Sicherheit entstehen würde. Leute, die eben noch seine Günstlinge waren, werden plötzlich entlassen, wie jetzt Kardinal Tagle als Oberhaupt aller Caritaswerke. Seinem Staatssekretär, dem willigen Diener Kardinal Parolin, hat er die Verfügung über alle Finanzen genommen. Keiner kann sich sicher fühlen. Franziskus scheint auf die Kräfte der Unruhe zu setzen. Er hat wahrscheinlich die Hoffnung, dass es eine kreative Unruhe ist. Aber mit kreativer Unruhe wäre ich vorsichtig, weil ich nicht finde, dass wir in einer Zeit grosser religiöser Stärke leben.

Weltwoche: Da fällt einem Carl Schmitts Bonmot ein: «‹Alles fliesst›, lehrt Heraklit. Der Felsen Petri, der fliesst mit.»

Mosebach: Das hat er unter Paul VI. gesagt, der jetzt im Vergleich zu Franziskus fast als urkonservativer Papst erscheint. Das hätte er sich auch nicht vorstellen können.

Weltwoche: Paul VI. hat am Ende des II. Vatikanums erschrocken festgestellt, in der Kirche verbreite sich der Schwefelgeruch des Teufels.

Mosebach: Ja, ja, vom Teufel spricht auch Franziskus immer wieder gerne. Wer glaubt, er sei der Feind jeder Art von Doktrin, den überrascht er plötzlich mit ganz konkreten Schilderungen von Hölle und Teufel. Mir scheint, dass er einen Ehrgeiz darin legt, von niemandem eingeschätzt werden zu können.

Weltwoche: Aber er ist doch dann auch voller Widersprüche und Selbstwidersprüche.

Mosebach: Natürlich. Ein Widerspruch besteht darin, dass er solchen grossen Wert auf das legt, was er Synodalität nennt, also die Stimmen der Bischöfe der Welt. Und zugleich macht er immer wieder deutlich, dass er auf keine einzige Stimme hört. Das ist sein Hauptwiderspruch: auf der einen Seite antihierarchisch sein zu wollen und auf der anderen Seite eine Solo-Herrschaft auszuüben, wie sie in der Tradition der Kirche nicht vorgesehen ist. Denn das Bischofsamt hat in der Tradition der Kirche eine riesige Bedeutung und sein eigenes Recht gegenüber dem Papst. Der Bischof ist nicht vom Papst eingesetzt, sondern von Christus, und deswegen auch ganz schwer nur abzusetzen. Ein Bischof ist nicht einfach nur ein Funktionär, das örtliche Büro des Papstes, sondern gedacht als eine oberste und letzte Instanz.

Weltwoche: Nur hat das Selbstverständnis der Bischöfe in Deutschland ja stark gelitten, oder es wird sehr eigenartig aufgefasst. Die Deutsche Bischofskonferenz versteht sich ja im Moment als Speerspitze einer links-grünen Reform der Kirche hin zum Protestantismus.

Mosebach: Ja, sie möchte die Hierarchie aufbrechen, indem sie einen synodalen Rat aus Priestern und Laien einsetzt, der den Bischöfen vorschreibt, was sie zu tun haben. Wobei nicht ganz genau klar ist, mit welchen Laien und welchen Priestern dieses Gremium bestückt werden soll. Also, gegenwärtig wird das Bischofsamt von zwei Seiten angegriffen: auf der einen Seite vom Papst, der die Bischöfe zu blossen Befehlsempfängern macht, auf der anderen Seite von dem deutschen synodalen Weg, der den Bischöfen überhaupt jede Art von hierarchischer Sonderrolle absprechen will.

Weltwoche: Das führt zur kuriosen Situation, dass der linke Papst Franziskus den deutschen Bischöfen als Defensor Fidei gegenübertritt. Diese wollen ja nicht nur einen synodalen Rat schaffen, sondern auch das Priestertum für Frauen einführen und das Zölibat abschaffen. Da ist Franziskus mit einem Donnerwort dazwischengefahren: «Es gibt bereits eine sehr schöne protestantische Kirche in Deutschland» – worüber man auch streiten könnte –, «wir brauchen dort keine zweite.»

Mosebach: Auch da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Er hat eben die Bischöfe nicht mehr empfangen. Er hat diese Donnerworte von zwei Kardinälen sprechen lassen, von denen der eine, der wichtigere, der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Ladaria, kurz vor der Ablösung steht. Und möglicherweise wird der neue Präfekt der Glaubenskongregation – so gehen schon sehr beunruhigende Gerüchte – entweder Bischof Wilmer von Hildesheim oder Kardinal Cupich von Chicago sein. Und das sind beides Leute des linksprogressistischen Flügels. Der Papst hat sich die ganze letzte Zeit so verhalten, dass er gewisse scharfe Regularien hat verkünden lassen von unteren Chargen und dann zum Schluss das alles noch mal wieder relativiert hat. Dann kann man also, bevor diese synodale Chose nicht ihr Ende erreicht hat, überhaupt keine Vorhersage machen, wie das ausgehen wird.

Weltwoche: Sie trauen dem Braten nicht?

Mosebach: Dieser Mann lässt sich auf nichts festlegen, der ist für jede Überraschung gut.